30.07.2023

„Kirche ohne Mitglieder? Nachdenken über die Rechtsgestalt korporativer Religion ...“

Bericht von einer Fachtagung in Tübingen

Am 29. und 30. Juni 2023 fand in Tübingen eine Tagung statt zum Thema „Kirche ohne Mitglieder Nachdenken über die Rechtsgestalt korporativer Religion - Zugehörigkeit und Mitgliedschaft angesichts der Profilbildung der Diakonie.“ Unten auf dieser Seite finden Sie dazu die Langfassung des Tagungsberichts zum Download.

Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel

Am 29. und 30. Juni 2023 versammelten sich auf dem Schloss Hohentübingen, auf Einladung von Prof. Dr. Michael Droege und Prof. Dr. Ulrich Heckel, Vertreterinnen und Vertreter aus Rechtswissenschaft, Theologie und diversen kirchlichen Einrichtungen, um gemeinsam im Rahmen der durch das Institut für Recht und Religion organisierten Tagung „Kirche ohne Mitglieder? Nachdenken über die Rechtsgestalt korporativer Religion, Zugehörigkeit und Mitgliedschaft angesichts der Profilbildung der Diakonie“ insbesondere über die Rolle und Bedeutung der Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften und die soziale Verfassung von Religion nachzudenken und zu diskutieren.

Oberkirchenrätin Prof. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg

Der erste Tag stand dabei zunächst unter dem Zeichen der theologischen und binnenrechtlichen Positionen zu Mitgliedschaft und Zugehörigkeit.

Nach einer Begrüßung und Einführung durch Prof. Dr. Michael Droege bereitete Prof. Dr. Annette Noller (Diakonisches Werk Württemberg) den Tagungsauftakt, die in ihrem Vortrag zur „Diakonie als Wesensäußerung der Kirche“ insbesondere deutlich machte, dass ein Festhalten an der Kirchenmitgliedschaft nicht zukunftsfähig und ebenso ein Rückzug in Zeiten der Krise der falsche Weg sei. Vielmehr müsse die Wichtigkeit und Richtigkeit von Diversität in der Diakonie gesehen werden. Im Anschluss betrachtete Prof. Dr. Wilfried Härle (Universität Heidelberg) aus evangelischer Sicht die Kirchenzugehörigkeit diakonischer Mitarbeiter und fixierte, dass ein Ordnungsrahmen für die Tätigkeit und das Verhalten in allen diakonischen Einrichtungen notwendig und geboten sei. Nach der Mittagspause setzte sodann Prof. Dr. Ulrich Heckel (Oberkirchenrat, Leiter Dezernat 1 Evangelische Landeskirche in Württemberg) die Suche nach der theologischen Reaktion für die Änderungen im diakonischen Leben fort und betonte, dass Glaube und Liebe zusammengehörten und deshalb das Anknüpfen an die Kirchenmitgliedschaft keine Ausgrenzung, sondern die Wahrnehmung der positiven Religionsfreiheit bedeute.

Die übrigen Vorträge des ersten Tages beleuchteten abschließend verschiedene Perspektiven der Religionszugehörigkeit: Prof. Dr. Thomas Meckel (Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen), Dr. Dr. Anargyros Anapliotis (LMU München), Prof. Dr. Ronen Reichman (Hochschule für jüdische Studien Heidelberg) sowie Prof. Dr. Serdar Kurnaz (Humboldt-Universität Berlin) zeigten dabei die Sicht der katholischen Kirche, orthodoxer Kirchen, jüdischer bzw. muslimischer Religionsgemeinschaften auf die Frage der Kirchen- bzw. Religionsmitgliedschaft auf.

Den zweiten Tagungstag eröffnete der Vortrag von Prof. Dr. Georg Lämmlin (Sozialwissenschaftliches Institut der EKD). Dessen religionssoziologische Perspektiven verdeutlichten, dass es dringend Zeit sei, über Fragen der Kirchenmitgliedschaft und des „belonging“ zu sprechen. Im Anschluss ging Prof. Dr. Eilert Herms (Universität Tübingen) der Frage nach, was die communio sanctorum im pluralistischen Gemeinwesen auszeichne und betonte, dass die Begründung diakonischer Aktivität im Gottesdienst erfolge sowie einer Klärung christlicher Weltanschauung und des Sinns christlichen Glaubens bedürfe.

Die letzten vier Vorträge führten sodann abschließend zu einem Perspektivenwechsel im Rahmen der Tagung, indem nach den Ordnungsleistungen der staatlichen Rechtsordnung und deren Rahmung religiöser Zugehörigkeit gefragt wurde. Prof. Dr. Michael Droege (Universität Tübingen) machte deutlich, dass die säkulare Rahmenordnung des Religionsverfassungsrechts ein weites Feld für selbstverständnisgeleitete religiöse Organisationsstrukturen eröffne. Prof. Dr. Lars Leuschner (Universität Osnabrück) zeigte auf, dass das Vereins- und Gesellschaftsrecht ein breites Instrumentarium für Religionsgemeinschaften biete, um ihren Tätigkeiten (insb. in der Wohlfahrtspflege) auch in Form privatrechtlicher Organisationen nachzukommen. Anschließend verdeutlichte Prof. Dr. Hermann Reichold (Universität Tübingen), dass insbesondere seit der Rechtsprechung des EuGH ein Wendepunkt im kirchlichen Arbeitsrecht eingetreten sei, weshalb auch hier für das Arbeitsrecht ausschließlich die Tätigkeit und nicht das sonstige Verhalten der Mitarbeitenden relevant sein könne. Den Abschluss der Tagung bereitete Dr. Michael Frisch (Oberkirchenrat, Leiter Dezernat 6 Evangelische Landeskirche in Württemberg), indem er am Beispiel der Evangelischen Landeskirche in Württemberg den Blick auf Mitgliedschaft und Reformdiskussionen im evangelischen Kirchenrecht lenkte.

Die Tagungsbeiträge werden in einem Tagungsband in der Schriftenreihe des Instituts für Recht und Religion „Untersuchungen über Recht und Religion“ des Mohr Siebeck Verlages erscheinen.

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