Seitenweises Auswendiglernen und Frontalunterricht - so etwas gibt es heute in kaum einer Kirchengemeinde mehr, sagt Wolfgang Ilg, Professor für Jugendarbeit und Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg. Die Konfirmanden-Arbeit habe sich gewandelt - und sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche, so Ilg. In diesem Interview erklärt er, wie moderner Konfi-Unterricht aussieht und wohin er sich entwickeln sollte.
Dieses Jahr lassen sich wieder in vielen evangelischen Kirchengemeinden Jugendliche konfirmieren. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Trends?
Prof. Dr. Wolfgang Ilg: Die Konfirmanden-Arbeit ist nach wie vor ein Erfolgsmodell, zeigt unsere 3. Konfi-Studie, die im Sommer veröffentlicht wird. Durchschnittlich besuchen in Deutschland 80 Prozent der evangelischen Jugendlichen, also vier von fünf, typischerweise ein Jahr das pädagogische Angebot der Konfi-Arbeit und lassen sich dann am Ende auch tatsächlich konfirmieren. So eine Reichweite hat die Kirche eigentlich in keinem anderen Bereich.
Wie erklären Sie sich das? Warum ist die Konfi-Zeit nach wie vor doch sehr attraktiv für evangelische Jugendliche?
Ilg: Die Arbeit hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Lange war es eher eine Art Unterricht am Mittwochnachmittag, der stark mit Auswendiglernen verbunden war. Jetzt geht die Konfi-Arbeit mehr von den Bedürfnissen und Fragen der Jugendlichen aus; die stehen im Vordergrund.
Da gehört auch stark dazu, dass die Arbeitsformen sich geändert haben und man viel von der Jugendarbeit gelernt hat. Ganz zentral sind immer die Konfi-Camps und Konfi-Freizeiten, bei denen man intensive Zeit miteinander verbringt.
Kann es auch sein, dass für viele immer noch Taufe und Konfirmation zum Evangelischsein dazugehört?
Ilg: Ja. Interessant ist, dass die befragten Jugendlichen zwar durchaus angeben, dass sie das machen, weil es eine Familientradition ist oder sie sich auch auf das Geld und die Geschenke freuen, die mit der Konfirmation verknüpft sind. Aber diese Motive sind weniger stark als der Wunsch, sich tatsächlich mit Fragen des Glaubens auseinandersetzen und wissen zu wollen, was dieser christliche Glaube bedeutet, in den sie ja als Kind typischerweise hineingetauft wurden.
Was ist mit dem einen Fünftel der Evangelischen, das sich nicht konfirmieren lässt? Was sind da die Gründe?
Ilg: Über die sogenannten „Nonfirmanden“ wurde noch kaum geforscht. Ein Grund ist sicher, dass in einer Zeit, in der Entscheidungen zunehmend individuell getroffen werden, es auch erwartbar ist, dass weniger an einem Konfirmationsangebot teilnehmen. Der Anteil ist zwar gering, stieg in den letzten Jahren aber allmählich an.
Lassen sich auch junge Menschen konfirmieren, die zuhause nicht oder nur wenig religiös aufgewachsen sind?
Ilg: Seit vielen Jahren gibt es bereits das Phänomen, dass ungefähr sechs Prozent eines Konfi-Jahrganges zu Beginn nicht getauft sind, zumeist kommen die aus wenig religiösen Elternhäusern. Bei dieser Gruppe steht noch viel stärker als bei den anderen im Vordergrund, dass sie in dieser Zeit etwas über den Glauben an Gott erfahren wollen. Und interessanterweise wollen gerade diese Jugendlichen nach der Konfi-Zeit stärker als die anderen mit der Kirche verbunden bleiben und sich dort engagieren, wie unsere Studien ergaben.
In den Landeskirchen gibt es keinen anderen Ort außerhalb der Kindertaufe, wo in so großen Zahlen Menschen getauft werden. Die Konfirmation ist deshalb auch ein großes offenes Tor zu Glauben und Kirche.
Zeigt Ihre Studie auch, welche Angebote oder Formate Jugendliche im Konfirmationsalter besonders ansprechen?
Ilg: Es geht nicht so sehr um Formate, sondern um die Haltung bei den Zuständigen. Und da braucht es zwei Dinge: Erstens muss es den Jugendlichen Spaß machen. Und zweitens müssen sich die Jugendlichen ernst genommen fühlen. In der Konfi-Zeit erleben viele Jugendliche tatsächlich, dass ihre Fragen eine Rolle spielen - ihre Glaubensfragen, aber auch Grundfragen des Lebens, wie: Was bin ich eigentlich wert?
Natürlich gibt es passende und weniger passende Formate in der Kirche für junge Menschen. In vielen Gemeinden müssen die Jugendlichen nach wie vor regelmäßig den Gottesdienst besuchen, aber es ist oft so, dass sie dort nicht wirklich etwas für sich mitnehmen - 30 bis 40 Prozent finden Gottesdienste langweilig. Deshalb sollte man ernster nehmen, was es auch unter der Woche an kirchlichen Jugendangeboten gibt und andere jugendgerechte Formate stärken.
Und dann kommt die Konfirmation - was kann man machen, damit die Konfirmierten weiterhin im Kontakt mit der Kirche bleiben?
Ilg: Ein Vorschlag wäre: Ladet doch mal die Konfirmierten fünf Jahre nach dem Fest zum Pizzaessen ein und kommt einfach in Austausch über das, was ihnen in den letzten Jahren begegnet ist, wo der Glaube eine Rolle gespielt hat oder auch erschüttert worden ist. Die Jugendlichen würden dann spüren: Die Kirche ist an uns und unseren Ideen interessiert.
Ich nenne das salopp die „goldige Konfirmation“. Die Goldene Konfirmation nach 50 Jahren ist überall eingeführt, aber es wäre auch Gold wert, mal die 19-Jährigen einzuladen.
Als Professor an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg koordinieren Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Henrik Simojoki von der Humboldt-Universität in Berlin ein europäisches Forschungsprojekt zur Konfi-Arbeit. Ist die Situation in anderen europäischen Ländern vergleichbar mit Deutschland?
Ilg: Es gibt tatsächlich verblüffende Ähnlichkeiten in den Ländern, die wir untersucht haben, wie zum Beispiel die sehr hohe Konfirmationsquote - auch wenn in fast allen Ländern ein rückläufiger Trend zu erkennen ist, so wie in Deutschland. Eine zunehmende Distanz zur Kirche zeigt sich also auch in anderen Ländern.
Es gibt auch bestimmte lokale Unterschiede: So sind Polen und Österreich in unserer Forschungsgruppe mit dabei - beides sehr stark katholisch dominierte Länder. Hier hat die Konfirmation noch einmal einen völlig anderen Stellenwert, da sie in einer Minderheitensituation stark zur evangelischen Identität beiträgt.
Interessant ist auch, dass in unserer internationalen Studie zum Konfi-Jahrgang 2021/22 in Skandinavien die Jungen eine stärkere Nähe zu Glauben und Kirche haben als die Mädchen. Das ist ein bisher ganz atypisches Muster, weil in allen anderen Ländern die Mädchen diejenigen sind, die besser mit kirchlichen Themen und Angeboten erreicht werden. Hier scheint sich zumindest in Skandinavien ein Trend ein stückweit umzukehren - vielleicht ist es auch ein Hinweis darauf, dass sich da allgemein etwas ändert und die eher vernachlässigte Gruppe der Jungen und der Männer in der Kirche vielleicht doch stärker erreicht wird.
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