11.10.2023

„Mit Gottes Wort in Dialog treten“

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl predigt beim Pfarrerinnen- und Pfarrertag 2023

Am 9. Oktober fand in Reutlingen der württembergische Pfarrerinnen- und Pfarrertag mit rund 500 Teilnehmenden statt. Dieses jährliche Treffen wird von der Standesvertretung der Pfarrschaft veranstaltet, dem Evangelischen Pfarrverein in Württemberg e.V., der mit rund 3.600 Mitgliedern der größte seiner Art in Europa ist. Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hielt dort im Gottesdienst die Predigt über Psalm 1, die Sie hier im Volltext finden. 

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl predigte in der Reutlinger Marienkirche über Psalm 1.

„Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!“

Mit diesen Worten, liebe Schwestern und Brüder, endet das große Gebetsbuch Israels, das Buch der Psalmen. Auch für unser Gebet persönlich oder im Gottesdienst sind die Psalmen eine wertvolle Quelle. So wie heute beim Tag der württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrer.

Wenn wir hier in Marienkirche Gottesdienst feiern, ist dieses Gotteslob von Anfang an dabei. Wir danken Gott für alle Stärkung auf unseren Wegen.

Für allen Trost in Anfechtung. Trost in Anfechtung: Im Blick auf den Überfall der Terroristen der Hamas am Sabbatmorgen von Simchat Thora. Im Blick auf über 1000 ermordete Israelis – junge wie alte. Im Blick auf die tausenden von Verletzten und die vielen Entführten. Im Blick auf Israel, das verzweifelt um seine Existenz kämpft. Im Blick darauf liegt mir heute die Klage näher als das Gotteslob. Doch Gotteslob ist immer gebrochenes Lob. Die Psalmen reden sich die Welt nicht schön. Sie wissen um Hass, Gewalt und Krieg. Und das Lob blendet dies nicht aus. Umgekehrt: Das Lob preist Gott, der aus Gefahr rettet und stärker ist als alles Böse. In diesem Sinne tut mir das gemeinsame Gotteslob gut. Sich davon anstecken zu lassen, stärkt meinen Glauben.

„Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!“

Diese letzten Verse des Psalters sind kein Schlusspunkt. Sie stehen in lebendiger Beziehung zum Eingang des Psalters. In der württembergischen Reihe ist Psalm 1 der Predigttext für den 18. Sonntag nach Trinitatis. So bahnt der Schwung des Gotteslobes von Ps 150 den Weg zum Eingangstor des Psalters, zu Psalm 1. Wir hören Ps 1:

Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen

noch tritt auf den Weg der Sünder

noch sitzt, wo die Spötter sitzen,

sondern hat Lust am Gesetz des HERRN

und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!

Der ist wie ein Baum,

gepflanzt an den Wasserbächen,

der seine Frucht bringt zu seiner Zeit,

und seine Blätter verwelken nicht.

Und was er macht, das gerät wohl.

Aber so sind die Gottlosen nicht,

sondern wie Spreu, die der Wind verstreut.

Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht

noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.

Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten,

aber der Gottlosen Weg vergeht.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

eben noch haben wir das Gotteslob gemeinsam gesungen. Jetzt geht es um den Einzelnen. Mit einer Gegenüberstellung beginnt der Psalter: Hier der Gottlose. Dort der Fromme. Hier der, der auf dem Weg der Sünder wandelt und sitzt, wo die Spötter sitzen. Dort der, der Lust am Gesetz hat, der über ihm sinnt Tag und Nacht.

Wir wissen freilich: Im wirklichen Leben sind diese beiden Existenzen einander näher als uns oft lieb ist. Glaube und Zweifel gehen Hand in Hand. Für uns als Pfarrerinnen und Pfarrer ist diese Lebenseinsicht besonders prekär. Unsere theologische Existenz gründet am Sinnen über der Schrift. Der Pfarrer, die Pfarrerin als Schriftgelehrte, als Rabbi. Für viele ist das die Motivation, Theologie zu studieren und diesen Beruf zu ergreifen. „Er sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht“.

Zu den großen Freiheiten des Pfarrberufes gehört es, genau das tun zu können. Zeit für die Vorbereitung eines Gottesdienstes zu haben. Zeit für das Gebet. Zeit für die theologische Fortbildung. „Für all das haben wir viel zu wenig Zeit“, sagen mir viele Kolleginnen und Kollegen. Umso beglückender, wenn es doch gelingt: Im Pastoralkolleg, bei der persönlichen Bibellese oder den Losungen am Morgen.

Auf der anderen Seite plagt uns im Pfarrdienst oft die Erfahrung, dass unser Tun wenig nachhaltig ist. Warum werden so selten aus begeisterten Konfis Stützen der Gemeinde? Warum tritt das Brautpaar, das sich überschwänglich für die kirchliche Trauung bedankt hat, ein Jahr später aus der Kirche aus? Solche Erfahrungen zermürben und machen es der Hoffnung schwer.  

Ein Pfarrer erzählte mir, dass er über zwanzig Jahre mit großer Hingabe seinen Pfarrgarten gepflegt habe. Nach seinem Weggang war die Pfarrstelle ein Jahr vakant. In kurzer Zeit hatte sich das Unkraut den Garten zurückerobert. Gilt das auch für unser Tun als Pfarrerinnen und Pfarrer? Am Ende doch nur wie das Gras, das verdorrt?  

Wir können Psalm 1 mit Inbrunst beten. Aber eben auch mit Zweifel. Wie gut, wenn wir den richtigen Anfang erwischen.

Mit dem hebräischen Wort „aschrej“ wird der Psalm eröffnet. Eine Seligpreisung. „Wohl dem“, oder auch „Glücklich ist der Mensch“.  Bruchlos konnte man das nie nachsprechen – in einer Welt „Jenseits von Eden“. Damals nicht und auch heute nicht. Hinter uns liegen die Erfahrungen von Krieg, Hass, Gewalt und millionenfachem Leid. Vor uns liegt eine geschundene Erde und eine aus den Fugen geratene Welt.

Der jüdische Dichter Paul Celan hat dem „aschrej“, diesem ersten Wort des Psalters, ein nachdenkliches Denkmal gesetzt. In einem seiner letzten Gedichte findet sich die Zeile „aschrej – Wort ohne Sinn“.  An anderer Stelle erinnert Celan daran, wie nah der Jubel des hebräischen „aschrej“ dem jiddischen „a Schrei“ seiner bukowinischen Heimat ist.

Celan und mit ihm zahlreiche Gläubige bis heute, ringen um Gott, der den Schrei der Gottesferne zu seiner ureigenen Sache macht. Sie wissen: Den lebendigen Gott, habe ich nicht ein für alle Mal in der Tasche. Er muss immer wieder neu errungen werden.  In einem früheren Gedicht (Es war Erde in ihm) hat Celan dieses Tasten und Stottern auf dem Weg zum Gotteslob in eine eindrückliche Form gebracht: „O einer, o keiner, o niemand, o du“.  So spricht er zu Gott.   

Mit Gottes Wort in Dialog treten – das ist unser Anspruch und unser Auftrag als Pfarrerin und Pfarrer. Wir lernen mit den Grundschulkindern Psalm 23 auswendig: „Der Herr ist mein Hirte“. Mit den Konfis lernen wir fürs Abendmahl den Anfang von Ps 103: „Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“. An Karfreitag klagen wir mit der Gemeinde Ps 22: „Warum, Gott, hast Du mich verlassen“. Und an Erntedank beten wir den großen Schöpfungspsalm 104: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel“.  

Die Psalmen reden oft in Bildern von Gott. Bilder sagen mehr als Worte. Das Bild, das Psalm 1 uns anbietet, ist auf den ersten Blick ein Pfarrgartenidyll. Kein Unkraut. Keine abgeholzten Bäume. Keine Schneckenplagen. Stattdessen ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Dieser Baum ist nicht nur schön. Er ist an der richtigen Stelle gepflanzt. Es hat ausreichend Wasser. Er trägt Früchte und seine Blätter verwelken nicht.

Wenn wir jetzt im Spätsommer auf den Streuobstwiesen die Apfelbäume mit ihren roten Äpfeln sehen, wird deutlich, was Bäume auszeichnet: ihre Früchte. Das Neue Testament verwendet dieses Bild von den Bäumen und ihren Früchten mehrfach. Und auch für unseren Dienst als Pfarrerinnen und Pfarrer scheint mir dieses Bild wichtig. Welche Früchte trägt unser Dienst? Was erreichen wir mit der Verkündigung des Evangeliums?

Viele setzt dieses Bild unter Druck. Was muss ich leisten, damit mein Tun Früchte trägt? Die Debatte um die Messung der Arbeitszeit im Pfarrdienst hängt damit eng zusammen. Wann ist es gut? Wann habe ich genug getan und lege mein Werk in Gottes Hand? Psalm 1 lese ich in diesem Kontext auch als Anstoß darüber nachzudenken: Welche Früchte nähren mich an Leib und Seele?

Viele Kolleginnen und Kollegen im Pfarrdienst berichten von Erschöpfung, Ermüdung, Überforderung. In den letzten Jahren haben wir diese Debatte v.a. unter der Frage geführt: Was braucht es an Strukturen? Was braucht es an Mitteln und Ressourcen, um den Pfarrdienst leisten zu können? Und das ist auch richtig. Die Frage, was stärkt mich im Pfarrdienst, ist eine der Schlüsselfragen. In Psalm 1 höre ich aber, dass es nicht nur um Strukturen geht, sondern auch um das Stärken, das Nähren der Seele.

Wenn eine Pfarrerin oder ein Pfarrer neu in eine Gemeinde kommt, wird häufig die Frage nach den Hobbies gestellt. Natürlich schwingt da auch eine gewisse Neugier mit. Ich meine aber, viele dieser Freizeitbeschäftigungen haben eine zutiefst geistliche Dimension. Das Lesen eines Buches. Die Musik. Die Zeit draußen in der Natur. Bewegung und Sport. Das Zusammensein mit der Familie, Freundinnen und Freuden – all das ist es, was auch mich nährt und stärkt.

Was mich nährt, kommt von außen und dringt in mein Inneres. Aber wie das Gebet, hat dieses Nähren und Genährt-Werden eine Innen- und eine Außenseite. Als Pfarrerinnen und Pfarrer sind wir keine Eremiten. Wir leben nicht von der Welt abgeschieden. Der Baum tut das übrigens auch nicht. Peter Wohlleben, der bekannte Baumforscher, betont immer wieder, dass Bäume soziale Wesen sind. Über ihre Wurzeln und Zweige stehen sie in regem Austausch mit ihrer Umwelt.

Daher gefällt mir das Bild von den Blättern, die nicht verwelken, so gut. Die unverwelklichen Blätter drücken die Lebendigkeit des Baumes aus. Wer will schon ein welkes Blatt sein? Und die Blätter haben eine wichtige Funktion. Über das Blatt findet ein Austausch statt. Der Baum nimmt Licht und CO2 über die Blätter auf und wandelt sie um in Sauerstoff. Über die Blätter steht der Baum im Kontakt mit seiner Umwelt. Die Blätter von Psalm 1, stehen für die soziale Seite des Glaubens und unseres Berufs. Im Kontakt stehen. Gegensätze moderieren. Die Kommunikation des Evangeliums in allen ihren Schattierungen. Geistliche Osmose sozusagen.

Heute sind wir hier beieinander, feiern Gottesdienst und beten die Psalmen. Miteinander und füreinander. Aus dem einlinigen um-sich-selbst-Kreisen wird ein Zusammenspiel, das alle umfasst: „Alles was Odem hat. Lobe den Herrn“. So singt die Gemeinschaft der Glaubenden.

Wir wissen, wie die Welt ist. Und was wir sehen und hören, ruft die Sorgen auf den Plan. Immer und immer wieder. Aber wir bleiben nicht stumm.

Wir singen und beten. Immer und immer wieder ... „Wohl dem“ – „Aschrej“.

Amen.

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