Zum letzten Mal in der aktuellen Legislaturperiode sind auf Einladung des Ersten Vize-Präsidenten der EU-Kommission, Margaritis Schinas, zehn Religionsvertreterinnen und -vertreter aus Judentum, Christentum und Islam zum jährlichen hochrangigen Treffen der Religionsführer zusammengekommen. Thema des Treffens war in diesem Jahr „die Situation der EU in Zeiten der Instabilität.“ Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wurde von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl vertreten.
Gohl unterstrich bei dem Treffen, dass 2024 ein entscheidendes (Wahl-)jahr für die Europäische Union sein werde, in dem wichtige Weichen für unsere gemeinsame Zukunft gestellt werden. „Die Zukunft der EU treibt auch die Kirchen und ihre Mitglieder um“, so der Landesbischof. Es gebe eine große Sorge, dass in Zeiten von zunehmender Polarisierung und multiplen Krisen die Extreme gestärkt aus den Europawahlen hervorgehen könnte. Die Synode der EKD habe deshalb im November 2024 auf ihrer Tagung in Ulm einen Beschluss zu den Europawahlen gefasst. Darin bittet die Synode den Rat der EKD und die Landeskirchen u. a., zur Teilnahme an den Wahlen aufzurufen und auf die politische Bedeutung der Europawahlen aufmerksam zu machen. Es gehe darum, „die Europäische Union als Werte- und Solidaritätsgemeinschaft weiterzuentwickeln und als Stabilitätsanker in bewegten Zeiten zu stärken“, so Gohl.
Die evangelischen Kirchen in Deutschland wollten sich vor Ort für eine aktive Debatte über europapolitische Fragen engagieren, betonte der Landesbischof weiter. Es gehe um wichtige Zukunftsthemen wie etwa Migration, Rechtsstaatlichkeit, Klima-, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Sicherheit und Verteidigung oder die nötigen Reformen der EU vor einer neuen Erweiterungsrunde.
Vor dem Hintergrund, dass Vize-Präsident Schinas für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts zuständig ist, betonte der Landesbischof, dass die EKD sich „bis zuletzt für eine Reform eingesetzt habe, die internationale Menschenrechtsstandards und den individuellen Zugang zum Asylrecht ermöglicht“. Die bislang bekannt gewordenen Kompromisse zur Reform der EU-Asyl- und Migrationspolitik insbesondere im Hinblick auf die verpflichtenden Asylgrenzverfahren und die mögliche Inhaftierung von Familien mit ihren Kindern in Lagern an den EU-Außengrenzen sehe man sehr kritisch. Die Europäische Kommission sei bei der Überprüfung der europarechtskonformen Umsetzung der neuen Regeln besonders gefragt, darauf zu achten, dass Aufnahme- und Verfahrensstandards durch die EU-Mitgliedsstaaten eingehalten und Menschenrechte auch an den EU-Außengrenzen gewahrt bleiben.
„Als evangelische Christen beobachten wir mit größter Sorge die Zunahme rassistischer und antisemitischer Straftaten und Übergriffe in der EU“, unterstrich Gohl weiter. „Wir treten entschieden jeder Form von Rassismus und Antisemitismus entgegen und setzen uns für ein friedliches und respektvolles Miteinander aller Religionen in Europa und der Welt ein.“ Es sei der evangelischen Kirche ein Anliegen, dass unsere jüdischen und muslimischen Geschwister ohne Angst in unserer Gesellschaft leben können und das Recht auf ungestörte Religionsausübung für alle Menschen garantiert bleibt.
Gohl hob hervor, dass evangelische Christinnen und Christen in Deutschland für das Existenzrecht Israels einstehen und klar Nein sagen zu jeglicher Form von Antisemitismus. Gleichzeitig unterstrich er, dass sich die EKD für ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern einsetzt und Empathie für das Leid von Israelis und Palästinensern für die evangelische Kirche kein Gegensatz ist.
Er mahnte auch, dass die EU angesichts der zahlreichen Herausforderungen, sei es im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine, bei den notwendigen Reformschritten im Angesicht bevorstehender Erweiterungsrunden oder auch bei wichtigen Gesetzgebungsvorhaben im Bereich Klima- und Umweltschutz, beieinanderbleiben müsse.
Die evangelischen Kirchen hätten innere Spaltungen durch die Vision einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit überwunden. Er zeigte sich überzeugt, dass dieser ökumenische Weg des Miteinanders auch für die EU hilfreich sein könne, um den anstehenden Herausforderungen zu begegnen.
Hintergrund
Der griechische EU-Kommissar Schinas, zuständig für die „Europäische Art zu leben“, trägt im Kabinett von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch die Verantwortung für den Dialog mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. An dem Dialogtreffen nahmen ferner der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, sowie der Sonderbeauftragte für Religionsfreiheit außerhalb der EU, Frans van Daele, teil.
Um die Bedeutung des Dialogs der EU mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu betonen, hat der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, 2005 erstmals hochrangige Vertreter der Religionen in Europa zu einem „High-level religious leaders´ meeting“ eingeladen. Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist der Dialog mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Primärrecht der EU verankert.
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