| Ökumene

„Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern hat mit aller Leidenschaft Gott zu dienen“: Zum Tod des Theologen Prof. Dr. Paolo Ricca

Ein Nachruf von Prälatin Gabriele Wulz (Ulm)

Prof. Dr. Paolo Ricca vor der Landessynode 2012.Bild: Gottfried Stoppel

Am 14. August 2024 verstarb in Rom der bedeutende waldensische Theologe Prof. Dr. Paolo Ricca im Alter von 88 Jahren. Ricca gab auch der württembergischen Landeskirche wichtige Impulse. Die Ulmer Regionalbischöfin Gabriele Wulz nennt ihn in ihrem Nachruf einen „charismatischen Lehrer der Kirche“. Er habe daran erinnert, dass die Reformation „nicht eine Reform der Kirche im Sinn hatte, sondern auf nichts weniger als auf die Neubegründung der Kirche zielte. ‚Das Leben der Kirche mit Substanz füllen‘ – das bedeutet nach Paolo Ricca, die Kirche wieder mit dem Wort Gottes, mit dem Evangelium zu füllen.“ Auf die Frage, was evangelisch sei, habe er geantwortet, evangelisch sei es, „die Menschlichkeit Jesu so zu bezeugen, dass der säkularisierte Mensch seine wahre und vielfach vergessene, ja immer wieder zertretene Menschlichkeit in ihm wieder finden kann, (…). Evangelisch ist, in die Fußstapfen der Menschlichkeit Jesu zu treten.“

Sommertagung der 16. Landessynode.
Prälatin Gabriele WulzBild: Gottfried Stoppel

Im Folgenden finden Sie den Volltext des Nachrufs von Gabriele Wulz, Prälatin von Ulm und Vorsitzende des Gustav-Adolf-Werks in Württemberg, das weltweit in enger Beziehung zu evangelischen Minderheiten steht und Projekte fördert:

„Paolo Ricca schien nie müde zu werden. Noch im hohen Alter konnte man ihn für Vorträge und Predigten gewinnen. Auch in Württemberg. Unvergesslich ist die Leidenschaft seiner Rede. Was er sagte, kam von Herzen. ‚Es gibt noch eine Hoffnung für Rom‘ – mit dieser klaren Ansage eröffnete er zum Reformationsfest im Ulmer Münster im Jahr 2007 seine Predigt zu Röm 1, 16f. Kein Wunder also, dass die Nachricht von seinem Tod am 14. August 2024 nicht nur in Rom und Italien, sondern auch hierzulande Betroffenheit und Trauer ausgelöst hat.

Der Tod von Paolo Ricca ist Anlass, auf das Leben dieses charismatischen Lehrers der Kirche und Pfarrers der Waldenserkirche zurückzublicken. Dankbar erinnern wir uns an einen Menschen, der uns einschärfte, dass die reformatorische Bewegung, zu der auch seine Heimatkirche, die Kirche der Waldenser, gehörte, nicht eine Reform der Kirche im Sinn hatte, sondern auf nichts weniger als auf die Neubegründung der Kirche zielte. ‚Das Leben der Kirche mit Substanz füllen‘ – das bedeutet nach Paolo Ricca, die Kirche wieder mit dem Wort Gottes, mit dem Evangelium zu füllen. Denn Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern hat mit aller Leidenschaft Gott zu dienen.

Die innere Verunsicherung über die eigene Sache beschäftigte Paolo Ricca und er sah sie als Ursache der Krise der Kirche. ‚Als ob evangelisch sein überholt, veraltet oder zwecklos wäre‘, sagte er in einem Interview aus dem Jahr 2012 aus Anlass seines Hauptvortrags vor der württembergischen Landessynode in Balingen. Begegnen könne man dieser Verunsicherung, dieser ‚geistlichen Krankheit‘, nur im Gebet. Denn Beten bedeute ‚Konzentration auf Gott. Er gibt uns Sicherheit und Halt. Wenn man nicht fest auf ihn baut, wackelt alles‘.

Hellsichtig und präzise beschrieb Paolo Ricca die Phänomene der Säkularisierung als eine Weltanschauung, ‚wo Gott keinen Platz findet, weil der Mensch den ganzen Raum in Anspruch nimmt‘. Mutig und entschlossen stellte er sich der Religionskritik der Moderne. ‚Was ist evangelisch?‘, fragte er und gab als Antwort, die weiterhin des Nachdenkens und Meditierens wert ist: ‚Evangelisch ist, die Menschlichkeit Jesu so zu bezeugen, dass der säkularisierte Mensch seine wahre und vielfach vergessene, ja immer wieder zertretene Menschlichkeit in ihm wieder finden kann, … Evangelisch ist, in die Fußstapfen der Menschlichkeit Jesu zu treten.‘

Als einer der Autoren der Leuenberger Konkordie hat Paolo Ricca maßgeblich zur Selbstverständigung des Protestantismus beigetragen und die innerevangelische Ökumene vorangebracht. Das Stichwort von der ‚versöhnten Verschiedenheit‘, die Unterschiede aushalten kann, weil sie im Gebet und im Hören auf Gottes Wort ihren Grund hat, ist bis heute leitend. In unserer Zeit der zugespitzten Identitätsdebatten ist und bleibt Leuenberg ein wichtiges Korrektiv!

Paolo Ricca wurde am 19. Januar 1936 in Torre Pellice (Italien) geboren. Nach dem Abitur in Florenz studierte er Theologie an der Theologischen Fakultät der Waldenser in Rom, in den USA und in Basel. In Basel wurde er mit einer Arbeit über die Lehre von der Endzeit im Johannes-Evangeliums promoviert. Er lehrte an der Fakultät der Waldenserkirche, war 15 Jahre lang Mitglied in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf. Zwei Amtszeiten lang war er Präsident der Bibelgesellschaft in Italien und machte sich als Herausgeber von Luthers Werken in italienischer Sprache verdient.

Wir danken Gott für das Geschenk und die Botschaft, die er uns mit Paolo Ricca anvertraut hat. Die protestantische Welt trauert um einen großen Theologen und Lehrer. Wir werden ihn vermissen.“


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