Seit 20 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen der württembergischen Landeskirche und der evangelisch-lutherischen Kirche in Georgien. Aus diesem Anlass besuchte im April eine kleine württembergische Delegation die georgische Partnerkirche: Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel (Leiter des theologischen Dezernats), Kirchenrätin Dr. Susanne Schenk (Theologische Referentin des Landesbischofs der württ. Landeskirche) sowie Marc Frédéric Muller (Inspecteur der Église Protestante Unie de France, Région Est–Montbéliard, ebenfalls eine Partnerkirche Württembergs). Im Folgenden finden Sie einen Bericht über diese Reise von Prof. Dr. Ulrich Heckel.
Vor 200 Jahren sind viele schwäbische Pietisten nach Georgien ausgewandert. Nach der Wende hat Landesbischof Dr. Gerhard Maier 2004 die Urkunde für die Partnerschaft zwischen der evangelisch-lutherischen Kirche in Georgien und der württembergischen Landeskirche unterzeichnet „zur Vertiefung der persönlichen und gemeindlichen Verbundenheit in Wort und Tat“.
Zum 20-jährigen Jubiläum haben Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel und Kirchenrätin Dr. Susanne Schenk zusammen mit dem neuen Inspecteur Marc Frédéric Muller der württembergischen Partnerkirche aus Montbéliard (Région Est–Montbéliard der Église Protestante Unie de France) die Synode der georgischen Partnerkirche in Tiflis besucht. Im Zentrum standen Berichte von Bischof Rolf Bareis, einem württembergischen Pfarrer, und aus den Gemeinden sowie der Haushaltsplan und Fragen der Kirchenmitgliedschaft. Als äußeres Zeichen partnerschaftlicher Verbundenheit hat die Delegation eine württembergische Kirchenfahne und eine Spende für die Türen am Toraschrein in der Peace-Cathedral überreicht, mit der die Gemeinde in Tiflis eng zusammenarbeitet. Der Toraschrein dient zur Aufbewahrung der Tora (das Alten Testament der christlichen Bibel) für die Schriftlesung im Gottesdienst der Synagoge. Die Jubiläumssynode schloss mit einem Gartenfest.
Auf Initiative von Bischof Rolf Bareis soll die Neubearbeitung der Stuttgarter Erklärungsbibel von 2023 rasch in die georgische Sprache übersetzt werden. Der Vorsitzende der Georgischen Bibelgesellschaft Bischof Malkhaz (Mitte, mit langem Bart) erklärte sein großes Interesse an dieser Neubearbeitung für die Ökumene in Georgien. Am Ende verständigten sich beide mit Ulrich Heckel über Eckpunkte des Übersetzungsprojekts und die ersten Schritte bis zum Vertragsabschluss mit der Deutschen Bibelgesellschaft. Die Übersetzung ins Georgische ist als Pilotprojekt geplant, dem dann zeitnah eine Übersetzung ins Russische folgen soll.
Auf Einladung des armenischen Botschafters Dr. Ashot Smbatyan nahm die Delegation an der Gedenkfeier für die Opfer des Völkermords an den Armeniern im Jahr 1915 teil. Leitgedanke war die Mahnung zur Versöhnung zwischen den Völkern, zur Achtung der Menschenwürde und der Religionsfreiheit. Der Botschafter bekräftigte seine Dankbarkeit für dieses deutliche Zeichen der Solidarität mit den Armeniern.
Als Auftakt einer internationalen Vortragsreihe sprach Prof. Dr. Ulrich Heckel vor Dozenten und Studierenden der staatlichen Ilia Universität über die Taufe im Neuen Testament. Der Vortrag zeigte die biblischen Grundlagen auf, die alle Kirchen verbindet, doch wurden in der lebhaften Diskussion auch Unterschiede deutlich, die zwischen den Konfessionen heute bestehen.
Den Sonntag Kantate feierte die Delegation mit der Gemeinde in der Friedenskirche in Rustavi. Ulrich Heckel predigte über den Christushymnus im Kolosserbrief. Das Liedersingen verbindet die ersten Christen mit den heutigen Gemeinden. Mit dem Liederdichten trug Martin Luther zur praktischen Umsetzung der Reformation in den Gemeinden bei. Vor 500 Jahren wurde 1524 das erste evangelische Gesangbuch mit acht Liedern gedruckt, das sog. Achtliederbuch. Heute sind die Partnerkirchen durch den gemeinsamen Liederschatz verbunden, aus dem mehrsprachig gesungen wird. Anschließend wurde im Kirchgarten gefeiert.
Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien und dem Südlichen Kaukasus (ELKG) geht im Wesentlichen auf schwäbische Einwanderer zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück, nach der Sowjetzeit wurde sie wieder gegründet; auch wenn es kaum biographische Kontinuitäten gibt, gilt die ELKG in Tbilisi vielen doch als „deutsche“ Kirche. 2004 wurde der Partnerschaftsvertrag zwischen der Ev. Landeskirche in Württemberg und der ELKG unterzeichnet. Zum 20jährigen Jubiläum haben dieses Jahr beide miteinander die bzw. einen Großteil der Finanzierung der Toraschreintüren in der Synagoge an der Peace Cathedral übernommen. Mit dieser „Partnerschaftsaktion“ wollen sie ein Zeichen dafür setzen, dass zu ihrer Partnerschaft der gemeinsame Einsatz für Versöhnung und ein friedliches gesellschaftliches Miteinander gehört.
Peace-Cathedral in Tbilisi
Die Peace-Cathedral ist die Hauptkirche der Evangelical Baptist Church in Georgia (peacecathedraltbilisi.org), einer „Minderheitskirche“ (ca. 80% der georgischen Bevölkerung gehören zur Georgisch-Orthodoxen Kirche). Zuständiger Bischof ist Dr. Malkhaz Songulashvili, der auch Professor an der staatlichen Universität ist und einen Forschungsschwerpunkt in jüdischer und muslimischer Theologie hat (mehr Informationen). Die Gemeinde der Peace-Cathedral ist eine wichtige Partnerin für die ELKG in ihrem Einsatz für ein offenes Miteinander der Menschen, Konfessionen und Religionen in der georgischen Hauptstadt.
Synagoge an der Peace-Cathedral
Laut Songulashvili gab es in Georgien früher „keinen“ Antisemitismus. Mit dem seit den 1990er Jahren wachsenden georgischen Nationalismus, der sich stark mit der orthodoxen Kirche verbindet, wachsen nun in Georgien Antisemitismus und auch Feindseligkeit gegenüber Muslimen. Angesichts dessen haben Songulashvili und die baptistische Kirche es unternommen, als Zeichen und Praxisort des friedlichen interreligiösen Miteinanders an die Peace-Cathedral auf der einen Seite einen Synagogenraum, auf der anderen Seite einen islamischen Gebetsraum anzubauen – beides jeweils mit Beratung durch Gelehrte der jeweiligen Religion. Beide Räume sind gut angenommen worden. Ein großer Begegnungsraum ist noch im Bau. Im Kirchenschiff (eine ehemalige Lagerhalle der Sowjetzeit) finden regelmäßig gemeinsame Friedensgebete statt. 2023 hat Songulashvili für dieses Friedensprojekt den erstmalig verliehenen Friedenspreis des House of One (Berlin) erhalten (house-of-one.org).
Die Peace Cathedral selbst hat nicht die Mittel, das Projekt zu finanzieren, sie ist dafür auf Spenden angewiesen. Mit einer besonderen Regel wird die Spendenpraxis in den Versöhnungsprozess einbezogen: Wer spenden will, kann dies nicht für den Gottesdienstraum der eigenen Religion tun; Muslime können nur für die Synagoge spenden, jüdische Menschen nur für den Moscheeraum. Und das gelingt, wie nicht zuletzt die – internationalen – Spenderlisten zeigen, die jeweils am Eingang hängen. Muslimische Gläubige beten in einem Raum, den Jüdinnen und Christen für sie bauen; Jüdinnen und Juden feiern in einer Synagoge, für die Christinnen und Muslime spenden.
Für die ELKW und die ELKG steht der Beitrag zum Aufbau eines Synagogenraums in Osteuropa über den aktuellen georgischen Kontext hinaus im Zusammenhang der Versöhnungsverantwortung gegenüber dem Judentum, die sie als – im engeren und im weiteren Sinn – deutsche Kirchen bleibend haben.
Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt