„arten-reich“ lautet das Motto der diesjährigen Atelierkirche. Noch bis 1. Juli können Besucherinnen und Besucher der Brenzkirche in Stuttgart-Nord unter Anleitung der Künstlerin Susanna Messerschmidt Modelle und Zeichnungen erschaffen. Vorbild für die Kunstwerke sind Blätter, Blumen, Früchte und andere Gaben der Schöpfung. Die Atelierkirche ist Teil des ersten Stuttgarter Kirchenkreistags (29. bis 1. Juli).
Schicht für Schicht streicht die 18-jährige Zeynab die blaue Latexmischung auf ein Ahornblatt. Schließlich ist die Farbschicht dick genug, dass sie sie abziehen kann. Übrig bleibt ein blaues Latexblatt, auf dem alle Verästelungen des richtigen Ahornblattes genau abgebildet sind. Es findet seinen Platz an einer Leinwand am Altar der Brenzkirche, auf der schon andere bunte Blätter hängen.
Zeynab gehört zu einer Integrationsklasse, die in der Atelierkirche zu Besuch ist. Seit drei Jahren funktioniert die Evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Nord die Brenzkirche einmal im Jahr zu einem großen Kunstatelier um. Das diesjährige Thema lautet „arten-reich“. Eine Woche lang ist der Kirchenraum täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Susanna Messerschmidt, Künstlerin und Ideengeberin des diesjährigen Konzepts, wird während dieser Zeit an ihren Werken arbeiten. Besucherinnen und Besucher können selbst mit anpacken, zeichnen und formen oder auch nur die schon vorhandenen Kunstwerke und Installationen bestaunen. „Besucher und Teilnehmer sollen selbst erfahren, dass auch in ihnen eine schöpferische Kraft steckt“, erklärt Messerschmidt. Mit einem Abendgebet schließt jeder Atelier-Tag.
Der Auftaktgottesdienst vergangenen Sonntag, 24. Juli, richtete sein Augenmerk auf das Artensterben und dass der Mensch sorgsam mit der Natur umgehen müsse. Die Predigt handelte von der schöpferische Vielfalt in der Natur und Kultur sowie der Vielfältigkeit der Menschen sowie von der schöpferischen Kraft, die auch in uns Menschen wirkt. Susanna Messerschmidt zeichnete während des Gottesdiensts ein Rankenmuster an die Rückwand des Altars. Es ist dasselbe Muster, an das Schülerin Zeynab ihr Blatt hängt. An verschiedenen Stationen konnte die Gottesdienstgemeinde ihre Sinne schärfen: an Laub und Zweigen riechen, Latexklumpen in der Faust zerquetschen und frisches Obst und Gemüse probieren. „Ich wünsche mir, dass die Besucher der Atelierkirche mit einer neuen sensibilisierten Wahrnehmung wieder herausgehen. Ich möchte, dass sie nicht nur ihr Smartphone sehen, sondern den Baum an der Bushaltestelle und welche Schöpferkraft ihm inne liegt“, sagt Messerschmidt.
Die Verbindung zwischen Kunst und Kirche kommt in Stuttgart-Nord nicht von ungefähr. Nicht nur die Lage der Brenzkirche in der Nähe der Kunstakademie inspirierte Pfarrerin und Veranstalterin Petra Dais zum Konzept der Atelierkirche. Sie ist überzeugt, dass Kunst ähnlich wie Gebet und Gottesdienst den Menschen hilft, sich auf das Wesentliche zu besinnen. „An ein Kunstwerk muss ich mit einer gewissen Sorgfalt herangehen. Ich muss mich kümmern und Zeit investieren“, sagt sie. Dieser intensive Prozess führe im besten Fall zu mehr Sorgfalt und Wertschätzung gegenüber einem selbst und anderen.
Das Angebot wird angenommen. Viele Gruppen und Kreise verlegen ihre Treffen in dieser Woche in die Atelierkirche. So werden zum Beispiel die Konfirmanden und der Gesprächskreis der Nord-Gemeinde ihre eigenen Abbildungen der Natur erschaffen. Entweder aus Latex, oder mit Wachsmalkreiden und Holzschablonen auf Papier. An diesem Morgen sind Zeynab und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler der Integrationsklasse am Kneten, Malen und Kleben. Die Jugendlichen sind vor etwa zwei Jahren aus Osteuropa, Afghanistan oder Syrien nach Deutschland gekommen.
„Mir hat vor allem gefallen, dass wir als Klasse zusammen gearbeitet und gemeinsam etwas geschaffen haben“, sagt Zeynab. Das Altarbild ist nach dem Beitrag der Klasse gewachsen und um einiges bunter. „Ich bin gespannt, wie das Bild bei unserem Abschlussgottesdienst nächsten Sonntag aussehen wird“, sagt Pfarrerin Petra Dais. Das wachsende Altarbild gibt jedenfalls Hoffnung, dass der Blick für die Wunder der Schöpfung noch nicht verloren gegangen ist.
Marie-Louise Neumann
Zur Feier seines 10-jährigen Bestehens feiert der Stuttgarter Kirchenkreis den ersten Stuttgarter Kirchenkreistag. Von Freitag bs Sonntag, 29. Juni bis 1. Juli, präsentieren sich die Gemeinden des Evangelischen Kirchenkreises Stuttgart mit
einem umfangreichen Programm unter dem Motto „Aus heiterem Himmel“. Nach dem Auftakt mit der Schauspielerin und Kabarettistin Maren Kroymann am Freitagabend im Hospitalhof erwarten die Gäste am Samstag 13 Themenzentren mit vielfältigen Workshops in Stuttgarter Kirchen und Gemeindehäusern. Die Festtage enden mit Gottesdiensten an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Formen.