23.01.2025

Ein Jahr nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in Kirche und Diakonie

Ein Interview mit Prälatin Gabriele Wulz 

Am 25. Januar liegt die Veröffentlichung der sogenannten ForuM-Studie ein Jahr zurück. Darin stellte der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte Forschungsverbund „ForuM“ die Ergebnisse seiner Studie zu sexualisierter Gewalt in den evangelischen Landeskirchen und der Diakonie in Deutschland vor. 

Herbsttagung der Württembergischen evangelischen Landessynode im Hospitalhof.Prälatin Gabriele Wulz

Im Folgenden finden Sie aus diesem Anlass ein Interview mit der Ulmer Regionalbischöfin Prälatin Gabriele Wulz. Sie begleitet als Mitglied der württembergischen Kirchenleitung die Themen Aufarbeitung, Prävention und Intervention im Zusammenhang mit “sexualisierter Gewalt” seit vielen Jahren.

Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus der ForuM-Studie? 

Prälatin Gabriele Wulz: Das Stichwort „Verantwortungsdiffusion“ hat mir sehr geholfen. Das bedeutet, niemand fühlt sich direkt zuständig, viele befassen sich mit dem Thema, aber alles dauert sehr lange. Wir haben inzwischen die Wege und die Bearbeitungszeiten für Meldungen von Betroffenen so einfach und klar wie möglich gestaltet (Mehr Informationen). Das gilt auch für unsere Zuständigkeiten in einem so sensiblen Bereich. Ich erlebe aber auch, dass wir in den konkreten Situationen – trotz guter Pläne – immer wieder neu herausgefordert sind und dazulernen. Außerdem ist mir nochmal klarer geworden, wie sensibel das Verhältnis von Distanz und Nähe in allen Feldern der kirchlichen Arbeit zu gestalten ist. Die durch ForuM entstandene Verunsicherung halte ich für produktiv. Sie zwingt uns dazu, unsere Prozesse, aber auch unsere Haltungen immer wieder aufs Neue kritisch zu hinterfragen. 

In welcher Weise wurden Betroffene in Württemberg eingebunden? 

Prälatin Gabriele Wulz: Die meisten Betroffenen unserer Landeskirche kommen aus dem Heimkinder-Bereich. Verletzungen in der Kindheit sind häufig besonders nachhaltig. Daher haben wir die Betroffenen zunächst im geschützten und geschlossenen Rahmen eingeladen, sie zu Wort kommen lassen und sie selbst zu Formen der Beteiligung im Aufarbeitungsprozess ermutigt. Selbstverständlich mit aller Unterstützung, die sie dazu brauchen.  

Gab es nach der Veröffentlichung von ForuM weitere Meldungen? 

Prälatin Gabriele Wulz: Seit der Veröffentlichung der Studie vor einem Jahr sind wenige weitere Meldungen Betroffener dazu gekommen. Selbstverständlich wurden diesen sofort auch die gleichen Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen gewährt wie den uns bisher schon bekannten Betroffenen. 

Seit wann hat die Landeskirche Kenntnis von Fällen sexualisierter Gewalt und wie wurde damit umgegangen? 

Prälatin Gabriele Wulz: Die ersten Meldungen erreichten uns vor etwa 15 Jahren. Sehr bald wurde klar, dass dieses Thema in der kirchlichen Verwaltung nicht einfach nebenher behandelt werden kann. Eine unabhängige Kommission zur Unterstützung von Betroffenen wurde 2015 eingerichtet, nicht lange darauf wurden erste Präventionsmaßnahmen auf den Weg gebracht. 2021 wurde ein Gewaltschutzgesetz beschlossen, das die Bereiche Intervention, Prävention, Aufarbeitung sowie Hilfe und Anerkennung umfasst. Dadurch konnten verbindliche Standards dienst- und arbeitsrechtlich durchgesetzt werden, wie das Abstinenz- und Abstandsgebot, ein Tätigkeitsausschluss bei entsprechenden Vorstrafen und Meldepflicht bei hinreichendem Verdacht. Weitere Schritte waren strukturierte Handlungs- und Notfallpläne sowie ein Schulungskonzept. Inzwischen gehört dazu auch ein verbindlicher Online-Kurs für alle Mitarbeitenden in der Kirche. 

In der württembergischen Landeskirche sind seit 2023 zwei theologische Fachtage zum Thema „sexualisierte Gewalt“ veranstaltet worden. Was waren die inhaltlichen Schwerpunkte? 

Prälatin Gabriele Wulz: Wir haben zwei Fachtage zu toxischen Traditionen in Theologie und Kirche veranstaltet mit dem Schwerpunkt der Wahrnehmung von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche. Besonderes Augenmerk haben wir auf Themen wie Familie, Gemeinschaft und das Verhältnis von Nähe und Distanz gelegt. Diese Veranstaltungen haben insbesondere Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch Religionspädagoginnen und -pädagogen angesprochen. 

Den Landeskirchen wurde mangelnde Einsicht in die Akten und unvollständige Durchsicht der Akten vorgeworfen. Auch dazu gab es einen Studientag im Archiv der Landeskirche. Gab es dazu neue Erkenntnisse?  

Prälatin Gabriele Wulz: Der Fachtag im landeskirchlichen Archiv war für die Teilnehmenden aufschlussreich. Mit einer gewissen Erleichterung habe ich wahrgenommen, dass Dr. Andreas Hoell, der zum Forschungsverbund der ForuM- Studie gehörte, die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archivs und der Fachstelle ausdrücklich als vertrauensvoll, unkompliziert und bereitwillig gelobt hat. Er hat auch deutlich gemacht, dass er davon ausgeht, dass in der württembergischen Landeskirche die vorliegenden Personal- und Disziplinarakten vollständig durchgesehen worden sind.

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