Auf die wachsende Armut im Land hat die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller, bei der Jahrespressekonferenz der Diakonie hingewiesen. Das wirkliche Ausmaß werde sich allerdings erst noch zeigen, weil viele Betroffene erst spät eine Beratungsstelle aufsuchen, es Wartelisten gibt und die Langzeitarbeitslosigkeit später eintritt. Zugleich fordert die Diakonie eine Erhöhung der Landesmittel zum Beispiel für die Schuldner- und Suchtberatung, da andernfalls deutliche Reduzierungen des Beratungsgangebots drohten.
„Wir gehen davon aus, dass jedes dritte Kind in Baden-Württemberg in einer von Armut betroffenen Familie lebt und wir beobachten einen zunehmenden Bedarf an Schuldnerberatung und Sozialberatung, wobei existenzsichernde Leistungen besonders notwendig sind“, sagte Noller. Auch die große Nachfrage in den Tafeln und Vesperkirchen zeigten die Probleme vieler Menschen, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Die Corona-Pandemie und die allgemeine Teuerung hätten das Überschuldungsrisiko steigen lassen. „Deshalb brauchen wir dringend einen flächendeckenden Ausbau sowie eine auskömmliche Finanzierung der Schuldnerberatung.“ Landeskirche und Diakonie in Württemberg selbst vergeben insgesamt 5,2 Millionen Euro an bedürftige Menschen. Dieser Zuwendungsfonds #miteinander speist sich aus den Kirchensteuermitteln, die aus der Energiepauschale gewonnen wurden.
Finanzvorstand Dr. Robert Bachert berichtete, dass Energiekosten und Inflation den Einrichtungen zusetzten. Wo Stadt- und Landkreise an der Finanzierung beteiligt sind, müssten oft über langwierige Einzelverhandlungen erhöhte Kosten geltend gemacht werden. In Arbeitsfeldern wie der Wohnungsnotfall- oder Arbeitslosenhilfe, aber auch für Beratungsdienste sei in der Regel keine Nachfinanzierung möglich. Für alle Bereiche gelte, dass es bei nicht leitungsgebundener Energie, also Öl- oder Pelletheizung, keine Unterstützung gibt.
Auf eine existenzgefährdende Lücke in der Finanzierung der Suchtberatungsstellen wies Oberkirchenrätin Annette Noller hin. Obwohl der Bedarf an Beratung steige, habe das Land die Mittel nicht erhöht, was zu Schließungen führen könne. Einem Antrag auf eine Erhöhung der Landesmittel sei nicht stattgegeben worden, obwohl durch die Pandemie und die Folgen des Ukraine-Krieges die Nachfrage nach Suchtberatung deutlich gestiegen sei. Bei Suchtberatungsstellen gebe es aktuell bis zu einem halben Jahr Wartezeit. Aus finanziellen Gründen würden bereits jetzt schon frei werdende Stellen in der Suchtberatung in manchen Fällen nicht mehr nachbesetzt.
Kornelius Knapp, Vorstand Sozialpolitik des Diakonischen Werks Württemberg (DWW), machte auf die Herausforderungen in der Pflege aufmerksam. Die Politik müsse die Pflegeausbildung stärken: Es brauche mehr Berufsberatung, internationale Jugendaustauschprogramme sowie eine Refinanzierung für die Pflegehelferausbildung. Dem Personalbedarf könne nur begegnet werden, wenn neben anderen Maßnahmen auch die Hürden für Zuwanderung in alle soziale Berufe gesenkt würden und die Migration zum Zweck der Ausbildung oder für ein Freiwilliges Soziales Jahr stark gefördert werde. Außerdem benötige die Anerkennung von Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden, noch zu viel Zeit, kritisierte Knapp. Knapp problematisierte die Praxis der Leiharbeit, mit der Zeitarbeitsfirmen Einrichtungen in Not brächten. Zur Finanzierung von Pflegeleistungen schlage die Diakonie Württemberg einen pauschalen Bundeszuschuss aus Steuermitteln vor.
Laut Robert Bachert, Finanzvorstand des DWW, wird voraussichtlich im Frühsommer 2024 ein Innovationszentrum der Diakonie Württemberg eröffnet. Auf 400 Quadratmetern soll im Ergänzungsgebäude des DWW, dem Weckherlin-Haus, ein Ort entstehen, in dem unter anderem im Verwaltungsbereich und in allen Hilfebereichen wie zum Beispiel Pflege die Digitalisierung vorangetrieben werden soll. „Allein im Haus durchlaufen rund 25.000 Menschen jährlich Fortbildungen. Sie wollen wir mit neuen Themen erreichen.“ Laut Annette Noller wolle man mit dem Innovationszentrum auch Einrichtungen in eine neue Zeit der Digitalisierung mitnehmen. „Wir werden nicht bestehen, wenn wir uns nicht zukunftsfähig aufstellen.“ Auch für Wertefragen, Vernetzungen und die Entwicklung von kreativen Geschäftsmodellen soll das Innovationszentrum eine Plattform werden.
Die Diakonie Württemberg ist die soziale Arbeit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Freikirchen. Das Diakonische Werk Württemberg mit Sitz in Stuttgart ist ein Dachverband für 1.400 Einrichtungen mit fast 50.000 hauptamtlichen und 35.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie begleiten Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen mit Behinderungen, alte und pflegebedürftige Menschen, Arbeitslose, Wohnungslose, Überschuldete und andere Arme, Suchtkranke, Migranten und Flüchtlinge sowie Mädchen und Frauen in Not. Täglich erreicht die württembergische Diakonie über 200.000 Menschen. Das Diakonische Werk Württemberg ist ebenfalls Landesstelle der Internationalen Diakonie, Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe und Hoffnung für Osteuropa.
Mit Material von epd