26.07.2022

Ernst-Wilhelm Gohls erste Predigt als Landesbischof

„Diese Liebe will ich in der Welt bezeugen“

Am 24. Juli ist Ernst-Wilhelm Gohl in einem festlichen Gottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche in sein Amt als württembergischer Landesbischof eingeführt worden. Dabei hielt er auch die Predigt über Mt 28,16-20. Hier können Sie die Predigt im Volltext nachlesen. Einen Video-Mitschnitt des Gottesdienstes finden Sie unten auf dieser Seite - die Predigt beginnt nach fast genau einer Stunde Videozeit bei 1:00:18. Ebenso finden Sie die Predigt unten als PDF-Download für bequemen Ausdruck.

Gottesdienst und Festakt zur Verabschiedung von Landesbischof Frank Otfried July und Amtseinführung von Ernst-Wilhelm Gohl.Ernst-Wilhelm Gohl bei seiner ersten Predigt als württembergischer Landesbischof auf der Kanzel der Stuttgarter Stiftskirche.

Liebe Gemeinde,

„Jesus Christus spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

Für mich verbinden sich diese Worte Christi mit einer Erfahrung, die ich am Beginn der Coronapandemie gemacht habe. Zu Beginn des ersten Lockdowns waren auch in Ulm die Straßen wie leergefegt. Angst und Sorge lagen über der Stadt wie der Nebel im Herbst. Im Kirchengemeinderat der Münstergemeinde haben wir damals beschlossen, ein Hoffnungszeichen zu setzen und haben ein großes Banner am Ulmer Münster angebracht. Wer trotz der Pandemie auf den Münsterplatz kam, sollte es lesen können. Wir haben lange nach passenden Trost- und Hoffnungsworten gesucht. Und schließlich haben wir diesen Vers auf das Banner geschrieben: „Christus spricht: Ich bin bei Euch alle Tage.“

Dieses Christuswort schlägt für mich die Brücke zum heutigen Tag.

Heute wie damals: Jesus ruft seine Jüngerinnen und Jünger zu sich. Nach Galiläa, in die Höhe, auf den Berg. Wer schon einmal auf einen Berg gestiegen ist, weiß, wie anstrengend das sein kann. Aber die Mühe lohnt sich. Denn Berge sind Orte für besondere Erfahrungen. Und wer oben ist, der sieht weiter als sonst. Er sieht bis zum Horizont.

Jesus ruft also seine Jünger zu sich. Er steigt mit ihnen auf den Berg – und sie schauen über Galiläa. Galiläa – das war ihre Heimat. Dort sind sie Jesus zum ersten Mal begegnet. Dort hat alles angefangen. Jetzt aber bahnt sich etwas Neues an. Jesus wird in den Himmel zurückkehren. Die Jünger zurück in die Welt. Und da sagt Jesus Christus zu ihnen:  

„Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“

Mit diesem Auftrag sollen die Jünger runter vom Berg - mitten in die Welt.

Sie sollen: 

Hingehen, Zuhören, Trösten.

Hingehen, Zuhören, erzählen, was wir glauben und hoffen.

Hingehen, Zuhören, Gemeinschaft erfahren.

Wenn wir heute fragen: Was ist der Auftrag der Kirche? Dann sind diese Worte Jesu der Maßstab: Wir gehen hin. Wir hören zu. Wir verkündigen die frohe Botschaft von Gottes Liebe. Diese Liebe verändert Menschen zum Guten. Sie gibt niemanden auf. Diese Liebe schaut nicht darauf, was jemand kann oder nicht. Wie ein liebender Vater schließt sie uns, ihre Kinder, in die Arme. 

Diese Liebe gilt der ganzen Welt. So verstehe ich meinen Dienst in der Kirche. Diese Liebe will ich in der Welt bezeugen. Zusammen mit allen Christinnen und Christen. Und wir sind eine bunte Schar. Das zeigt die Reaktion auf diesen Auftrag Jesu:

„Und als die Jünger Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten“

Als Pfarrer in Plochingen habe ich an der Hauptschule Religion unterrichtet. Einmal hat ein Neuntklässler zu mir gesagt: „Ich glaube nur, was ich sehe. Wenn ich Jesus sehen würde, würde ich auch glauben“. Ich habe ihm dann von Jesu Abschied auf dem Berg erzählt und von den zweifelnden Jüngern. Der Schüler konnte das gar nicht glauben: „Jünger, die zweifeln, die gibt’s nicht!“ Diese Antwort fand ich stark. Denn sei zeigt die Irritation. „Doch“, habe ich gesagt, „es gibt zweifelnde Jünger!“. Eine lebhafte Diskussion über Glauben und Zweifel kam durch diesen Schüler in Gang.

Und es ist doch auch irritierend! Solange waren die Jünger mit Jesus zusammen. Tag und Nacht. Sie haben seine Predigten gehört und seine Wunder gesehen. Haben seine Verhaftung miterlebt und mitbekommen, dass er gekreuzigt wurde. Und jetzt, wenn der Auferstandene vor ihnen steht, zweifeln einige trotzdem.

Auf dem Berg, hoch oben haben sie Angst. Und ich kann sie verstehen.  Ein solcher Auftrag kann einen schwindelig machen: Gottes Liebe in Wort und Tat aller Welt zu verkündigen. Als einzelne aber auch als Kirche scheitern wir immer wieder daran. Sei es, dass wir uns zu klein und unzulänglich fühlen.  Sei es, dass wir Gottes Liebe durch unser Tun verdunkeln. 

Jesus verliert kein Wort über den Zweifel. Er lässt ihn stehen. Neben der Anbetung. Seltsamer Weise gehört so der Zweifel zum Glauben. Ich finde das entlastend: Sich unzulänglich fühlen, nicht genug Vertrauen haben – das gehört dazu. Die Welt ist eben nicht schwarz oder weiß. Der Glaube ist es auch nicht. Es gibt die Grenzen der Erkenntnis. Und eine Kirche, die dem Zweifel keinen Raum lässt, wird zur Sekte.

Bei manchen Diskussionen gerade bei ethischen Fragen wünschte ich mir mehr Zweifel. Denn meist schafft eine einzige, alles andere ausschließende Lösung ja wieder neue Probleme. Wir erleben das in diesen Wochen bei der kontroversen Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Als Christinnen und Christen glauben wir an die Zusage Jesu aus der Bergpredigt: „Selig sind die Frieden stiften!“  Ich bin auch der Überzeugung, dass Frieden letztlich nicht mit Waffengewalt zu erreichen ist.

In der aktuellen Situation halte ich es aber für richtig, dass auch unser Land die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt. Wenn ein Land überfallen wird, Dörfer und Städte in Schutt und Asche gelegt werden, wenn grausame Verbrechen verübt werden, wenn Teile der Bevölkerung in den besetzten Gebieten deportiert werden – dann halte ich es für ethisch und christlich geboten, diesem Land zu helfen, sich gegen diesen brutalen Angriffskrieg zu verteidigen. Denn Frieden ohne Gerechtigkeit kann es nicht geben. Davon bin ich überzeugt.

Frieden ohne Gerechtigkeit würde nur den Sieg der Gewalt bedeuten.

Und dennoch bleiben Zweifel. Sie müssen bleiben! Um der Wahrhaftigkeit willen! Denn der oder die Zweifelnde weiß, es könnte auch alles ganz anders sein. Deshalb hält der Zweifel das Gespräch offen. Und dieses offene Gespräch brauchen wir unbedingt in unseren polarisierten Zeiten.

Noch einmal das Evangelium:  

„Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten“.

Ich lese diese unterschiedlichen Reaktionen nicht als besseren und schlechteren Glauben. Es sind unterschiedliche Haltungen des Glaubens. Beide! Sie stehen für mich nicht im Gegensatz. Umgekehrt: Sie bedürfen einander. Die Anbetung, der Lobpreis, die Offenheit, sich auf Gottes Gegenwart einzulassen – das ist Kirche. Der Zweifel, die Klage, das Leiden am Jetzt – das ist genauso Kirche. Gemeinsam sind wir Kirche.

Zusammen mit den Jüngern oben auf dem Berg sind auch wir alles andere als Helden. Die Jünger haben oft nicht verstanden, was Jesus eigentlich macht. Einer von ihnen hat Jesus dreimal verleugnet. Alle sind sie weggelaufen, als es gefährlich wurde. Aber gerade diesen Menschen gilt sein Auftrag.

Manche sprechen mit Blick auf die nächsten Jahre für die Kirche schon von einer „Mission Impossible“. Wir alle wissen, wie groß die Herausforderungen sind, vor denen unsere Landeskirche in den nächsten Jahren steht. Manchen unter uns macht das Angst. Oder lähmt uns. Veränderungen sind oftmals mit Rückbau verbunden und werden als persönliche Niederlagen empfunden.

Ich kenne das, bin da aber weiter zuversichtlich. Gott hat mit Nicht-Helden seine Kirche gegründet. Und er wird sie mit Nicht-Helden und Nicht-Heldinnen weiter durch die Zeit bringen. Diese Kirche wird sich verändern. Das tut sie sich übrigens schon seit 2000 Jahren. Sie wird sich verändern. Aber sie wird nicht verschwinden. Unser Auftrag ist einfach zu wichtig für diese Welt.  Die Welt braucht dringend Gottes Liebe.

Deshalb: Schauen wir auf Christus!

Wir sehen ihn hier am Fenster neben der Kanzel abgebildet. Wir sehen die Jünger. Anbetend und zweifelnd. Christus in der Mitte. In Vollmacht. Doch ihm geht’s nicht um die weltliche Herrschaft. Der Auferstandene trägt die Kreuzmale. Seine Macht ist immer eine gebrochene.

Ohne seine Liebe ist seine Macht nur halb. Und so sind die Menschen in seiner Nachfolge gut ausgewählt, wenn sie eben nicht perfekt sind. Denn kein Mensch, keine Kirche ist perfekt.

Wenn wir nicht perfekt sind, sind wir die Richtigen. Wir sind nicht Gott! Als „Gottes Bodenpersonal“ müssen wir uns nicht selbst überschätzen und übernehmen. Wir richten uns an Christi Liebe und Vollmacht aus.

Wir müssen auch mit unserer Art nicht die ganze Kirche sein. Es gibt auch andere. Die vielen ökumenischen Gäste heute zeigen dies.

Und dann ist da noch etwas in der Zukunftsrede Christi. Vielleicht das Wichtigste überhaupt. Das, Bibelwort, das wir im ersten Corona-Lockdown ans Ulmer Münster angebracht haben:

„Christus spricht: Ich bin bei Euch - alle Tage“

Mit dieser Verheißung sind wir auf dem Weg. Manchmal zuversichtlich mit der Hoffnung, dass es gut werden wird mit uns, der Kirche. Und auch gut werden wird mit dieser Welt. Und manchmal auch verzweifelt angesichts der vielen Krisen, die kein Ende zu nehmen scheinen. Kein Bergblick – tief in der Talsohle. Und oft sind wir uns selber fremd. 

Wie es auch ist: Christus ist da. Er geht mit. Wir haben seine Hand, die uns hält. Seine Stimme, die zu uns spricht: „Ich bin bei euch alle Tage“, Ihr Ängstlichen und Ihr Zuversichtlichen. Bei Euch Zweifelnden und bei Euch Glaubenden. Ich bin bei euch – bei allem, was zu Ende geht. Und bei allem, was neu anfängt. „Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“. Sagt Christus. Deshalb: „Geht, in die Welt!“.

Und wir? Machen uns auf den Weg!   

Amen

 

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