Der Oberkirchenrat der Landeskirche erarbeitet zur Zeit eine Web-basierte Schulung zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Diese Schulung richtet sich an alle haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden der Landeskirche. Sie soll ab Herbst 2023 verfügbar sein und wird über die Dienststellen und Kirchengemeinden verbreitet. Im folgenden Interview erklärt Miriam Günderoth, Präventionsexpertin im landeskirchlichen Büro für Chancengleichheit, worum es dabei geht.
Wie geht es voran mit der Prävention und an wen richtet sich das Web Based Training (WBT)?
Miriam Günderoth: Wir entwickeln gerade mit dem Medienhaus gemeinsam ein eLearning im Format eines Web Based Trainings. Dies vermittelt die minimalen Grundlagen für alle Mitarbeitenden in unserer Landeskirche. Zielgruppe sind zuerst einmal alle Beschäftigten, die nach der Kirchlichen Anstellungsordnung (KAO) angestellt sind. Wir denken aber auch an eine Verwendung im Bereich der ehrenamtlich Mitarbeitenden in allen Bereichen unserer Landeskirche (z.B. Ehrenamtliche in Kirchengemeinderäten, ehrenamtliche Vorstände von Verbänden, Personen im Besuchsdienst, etc.)
Was ist neu daran – im Vergleich zu den bisherigen Schulungsangeboten im Rahmen des landeskirchlichen Schutzkonzeptes?
Miriam Günderoth: Gewünscht war ein Format, mit welchem eine erste flächendeckende Information bei allen Mitarbeitenden in der Landeskirche zum Thema erfolgen kann. Die Schulungsangebote durch Multiplikator*innen des Schulungskonzeptes „hinschauen-helfen-handeln“ sind weiterhin wichtige Orte für eine Haltungsentwicklung. Sie dienen zur Sensibilisierung von Mitarbeitenden und es muss diese auch weiterhin vertiefend regelmäßig in den Kirchenbezirken und Einrichtungen mit handlungsfeldspezifischen Schwerpunkten geben.
Welche Inhalte erwarten die Teilnehmenden?
Miriam Günderoth: Wir nehmen die Teilnehmenden in die Thematik des Umgangs mit sexualisierter Gewalt möglichst niederschwellig mit. Es geht um den Begriff der sexualisierten Gewalt, auch um Grenzverletzungen und Machtmissbrauch, um den Blick auf Betroffene und Tatpersonen, die Standards von Intervention in der Landeskirche sowie die Ansprechpersonen und die landeskirchlichen Bestimmungen aus dem Gesetz über Allgemeine Bestimmungen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt (kurz Allgemeine Gewaltschutzbestimmungen, AGSB).
Können Sie ein Beispiel für einen konkreten Baustein oder eine Übung aus dem WBT geben?
Miriam Günderoth: Im WBT werden die Teilnehmenden durch die verschiedenen Themen geführt. Neben kurzen Informationen gibt es Einschätzungsfragen und zusammenfassende Filme, Anleitungen zur Reflexion. Zum Beispiel gibt es eine Möglichkeit alltägliche Situationen einzuschätzen.
Ist das WBT verpflichtend?
Miriam Günderoth: Wir – und damit sind alle Mitarbeitenden eingeschlossen – haben auch durch das Gewaltschutzgesetz den Auftrag und die Verantwortung als Landeskirche hinzuschauen und bei Grenzverletzungen, sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch angemessen zu handeln. Es geht darum, dass wir als Teil der Gesellschaft in einem Bereich mit besonderer Verantwortung aufmerksame und informierte Mitarbeitende haben, die befähigt sind, bei Vermutungen hinzuschauen, angemessen zu handeln und wissen, wo sie Unterstützung erhalten.
Vielleicht gibt es Mitarbeitende, die der Ansicht sind, dass sie solch ein WBT entweder aus persönlichen Gründen oder in ihrem Arbeitsbereich nicht benötigen. Was würden Sie diesen Mitarbeitenden sagen?
Miriam Günderoth: Wir sind uns bewusst, dass es Personen gibt, die eigene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt machen oder gemacht haben. Wenn es Personen gibt, die aus ihrer Lebensgeschichte heraus das WBT nicht durchführen können, haben sie die Möglichkeit Teile des WBT zu überspringen oder sich an die Ansprechstelle der Landeskirche zu wenden. Dort wird mit Sicherheit eine Lösung gefunden.
Dass es Arbeitsbereiche gibt, welche die Informationen nicht benötigen, kann ich nicht unterschreiben! Wir wissen, dass es in allen Lebensbereichen Personen gibt, die sexualisierte Gewalt erlebt haben oder erleben, auch im Arbeitsalltag. Diese sollen ermutigt und informiert werden, dass auch sie Unterstützung erfahren können. Das Bewusstsein muss in unserer Landeskirche flächendeckend Verbreitung finden.
Es geht um die Notwendigkeit, Beobachtungen oder Erzählungen einzuordnen, eine Sprachfähigkeit zu entwickeln und den Schutzauftrag ernst zu nehmen.
Zudem sind wir durch das Gewaltschutzgesetz dazu verpflichtet. Es gibt auch eine Meldepflicht bei einem hinreichenden Verdacht der Ausübung sexualisierter Gewalt durch Mitarbeitende.
Immer wieder kommt der Vorwurf auf, die Kirche verstecke sich hinter abstrakten Begriffen und Absichtserklärungen. Können Angebote wie das WBT gegensteuern?
Miriam Günderoth: Diesem Vorwurf sind wir ausgesetzt, auch dass die Entwicklungen zu lange dauern. Die Verantwortungsübernahme bei diesem Thema muss in unserer Landeskirche flächendeckend Verbreitung finden. Eine Fachstelle kann das nicht stellvertretend für alle übernehmen. Von daher ist dieses WBT als ein Baustein im Prozess der Schutzkonzepte zu verstehen. Es geht nicht um das Abhaken von Aufgaben, sondern um eine Haltung und das braucht Zeit und Kommunikation.
Angenommen, ich habe am WBT teilgenommen. Was kann ich danach besser oder vielleicht sogar erstmals überhaupt?
Miriam Günderoth: Das WBT dient dazu, Bewusstsein zu schaffen, zu sensibilisieren, Wissen über Unterstützungsmöglichkeiten, Rechte und Pflichten zu erlangen. Wie schon gesagt, ist aber vor allem in pädagogischen, beraterischen, pflegerischen, seelsorgerlichen und bildenden Arbeitsfeldern die vertiefte und regelmäßige Auseinandersetzung und Reflexion auch nach dem WBT notwendig.
Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt