23.09.2024

Landesbischof Gohl predigt anlässlich „75 Jahre Grundgesetz“

„Jeder Mensch hat eine Würde, die nicht zur Disposition steht. Sie gilt gegenüber einem entfesselten Kapitalismus ebenso wie gegenüber der Gefahr eines totalitären Staates.”

Anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Grundgesetz“ predigte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in der Stadtkirche von Brackenheim, Geburtsort von Bundespräsident Theodor Heuss, einem der Väter und Mütter des Grundgesetzes. Die komplette Predigt finden Sie unten als Download.

In seiner Predigt am 22. September in der Stadtkirche Brackenheim anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Grundgesetz“ wies Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl auf den Zusammenhang des Grundgesetzes mit dem christlichen Menschenbild und den großen Traditionen der Bibel hin.  

Landesbischof Gohl nannte vier praktische Impulse, die sich aus dem engen Zusammenhang zwischen christlichem Menschenbild und dem Schutz der Menschenwürde nach Art.1 des Grundgesetzes ergäben:

Als ersten Punkt führte er den Widerspruch zwischen Äußerungen des AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke aus Thüringen und dem christlichen Menschenbild auf: „Wer die Menschenwürde derart mit den Füßen tritt, ist für Christinnen und Christen nicht wählbar“, sagte Gohl und bezog sich damit auf eine Äußerung Höckes, der in einem Vortrag das Reproduktionsverhalten von Schwarzafrikanern auf die Stufe von Bakterien und anderen niederen Lebewesen stellte. „Ein solcher moralischer Bankrott hat Deutschland und die Welt schon einmal in die Katastrophe gestürzt. Das sollten wir gelernt haben.“, mahnte Gohl.  

Im zweiten Impuls wies Gohl auf den Gottesbezug hin: „Sowohl der Schutz des Lebens wie seine Aufwertung entstehen in der Vorstellung eines Gegenübers, Gott.“ Er betonte vor allem den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. Dies spiele laut Gohl nicht nur in ethischen Fragen der Digitalisierung, sondern auch in der aktuellen Diskussion um den assistierten Suizid eine zentrale Rolle.  

Im dritten Punkt ging Gohl auf die Freiheit des Menschen ein. In unserer modernen, hochtechnisierten Welt würde laut Gohl zunehmend vergessen, „dass menschliches Leben sich stets in der Grundstruktur der Abhängigkeit von anderen vollzieht.“ Angewiesenheit sei jedoch nicht das Gegenteil von Autonomie, so Gohl weiter, sondern frei, mit dieser Angewiesenheit umzugehen. „Das Wissen um die Annahme durch Gott ermöglicht erst wahre Freiheit.” 

Im vierten und letzten Punkt betonte Gohl die Wichtigkeit eines europäischen Denkens und der Unterordnung nationalstaatlicher Interessen. Erst so könne das Friedensprojekt Europa gelingen, denn „Eine wichtige Lehre zweier Weltkriege war die Erkenntnis, dass Nationalismus in die Katastrophe führt.“  

Als Beispiel für einen Akt der Versöhnung und Überwindung des Nationalismus führte Gohl ein geschichtsträchtiges Ereignis an, dass sich am 22. September 1984, genau vor 40 Jahren, ereignete. Der französische Staatspräsident Francois Mitterand reichte bei einer Gedenkfeier in Verdun dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Schlachtfeld einer der grausamsten Schlachten des 1. Weltkrieges die Hand.

Im Folgenden drückte er seine Sorge über die aktuellen Bestrebungen einiger Nationalstaaten aus, ihre Grenzen zu schließen, anstatt als europäische Gemeinschaft miteinander nach tragfähigen Lösungen zu suchen. „Getrieben von rechten Populisten scheint es nur noch darum zu gehen, Geflüchtete mit allen Mitteln abzuwehren. Es geht nicht um Zahlen und Kontingente. Es geht immer um einzelne Menschen.“, führte Gohl weiter aus. Dabei nannte er ein Beispiel, dass kürzlich mitten in der Nacht bei Tübingen eine Familie mit Kindern im Alter von 3 und 7 Jahren abgeschoben worden sei, die in Ausbildung und Schule eingebunden und auch Dank ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer gut integriert gewesen sei. Er gab jedoch zu bedenken, dass eine Regulierung der unkontrollierten Zuwanderung wichtig sei und machte auf die Überforderung sozialer Institutionen aufmerksam. „An den Grenzzäunen muss sich der Schutz der Menschenwürde immer neu bewähren. Das Grundgesetz ist dabei der verlässlichste Anker.“ 

Warum fand die Predigt in Brackenheim statt?

Brackenheim ist die Geburtsstätte von Theodor Heuss, der 1949 von der Bundesversammlung in Bonn zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Heuss war Mitglied des Parlamentarischen Rats, der mit der Ausarbeitung des Grundgesetzes beauftragt war. Er formulierte die bis heute gültige Präambel des Grundgesetzes, die „vom Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ spricht. Nach der Präambel folgt mit Art. 1 der berühmte Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 

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