In seinem Impuls zum Reformationstag 2023 denkt Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl darüber nach, was Menschen für ein gutes Leben und für gute Entscheidungen brauchen.
Von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl
Wie komme ich gut durchs Leben? Was brauche ich dazu?
Ist es genügend Geld? Ist es die nötige Sicherheit? Sind es Menschen, die für mich da sind?
Wie komme ich gut durchs Leben? Jede und jeder von uns hat da wohl seine ganz persönliche Antwort. Im Alltag aber spielt diese Frage meist keine große Rolle. Ohne groß darüber nachzudenken, erlebe ich, was es dazu braucht und was nicht: Familie, Freundinnen und Freunde. Ein Auskommen. Eine gute Ausbildung. Ein Zuhause.
Was aber, wenn sich mein Leben plötzlich verändert? Was, wenn alte Sicherheiten wegbrechen? Menschen fliehen vor Krieg und Vertreibung. Ihr gewohntes Leben müssen sie zurücklassen. In Israel besuchen junge Israelis ein Musikfestival und werden Opfer eines bestialischen Terrorangriffs. Opfer von Hass, Gewalt und Krieg.
Viele, die jetzt flüchten, haben oft nicht mehr bei sich als einen Rucksack. In ihm sind die wichtigsten Habseligkeiten verstaut. Materiell müssen sie entscheiden: Was brauche ich am dringendsten? Neben dem Handy, etwas Geld, eine Flasche mit Wasser und ein wenig Kleidung. Meist haben sie auch Fotos ihrer Familie dabei – ausgedruckt oder auf dem Handy. Fotos, die zeigen: Da gehöre ich hin. Das war meine Heimat.
Der heutige Reformationstag ist eine gute Gelegenheit darüber nachzudenken, was wir in unseren Lebensrucksack einpacken. Mir geht es jetzt nicht um das Handy oder die EC-Karte. Mir geht es um die Frage: Was nehme ich an Werten, an Entscheidungen für mein Leben mit? Wie packe ich meinen Lebensrucksack? Welche Rolle spielt mein persönlicher Glaube?
Der Reformationstag macht einen Vorschlag für eine solche Lebensliste. Heute geht es nicht um die Zukunft der Kirche oder um einen Geburtstagsgruß an Martin Luther. Heute geht es um die Antwort auf die Frage: Wie komme ich gut durchs Leben? Was brauche ich dafür?
Martin Luther las jeden Tag in der Bibel. Ihm war die Bibel so wichtig, dass er sie sogar ins Deutsche übersetzt hat. Hätte Luther einen Reiserucksack besessen, er hätte eine Bibel hineingetan.
Beim Lesen fiel Luther immer wieder auf, dass es in der Bibel um eine grundlegende Unterscheidung geht, um die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Luther ging sogar so weit und sagte: Wenn Du Gesetz und Evangelium unterscheiden kannst, dann hast Du das Wesentliche erkannt. Dann bist Du klar im Glauben und im Leben.
Mir hilft dieser Impuls. Denn Luther sagt nicht: Es gibt die eine Sache, die das Leben gut macht, z.B. Liebe, Geld, Gott, Heimat. Das wäre dann doch zu einfach. Nicht nur in unseren Zeiten, wäre es unklug, alles auf ein Pferd zu setzen. Wenn Sicherheiten wegbrechen und man auf das falsche Pferd gesetzt hat, steht man ziemlich einsam da.
Aber wenn Luther von Gesetz und Evangelium spricht, geht es ihm auch nicht um zwei Sachen. Ihm geht es um die Unterscheidung.
Wenn ich mich entscheide, was gut für mein Leben ist, dann treffe immer wieder Ent-Scheidungen. Ganz simpel z.B. zwischen gut und böse oder zwischen arm und reich, einsam oder zweisam. Aber nicht immer sind diese Entscheidungen so eindeutig zu treffen. Was ist richtig? Was ist falsch? Wie sollen wir uns in einem politischen Konflikt verhalten?
Mit seiner Unterscheidung nimmt Luther eine grundsätzliche Klärung vor. Zum guten Leben mit Gott gehört beides: Gesetz und Evangelium.
Das Gesetz sagt mir, was richtig ist und wie ich handeln soll, um die Ordnung mit den anderen nicht zu gefährden. Manchmal kann dieser Anspruch so groß werden, dass er kaum noch in den Rucksack passt. Das Evangelium sagt mir: So oder obwohl du so bist, wie du bist, bist du richtig. Gott schenkt dir seine Liebe.
Beides gehört zusammen – Gesetz und Evangelium. Aber oft verwechseln wir sie.
Wenn wir etwa denken: Ich bin nur ok, wenn ich das tue, was anderen gefällt. Das geht nicht gut. Oder, wenn ich denke: Gott ist so sehr Liebe, dass das Böse von selbst verschwindet. Dann geht das auch nicht gut. Der Blick in die Ukraine oder der Terrorangriff auf Israel zeigen: Das Böse mit seiner Gewalt gibt es. Um es zu begrenzen, braucht es das Gesetz.
Die Geschichten der Bibel kann ich nicht oft genug lesen. Auch deshalb, weil sie helfen, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium einzuüben. Wie etwa in der bekannten Geschichte vom barmherzigen Vater.
Ein Sohn zwingt seinen Vater, dass er ihm sein Erbe auszahlt. In Saus und Braus führt er nun ein scheinbar glückliches Leben. Dann gerät er unter die Räder. Als der Sohn schließlich ganz unten ist und nicht aus, noch ein weiß, kehrt er zu seinem Vater zurück. Er rechnet mit dem Schlimmsten. Was das Gesetz sagt, weiß er. Doch er erlebt das Gegenteil: Sein Vater hält ihm seine Gesetzesverstöße nicht vor und schickt ihn nicht weg. Dazu hätte er alles Recht gehabt. Umgekehrt: Der Vater nimmt seinen Sohn in die Arme, freut sich unendlich und richtet ihm ein großes Fest aus. Das ist das Evangelium!
Geschichten wie diese vom verlorenen Sohn helfen mir, ein gutes Leben zu führen. Gerade in Krisenzeiten geht es um die richtigen Entscheidungen. Gesetz und Evangelium – mehr braucht es dazu nicht.
Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt