In einem Fachgespräch mit dem chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu und Kirchenvertreterinnen und -vertretern ging es um die Situation der Religionen in China und wie sich die Lage der Christinnen und Christen sowie der Gemeinden in den vergangenen Jahren entwickelt hat.
Am 18. Januar hat er vor 550 Personen die 2. Stuttgarter Zukunftsrede im Stuttgarter Rathaus gehalten. Um die Situation der Religionen in China und wie sich die Lage der Christinnen und Christen sowie der Gemeinden in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ging es am Tag danach im Stuttgarter Hospitalhof in einem Fachgespräch mit dem chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu.
Das Gespräch hatten Kirchenrätin Dr. Christine Keim, Leiterin des Referats Mission, Ökumene und Kirchlicher Entwicklungsdienst, sowie Monika Renninger, Leiterin des Bildungszentrums Hospitalhof, und Pfarrer Christoph Hildebrandt-Ayasse vom Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) in Heilbronn, organisiert.
2014 erschien Liao Yiwus Buch „Gott ist rot – Geschichten aus dem Untergrund“ über verfolgte Christinnen und Christen in China. Das Buch eröffnete Einblicke in das Leben von Christen in China. Wie hat sich die Situation der christlichen Gemeinden entwickelt? Zu vier Themen gaben Expertinnen und Experten jeweils einen kurzen Einstiegsimpuls.
Im Mittelpunkt stand zunächst die Entstehung des Buches. Liao Yiwu führte dafür zwischen 2006 und 2008 Interviews mit Christinnen und Christen. Er reiste in abgelegenste Bergdörfer in der Provinz Yunnan, um Menschen zu treffen, die seit vielen Generationen und allen Widrigkeiten zum Trotz an ihrem christlichen Glauben festgehalten hatten. Vor allem in ihrer Jugend in den 1950er-Jahren während der Kulturrevolution wurden diese Menschen stark verfolgt.
„Als Aufzeichner muss man sehr treu sein, das ist Beruf und Berufung“, erklärte Liao Yiwu sein Vorgehen. Seine Absicht sei es gewesen, eine Skizze der „kleinen Leute“ zu zeichnen, die sonst kein Gehör gefunden hätten. Er habe den Menschen eine Stimme geben wollen, ihre Erinnerung müsse bewahrt werden.
Christoph Hildebrandt-Ayasse, der bereits als Pfarrer in Hongkong tätig war, erklärte das Verhältnis von Hauskirchen und „offizieller“ Drei-Selbst-Kirche in China. Hauskirchen sind nicht offiziell registrierte evangelische Gemeinschaften. Rund 50 Millionen Menschen besuchen sie. Außerdem gibt es in China die Patriotische Drei-Selbst-Bewegung und den Chinesischen Christenrat. Dies sind offizielle Dachorganisationen für Christinnen und Christen, die vor dem Hintergrund der Loslösung von ausländischen Missionsgesellschaften entstanden sind. Etwa 40 Millionen Menschen gehören dazu.
Vermutlich ist die Zahl an Christen in den offiziellen evangelischen Kirchen in den letzten Jahren durch massive Überwachung durch Kameras und Registrierung bei Kirchenbesuchen etwa aufgrund von Covid zurückgegangen. Rund zwölf Millionen Chinesinnen und Chinesen sind in der offiziellen Katholischen Patriotischen Vereinigung erfasst. Es gebe ein „Büro für Religionsangelegenheiten“ – bis 2018 eine eigenständige Behörde, seither integriert in die Einheitsfrontabteilung der Kommunistischen Partei, um Religion zu kontrollieren, sagt Liao Yiwu. Das Christentum sei besonders in der Verfolgung während der Kulturrevolution stark gewachsen, China habe sich gewissermaßen „selbst missioniert“, erklärt der Schriftsteller.
Wie ist derzeit die Situation der Religionen in China? Die Theologin und Sinologin Isabel Friemann, Leiterin der China-Infostelle in Hamburg, hat zehn Jahre lang in China gelebt und gearbeitet. Als sie 1990 in Shanghai studierte, hätten nur Christen und Künstler offen und interessiert mit ihr gesprochen. Das war noch zur Zeit des seit 1980 herrschenden „Christentumsfiebers“. Mit Xi Jinpings Beginn als Staatspräsident der Volksrepublik China 2013 habe eine neue Religionspolitik Einzug gehalten. Er habe eine „Sinisierung der Religion“ vorgegeben: Die Menschen sollten nur noch an den großen Führer glauben. Hauskirchen, zuvor in einem rechtlichen Graubereich, seien verboten worden.
Welche Rolle internationale kirchliche Kontakte spielten und ob diese einer Transformation nutzen könnten, wollte Eberhard Schwarz, Pfarrer an der Hospitalkirche, wissen. Die Kontrolle der Kommunistischen Partei sei hinderlich, so Liao Yiwu. Gegen internationale Kontakte werde zudem der Vorwurf des Imperialismus erhoben.
Ob eine kritische Masse der Gläubigen erwachsen könnte, die Einfluss auf das Gesamtgefüge nehmen könne, wollte Christoph Hildebrandt-Ayasse von dem Schriftsteller wissen. Es gebe kaum Einflussmöglichkeiten, antwortete Liao Yiwu. Isabel Friemann erkundigte sich, wie politisch Glaube und Religion seien. Die Politik sei religiös aufgeladen, so der Schriftsteller.
Liao Yiwu, geboren 1958, ist chinesischer Schriftsteller und Musiker. Seit den 1980er-Jahren ist er literarisch tätig. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 schrieb er das Gedicht „Massaker“, das sich rasch verbreitete. Für vier Jahre wurde er inhaftiert und während dieser Zeit schikaniert und gedemütigt. Die Zeit im Gefängnis verarbeitete er in dem Buch „Für ein Lied und 100 Lieder“.
Er hat einen Blick für die Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen, für die einfachen Menschen, für Menschen ohne öffentliche Stimme. Internationale Beachtung erfuhr er besonders durch sein Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“, das 2009 erschienen ist. Nach vielen Schwierigkeiten gelang ihm 2011 die Flucht nach Deutschland. Liao Yiwu lebt im Exil in Berlin. 2012 erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.