Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hat in den vergangenen Wochen betont, die AfD sei für Christinnen und Christen nicht wählbar. Im folgenden Interview begründet er seine Haltung und spricht über weitere Fragen des Miteinanders von Kirche und Politik. Zugleich betont Gohl, dass in der Kirche alle Menschen willkommen sind, „auch Menschen, die die AfD wählen.“
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Herr Landesbischof Gohl, sind Menschen, die die AfD wählen, in der Kirche willkommen?
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl: Selbstverständlich sind alle Menschen in der Kirche willkommen, auch Menschen, die die AfD wählen. Aber ich würde mir wünschen, dass wir in den Kirchengemeinden darüber einen Diskurs führen, und dass vielleicht auch ein AfD-Wähler oder eine AfD-Wählerin verstehen, dass die Haltung des Rechtsextremismus mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar ist.
Warum haben Sie mehrfach gesagt, dass die AfD für Christen nicht wählbar sei?
Landesbischof Gohl: Ich habe mir überlegt: Wie hätte ich in den 1930er Jahren entschieden? 1945 hat jeder gewusst: Die NSDAP kann man als Christ nicht wählen. Wir haben eine Entwicklung in der AfD von der rechtspopulistischen Partei zur rechtsextremen Partei. Und wenn man den Herrn Höcke hört, ist das eine so fundamentale Abwertung anderer Menschen, dass man da frühzeitig sagen muss: Für Christinnen und Christen ist das unvereinbar mit unserem Glauben. Und nichts anderes habe ich getan.
An welchen Maßstäben richten Sie Ihre Beurteilung aus?
Landesbischof Gohl: Für uns als Christinnen und Christen ist natürlich die Bibel der Maßstab. Und wenn man die Bibel liest, vom ersten bis zum letzten Kapitel, geht es immer auch um das Thema Gerechtigkeit. Es geht darum, dass es eben nicht egal ist, wie es deinem Nächsten geht! Damit haben übrigens die ersten Christen überzeugt, dass sie sich um alle gekümmert haben. Ob es ein geborener Römer, ein Christ, ein Jude oder einer war, der an heidnische Götter geglaubt hat: Völlig egal! Man hat ihm geholfen, weil das der Auftrag von Christus ist.
Gab es eine Reaktion der AfD?
Landesbischof Gohl: Auf meine erste Aussage hin, dass die AfD für Christen nicht wählbar ist, hat die Fraktion ein Statement abgegeben. Wie Extremisten sind: keine Argumente, sondern nur Drohungen. „Wir werden der Kirche das Geld abdrehen“. Und dann eine Lüge: „Die Kirchen haben da ihr Flüchtlings-Geschäftsmodell, das stellen wir in Frage.“ Das ist völliger Quatsch. Die Kirchen investieren viel, viel Geld, eigenes Geld, und viele Ehrenamtliche engagieren sich. Warum? Weil es der christliche Auftrag ist, sich um Geflüchtete zu kümmern.
Wie gehen Sie mit den massiven Reaktionen von Menschen um, die sich Äußerungen gegen die AfD verbitten und mit Kirchenaustritt drohen?
Landesbischof Gohl: Ich versuche, mit den Menschen direkt ins Gespräch zu kommen. Manchmal sind sie erstaunt, wenn ich sie frage: „Warum kommt ein Mensch dazu, die AfD zu wählen?“ und wenn sie dann das Gefühl haben, man hört ihnen zu, man sieht auch ihre Nöte. Aber dann formuliere ich auch immer wieder klar: Als Christ kann ich keine Menschen wählen, die gegen Ausländer und Migranten hetzen. Das geht einfach nicht. Denn wenn wir eins wissen aus der Bibel, dann dass der Fremde einfach unter dem Schutz Gottes steht. Und das müssen wir ernst nehmen. Deshalb braucht man hier Widerspruch und Differenzierung. Das sind Gespräche, die manchmal gut laufen. Aber manchmal sagt man dann auch: „Na ja, wir kommen halt nicht näher.“ Aber mir ist wichtig, dass diese Menschen spüren, dass ich Respekt vor ihnen habe. Ich werte niemanden ab, weil er eine andere Position hat.
Können Sie Menschen verstehen, die die AfD wählen?
Landesbischof Gohl: Ich kann Menschen verstehen, die mit der Politik unzufrieden sind. Und das ist das gute Recht in einer Demokratie. Und ich kann verstehen, dass Menschen sagen: Ich will auch zeigen, dass ich anders denke. Aber ich kann nicht verstehen, dass man Äußerungen von Herrn Höcke hört, diese Menschenverachtung hört, und dann dennoch AfD aus Protest wählt. Das halte ich einfach für einen falschen Weg. Und da fehlt mir jedes Verständnis auch im Blick auf unsere deutsche Geschichte. Einmal reicht. Wir brauchen kein zweites Mal.
Wie passt Ihr Statement zur AfD zu ihrer früheren Aussage, dass man sich bei Predigten politisch zurückhalten sollte?
Landesbischof Gohl: In der Predigt hat Parteipolitik nichts verloren. Dieser Überzeugung bin ich nach wie vor. Aber wenn eine Partei massiv die Menschenwürde in Frage stellt, differenziert zwischen Ausländern, Migranten und Menschen, die in Deutschland geboren sind, dann widerspricht das einfach fundamental unserer christlichen Überzeugung. Deshalb ist es eine theologische Aussage und keine politische.
Kann ein Mitglied der AfD ein Amt in der Kirche übernehmen?
Landesbischof Gohl: Wer einer extremistischen Partei angehört, kann in meinen Augen in einer Kirchengemeinde kein Amt übernehmen. Aber wir müssen das sauber prüfen und da gibt es natürlich auch Rechtsgrundlagen. Deshalb würde ich das eher positiv formulieren und sagen: „Wir als Kirche, als christliche Kirche, stehen für Offenheit. Wir kümmern uns um Menschen, die in Not sind. Und wir sind vor allem gegen Hetze und die Vergiftung der Atmosphäre, indem man einfach alle, die anders denken als man selbst, zu Systemparteien oder ähnlichem macht.
Was halten Sie davon, aus Protest eine extremistische Partei zu wählen, auch wenn man mit deren Positionen in Teilen oder in Gänze gar nicht einverstanden ist?
Landesbischof Gohl: Extremistische Parteien aus Protest zu wählen, sowohl links als auch rechts, halte ich für nicht klug. Wir haben es in unserer Geschichte erlebt: Im Dritten Reich waren viele Menschen unzufrieden und haben deshalb die NSDAP gewählt, eine rechtsradikale Partei. Wie das geendet hat, das wissen wir alle: in einer einzigen Katastrophe. Deshalb ist wichtig, dass man sein demokratisches Recht nutzt, dass man wählen geht, unterschiedlich, und das dann auch adressiert an Abgeordnete, und sagt: „Ich bin nicht zufrieden mit der Politik, die ihr macht“, aber niemals Extremisten wählt. Auch nicht aus Protest.
Was ist mit dem Thema Linksextremismus?
Landesbischof Gohl: Linksextremismus ist natürlich genauso schädlich. Ich habe mich dazu auch schon geäußert. Jeder Extremismus ist schädlich, weil Extremismus alle Menschen, die nicht so denken wie er, verachtet. Und das passt nicht. Aber der Linksextremismus ist gerade nicht unser Problem. Wir diskutieren gerade in Thüringen, dass wir da unter Umständen einen rechtsextremen Ministerpräsidenten haben werden. Deshalb sollten wir uns da auch nicht ablenken lassen. Im Moment ist das Thema der Rechtsextremismus. Aber Extremismus verurteile ich, ob links oder rechts oder religiös.
Warum äußern Sie sich politisch?
Landesbischof Gohl: Das Evangelium spricht in die Welt hinein. Jesu Botschaften, wenn man etwa die Bergpredigt hört, kann man durchaus auch politisch verstehen. Und wenn ich mich nicht äußere, dann ist das genauso eine Meinungsäußerung. Deshalb ist mir wichtig, dass wir uns immer wieder am Evangelium orientieren, dass wir sagen, wir äußern uns als Christinnen und Christen und nicht als irgendeiner Partei zugehörig.
Aber wenn ich zu Äußerungen von Herrn Höcke schweigen würde, dann würde ich so handeln wie die Kirche in den Dreißigerjahren, als die Kirche viel zu lange geschwiegen hat gegen die Menschenverachtung von Rechtsextremisten, das habe ich für mich daraus gelernt.
Wo sind für Sie Grenzen zu ziehen zwischen Kirche und Politik?
Landesbischof Gohl: Das muss man im Einzelfall schauen. Schwierig wäre es, wenn ich einen Wahlaufruf für irgendwelche Parteien formulieren würde, oder wenn ich unter demokratischen Parteien Positionen ergreifen würde, weil Demokratie davon lebt, dass es unterschiedliche Positionen und auch unterschiedliche Lösungsvorschläge gibt. Es wäre schwierig, wenn man in irgendwelchen Sachfragen sagen wollte, dass man eine bestimmte Partei wählen soll. Wahlempfehlungen halte ich nicht für sinnvoll. Das wird jetzt wieder als Widerspruch gehört, aber ich empfehle nicht, sondern ich sage nur: Rechtsextremisten können wir als Christinnen und Christen nicht wählen.
Wie entscheiden Sie, wozu Sie sich äußern? Was ist Ihr Maßstab?
Landesbischof Gohl: Da ist für mich die Heilige Schrift der Maßstab und dann natürlich auch die öffentliche Debatte. Was für Themen treiben grade die Menschen um? Da bin ich dann in der Funktion als Bischof gefordert, einen Standpunkt zu vertreten. Da ist dann nicht die ganze Kirche. Das sagt dann der Bischof und daran können sich dann die Kirchenmitglieder orientieren. Sie dürfen sich auch gut protestantisch über den Bischof ärgern. Aber ich möchte schon auch meine Möglichkeit nutzen, ein Stück weit zur Orientierung beizutragen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet.
Werden Sie sich häufiger zu politischen Themen äußern?
Landesbischof Gohl: Ich werde mich nicht häufiger äußern, weil ich als Hauptaufgabe die geistlichen Themen und Fragen sehe, die die Menschen umtreiben, gerade in unserer Zeit großer Unsicherheit. Es ist eine geistliche Frage: Wo finde ich Sicherheit? Und die finde ich wirklich im Glauben, und deshalb gehe ich keinen Extremisten auf den Leim. Deshalb halte ich es auch aus, dass es auf manche Fragen keine einfachen Antworten gibt. Und das ist unser Beitrag, den wir als Kirchen in diese unsicheren Zeiten eintragen können, dass man sagt: Im Vertrauen auf Gott halte ich aus, dass es keine schnellen Antworten gibt.
War Jesus politisch?
Landesbischof Gohl: Das ist eine umstrittene Frage. Aber ich sage: Natürlich hat sich Jesus politisch geäußert. Er sagt zu Petrus: Steckt dein Schwert ein! Also Jesus hat eine sehr pazifistische Position vertreten. Und dennoch halte ich es im Moment für richtig, dass wir der Ukraine helfen, sich zu verteidigen, weil Jesus auf der anderen Seite auch sehr für die Gerechtigkeit eingetreten ist. Und einen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt es nicht. Und genau diese Ambivalenzen auszuhalten, ist unsere Aufgabe. Jesus war durchaus politisch und er wurde ja auch als politischer Verbrecher von den Römern hingerichtet. Jesus hat, auch in der Tradition des Alten Testaments, immer gerade die soziale Dimension betont, dass man füreinander sorgt. Matthäus 25: Wo haben wir dich gesehen? Im bedürftigen Menschen ist Christus präsent. Und das ist eine politische Aussage. Deshalb ist es nicht egal, wie wir als Gesellschaft mit der Armut umgehen, mit Menschen, die am Rand stehen, mit Menschen, die im Gefängnis sind. Deshalb gibt es bei uns Gefängnisseelsorge, weil Jesus die Gefangenen besucht hat. Das sind lauter Beispiele von politischem Handeln, das bei uns immer ein bisschen diskreditiert wird, weil man das sehr schnell parteipolitisch versteht. Parteipolitisch war Jesus natürlich nicht. Aber er hat gewusst: Das Evangelium wirkt in die Welt. Und deshalb ist es politisch.
Politisches Engagement und ein Kirchenamt – verträgt sich das?
Landesbischof Gohl: In meine Augen vertragen sich politische Engagement und Kirchenamt. Aber man muss wissen, wo man es macht. Ich bin parteipolitisch nicht gebunden. Ich bin auch in keiner Partei. Das ermöglicht mir Freiheiten. Aber es gibt genauso Christinnen und Christen, die in einer Partei sind, auch Bischofskollegen und -kolleginnen. Aber die müssen dann einfach aufpassen, dass man Aussagen nicht einseitig parteipolitisch versteht. Aber als Christ sich politisch zu engagieren, halte ich für eminent wichtig.
Warum ist es wichtig, dieses Jahr zu den anstehenden Wahlen zu gehen?
Landesbischof Gohl: 2024 ist es sehr, sehr wichtig, zur Wahl zu gehen, weil wir zwei entscheidende Wahlen haben. Einmal, das spricht für die Demokratie im Kleinen, die Kommunalwahlen und dann die Europawahlen, der größte Rahmen, den wir haben. Und beides ist eminent wichtig, weil demokratische Parteien darum ringen: Was sind die besten Lösungen? Und deshalb kann ich nur ermutigen: Gehen Sie zur Wahl, aber wählen Sie keine Extremisten, sondern wählen Sie demokratische Parteien, weil nur die in der Lage sind, im Austausch miteinander gute Lösungen zu finden. Die sind nicht immer einfach, aber es sind die besten Lösungen, die Demokratien hinbekommen. Deshalb: wählen.
Die Fragen stellten Dan Peter (Sprecher der Landeskirche), Nadja Golitschek (Stellvertretende Sprecherin der Landeskirche) und Mario Steinheil (CvD der Pressestelle)
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