Pfarrer Dennis Müller (Eltingen-Ost) wollte zuerst Musik studieren, entschied sich dann – kurz vor Beginn des Studiums – für Theologie. Im Interview erzählt er, wie sich beides ergänzt, und warum er heute anders musiziert als früher.
Was verstehen Sie unter Ihrer Berufung?
Ich hatte in meiner Jugend immer wieder von Menschen gehört, die Berufungserlebnisse mit Bezug zum Pastorenamt hatten, z.B. ein Gebetserlebnis. Dem bin ich jedoch nicht weiter nachgegangen, für mich war als Jugendlicher die Musik das Wichtigste. Als Jugendlicher habe ich eine zweieinhalbjährige professionelle Ausbildung in Jazz und Popularmusik am Klavier gemacht. Das hat mich damals so begeistert, dass ich mich für ein Musikstudium entschieden habe. Ich habe mich an der Stuttgarter Musikhochschule für Schulmusik eingeschrieben, da ich zuerst Lehrer werden, und danach eventuell als freier Musiker arbeiten wollte.
Einige Wochen vor Beginn des Studiums, ich war 19 Jahre alt, habe ich dann jedoch mit meiner Entscheidung sehr gerungen. Mein Vater ist Arzt, in meiner Verwandtschaft gibt es einige Theologen – ich war unsicher, ob die Musik mein Weg sein sollte. Eines Abends saß ich in meinem alten Kinderzimmer am Schreibtisch und habe gebetet. Dann geschah etwas, was ich heute als meinen Berufungsmoment bezeichnen würde: Vor meinem Inneren hat sich damals ein Sternenhimmel gezeigt. Er war von einem tiefen Blau, es war wie ein Blick in die Weite des Universums.
In diesem Moment habe ich das Gefühl gehabt, Gott gehört, ihn gespürt zu haben. Ich war mir in diesem Moment sicher, dass die Theologie und das Pfarramt mein Weg sind. Man muss bei solchen Erlebnissen immer vorsichtig sein, da es emotional intensive Momente sind, sehr subjektiv, und man sie hinterher interpretiert. Aber: Ich habe ein inneres Berührtsein gespürt, dieses innere Bild war mit starker Emotion verbunden. Und ich hatte den Eindruck, dass ich diesen Weg gehen wollte.
Danach war ich sehr enthusiastisch und hatte keinen Zweifel daran: Ich bin Gott begegnet. Ich zog die Konsequenzen und schrieb mich anstatt für Musik für Theologie ein.
Im anschließenden Theologiestudium hatte ich manchmal auch starke Zweifel. Das Studium ist sehr lang und ich habe an meiner Berufungserfahrung gezweifelt. Ich habe mich gefragt: War es vielleicht Wunschdenken oder eine Flucht, so kurz vor anstehenden Prüfungen, so kurz vor dem Musikstudium?
Im Nachhinein betrachtet, gab es also auch schwere Phasen auf diesem Weg. Alles in allem bin ich aber sehr glücklich damit. Ich möchte aber betonen: Du kannst eine starke Berufung empfinden, aber es kann dennoch ein starker Kampf sein. Das ist wie bei den Menschen in der Bibel — auch sie machten unterschiedliche Erfahrungen mit ihrer Berufung.
Meine Berufung zur Musik ergänzt meine Berufung, Pfarrer zu sein: Das mit der Musik verbundene Gefühl, dass mich etwas tiefer angeht, hat sich über die Jahre verstärkt. Inzwischen hatte ich es immer öfter und nahezu regelmäßig. Zum Beispiel in einem Gottesdienst mit Konfis, vor zwei Jahren, beim Einzug. Ich empfand sehr stark, welche Ehre es war, mit den jungen Menschen einziehen zu können, und ich habe mich am richtigen Ort gefühlt. Das hat mich stark berührt.
Zur „Berufung“ als Musiker kann ich heute sagen: Die Leidenschaft für die Musik, die ich als Jugendlicher hatte, blieb auch nach meinem „Berufungserlebnis“. Aber: Ich habe mehr und mehr versucht, darin auch mein spirituelles Gefühl zum Ausdruck zu bringen.
Insgesamt musiziere ich anders als früher. Bevor ich studiert habe und Pfarrer wurde, habe ich hauptsächlich Spaß beim Musizieren empfunden, und mich nicht gefragt, warum ich es tue. Danach verband sich die Musik für mich immer öfter mit einem tieferen spirituellen Erleben.
Diese Verbindung erlebe ich zum Beispiel bei unseren Weihnachtskonzerten, da bin ich ergriffen und ich spüre, dass Gott da ist. Das spüren auch die Zuhörenden.
Ich verstehe also meine Grundberufung als Theologe im Pfarramt, und diese teilt sich auf – in das Pfarrersein und in das Musikersein. Durch diese beiden Standbeine fühle ich mich berufen: Ich möchte das Leben der Menschen besser machen, Heilung erleben, innerlich inspiriert werden, Gott erleben.
Aber: Dies alles ist zuweilen auch mit Zweifeln verbunden, mit einer Sinnsuche. Ich habe Probleme damit, wenn das Leben als Christ einfach dargestellt wird. Es ist oft mit Dunkelheit verbunden, auch wenn man auf dem richtigen Weg ist. Ich fühle mich beschenkt, aber nicht als Heiliger.
Allgemein möchte ich zur Berufung noch hinzufügen: Zum einen erlebt nach der evangelisch-lutherischen Tradition jeder Mensch seine Berufung. Diese allgemeine Bedeutung kam erst durch Martin Luther auf, vorher hat man die Berufung stark klerikal verstanden. Seit Martin Luther aber ist jeder Mensch von Gott in seinen Beruf berufen, in den Liebesdienst am Nächsten, zu Gott – es geht um das Priestertum aller Gläubigen. Jeder Mensch ist letztlich von Gott berufen. Der Kleriker war für Luther danach nicht „wertvoller berufen“ als der Laie, geistlich sind sie auf einer Ebene.
Zum anderen unterscheidet man die „vocatio interna“ – das innere Berufensein – das wäre bei mir jener Abend gewesen und das, was ich damals im Gebet erlebt habe. Davon zu unterscheiden ist die „vocatio externa“ – das waren bei mir Gespräche, das Studium und die Ordination, also die institutionelle Verankerung. Idealerweise läuft beides zusammen, beides ist gleich wichtig.
Wie wurden Sie berufen?
Neben dem geschilderten Erlebnis kann ich es auch an meiner Zeit als Zivildienstleistender in einem Altenheim in Ludwigsburg festmachen. Es hat mich sehr berührt, mit den älteren Menschen zusammen zu sein. Dort habe ich zum ersten Mal in einem Prospekt etwas über das Theologiestudium gelesen. Außerdem wurde ich durch andere Menschen inspiriert, durch Gespräche und durch Gottesdienste. Daraufhin habe ich mich gefragt: Ist die Kunst an sich so wichtig? Ist sie der Sinn deines Lebens?
Woran machen Sie es fest, berufen zu sein? Wie "fühlt" sich das an?
Ich erlebe es auf unterschiedliche Weise, zum Beispiel spüre ich regelmäßig, dass ich berührt bin – auch im Alltag. Das sehe ich als gutes Zeichen. Etwa vor kurzem im Religionsunterricht der 2. Klasse, als die muslimischen Kinder mit im Raum waren, weil ihre Lehrerin krank war. Ich habe mit den evangelischen Kindern über den Karfreitag und Ostern gesprochen, und die muslimischen Kinder wollten auf einmal mitdiskutieren. Es entwickelte sich ein schönes Gespräch. Ich war von diesem Austausch, von dem gegenseitigen Verständnis emotional ergriffen.
Wenn ich so etwas nicht mehr erleben würde, würde ich vermutlich an meiner Berufung zweifeln. Ich denke, wenn man in einem kreativen Beruf leidenschaftlich arbeiten will, braucht man diese Emotion. Diese Momente geben Sinn.
Gibt es Situationen, in denen Ihnen Ihre Berufung besonders hilft? Oder kann sie auch einmal eine Herausforderung sein?
Geholfen hat mir mein Erlebnis, indem es mir damals die richtige Richtung gewiesen hat. Im Tun habe ich danach erlebt, dass es genauso für mich einen Sinn ergab. Ich bin generell eher jemand, der handelt, der aktiv ist. Im Tun spüre ich den Sinn. In diesem Zusammenhang fällt mir das Zitat von Ignatius von Loyola ein: „Bete, als hinge alles von Gott ab. Handele, als hinge alles von dir ab.“
Eine Herausforderung ist meine Berufung für mich manchmal, weil ich das „kreative Berührtsein“ in verschiedenen Kontexten erlebe: Im Gebet, im Gottesdienst, beim Musizieren, aber auch auf Wanderungen, im Gespräch mit Freunden. Da dieses Gefühl so weit ist, fällt es manchmal schwer, dessen Mitte zu fassen, zu merken, worum es im Kern geht. Die Herausforderung besteht darin, die innere Stimme immer wieder zu hören und mich zu fragen: Was ist die kreative Kraft in mir? Es hilft mir dann, Orte aufzusuchen, an denen ich diese Stimme hören kann; ich meditiere jeden Morgen, aber dazu eignen sich viele Wege.
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