Evangelische Gemeinden aus den verschiedensten Herkunftsländern - verbunden im Konvent internationaler Gemeinden - sind ein wertvoller und bereichernder Teil der württembergischen Landeskirche. Oft nehmen die Mitglieder dieser kleinen Gemeinden weite Fahrtwege in Kauf, um sich zum Gottesdienst und zum Gemeindeleben zu versammeln, nicht selten in einer landeskirchlichen Kirche. So auch die evangelisch-vietnamesische Tin-Lanh-Gemeinde, die sich in Gerlingen trifft.
Sonntagnachmittag, 14 Uhr. In den Räumen der Evangelischen Lukasgemeinde Gerlingen bei Stuttgart findet ein zweiter Gottesdienst statt. Diesmal in Vietnamesisch. Seit zwanzig Jahren ist hier die Stuttgarter evangelisch-vietnamesische Tin-Lanh-Gemeinde zu Gast - gut 30 Personen unterschiedlicher Generationen. Junge Leute bringen sich in die musikalische Gestaltung ein. „Danach haben wir ein eigenes Programm. Die Predigt ist für uns sprachlich schwer zu verstehen, sobald es inhaltlich etwas tiefer geht“, erklärt Hai Nam Tran. Der 24-Jährige kam in Leonberg zur Welt und studiert Maschinenbau in Stuttgart-Vaihingen. „Meine Eltern sind nach dem Vietnamkrieg hierher geflohen. Mein Onkel, der damals schon gläubiger Christ war, hat ihnen von Jesus erzählt und sie in die Gemeinde eingeladen“, erzählt er.
„Mitte der achtziger Jahre wurden vietnamesische Gemeinden in Europa gegründet“, erklärt Thai An Vu. „Vietnamesische Christen haben ihre Landsleute in den Asylunterkünften besucht, ihnen in praktischen Fragen geholfen und sie mit dem Evangelium bekannt gemacht. Tin Lanh bedeutet Gute Nachricht.“ In Deutschland gibt es acht dieser evangelischen Gemeinden. Die Stuttgarter und Reutlinger Verantwortlichen sind im internationalen Konvent christlicher Gemeinden in Württemberg vertreten, der von der Landeskirche initiiert wurde.
Thai An Vus Vater, Ngoc Van Vu, war als Angehöriger der südvietnamesischen Armee nach dem Krieg in ein kommunistisches Umerziehungslager gebracht worden. Die englische Bibel, die er dort fand, interessierte den Buddhisten zunächst aus rein sprachlichen Gründen, war aber der Auftakt zu einem Leben als Christ. Um der Zwangsumsiedlung in den Norden seines Heimatlandes zu entgehen, nahm er das hohe Risiko der Flucht per Boot in Kauf.
1991, zwei Jahre, nachdem er schließlich in Deutschland angekommen war, konnte er seine Frau und die beiden kleinen Töchter nachholen. Thai An war damals sieben. Ihr Großvater mütterlicherseits hatte zu der ersten Generation Christen in Vietnam gehört, sodass ihre Mutter bereits christlich aufgewachsen war. Für die Familie war es selbstverständlich, sich in Bremen, ihrer neuen Heimat, einer Gemeinde anzuschließen - einer deutschen Baptistengemeinde.
Jahre später wurde Ngoc Van Vu gebeten, als Pastor Verantwortung für die vietnamesische Gemeinde in Stuttgart zu übernehmen. „Ich war damals vierzehn und fand das ziemlich uncool“, schmunzelt Thai An Vu, von der erwartet wurde, dass sie in dem traditionell vietnamesisch geprägten Gottesdienst Klavier spielen sollte.
Dass die inzwischen 38-jährige Stuttgarter Informatikerin bis heute mit Freude ehrenamtlich Verantwortung in der vietnamesischen Jugendarbeit übernimmt, liegt auch daran, dass die jungen Leute Strukturen gefunden haben, die helfen, mit Unterschieden in den Generationen und Kulturen umzugehen.
Ein Coachingprojekt, das die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) anbot, um die Jugendarbeit in den Migrantengemeinden zu stärken, mündete in der Gründung eines eigenständigen Vereins der Gemeindeglieder der zweiten und dritten Generation. 2011 entstand der Jugendverband der Evangelisch-Vietnamesischen Tin-Lanh-Gemeinden in Deutschland e.V., kurz jve (jung. vietnamesisch. evangelisch.) genannt, um die Arbeit der einzelnen kleinen Jugendgruppen vor Ort zu stärken und sich bundesweit untereinander und mit anderen evangelischen Partnern zu vernetzen.
Neben dem wöchentlichen Zoom-Meeting „jve Share&Care“ bieten nach Corona vor allem die Freizeiten, die über die aej mit Bundesmitteln gefördert werden, intensive Gemeinschaft, Glaubensstärkung und Spaß. Neben der deutschsprachigen Herbstfreizeit des Jugendverbands, die für alle Interessierten offen ist, gibt es eine generationenübergreifende Osterfreizeit aller acht Tin-Lanh-Gemeinden in Deutschland. Im Sommer findet zudem eine Gemeindefreizeit auf Europaebene statt - in Vietnamesisch für die Älteren, während die junge Generation ihr eigenes Programm auf Englisch abhält.
Übrigens hat die Stuttgarter Jugendgruppe inzwischen Unterstützung von überraschender Seite bekommen. „Ein aus der Ukraine geflüchteter Vietnamese, der dort Prediger in einer internationalen Gemeinde war, hilft uns jetzt“, so Hai Nam Tran.
epd
Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt