Seit November 2019 ist Eddy Scheck Bezirksreferent für Popularmusik im Kirchenbezirk Heidenheim. Wie hat er die für unsere Landeskirche neuartige Tätigkeit begonnen? Was ist gute Kirchenmusik? Und wie finden Gemeinden die richtige Balance zwischen Klassik und Pop?
Herr Scheck, Sie haben wenige Monate vor Beginn der Corona-Pandemie Ihre Arbeit als Bezirksreferent für Popularmusik aufgenommen. Wie haben Sie die Stelle begonnen? Was waren Ihre ersten Projekte?
Eddy Scheck: Angefangen hat alles mit viel Kennenlernen und Einfinden, weil ich den Kirchenbezirk Heidenheim noch nicht kannte. Ich durfte bei verschiedenen Veranstaltungen dabei sein und erste Gottesdienste und Liederabende gestalten. Außerdem habe ich in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Popularmusik, der meine Tätigkeit unterstützt, erste Pläne geschmiedet und begonnen, ein Chorprojekt anzuleiern.
Dann kam der Lockdown. Glücklicherweise hat sich aus dieser Not ein anderes tolles Projekt entwickelt: Wir haben begonnen, den vierzehntägig stattfindenden Jugendgottesdienst „TANKE“ des EJW Heidenheim (ejh) online zu übertragen. Dafür haben wir in einem improvisierten Projektstudio die Musik produziert – von Aufnahmen ganz unterschiedlicher musikalischer Formationen, von Duo bis Chor, bis hin zu Mix und Mastering. Der Prozess war zeitintensiv, aber hat ermöglicht, trotz der Umstände zusammen Musik zu machen – und er hat jungen Menschen die Chance gegeben, sich in schwierigen Zeiten musikalisch weiterzuentwickeln.
Sie sind „Bezirksreferent für Popularmusik“ – in der Evangelischen Landeskirche sind Sie der Erste, der so eine Stelle innehat. Was bedeutet das für Sie?
Scheck: Ich bin sehr froh, dass die Stelle geschaffen wurde. Als ich Musiktherapie in Heidelberg studiert habe, war die Popakademie noch Zukunftsmusik. Es gab noch keinen Ort, an dem man kirchliche Popularmusik studieren konnte. Keine Qualifikation, um Kirchenmusik und Pop zu verbinden, hätte für mich gepasst. Ich bin kein „Klassiker“, ich spiele keine Orgel – ich bin Popmusiker. Seit dem Eintritt ins Berufsleben versuche ich, mit dem, was ich kann, als Pop-Kirchenmusiker, in unserer Landeskirche anzukommen.
2012 durfte ich in Tübingen eine Projektstelle der Kirchenmusikhochschule als Jugendkirchenmusiker übernehmen. Diese wurde verlängert, prozentual aufgestockt und zuletzt entfristet. Zusätzlich wurde ich in der Tübinger Jakobusgemeinde Ansprechpartner für Popularmusik.
Berufsbegleitend habe ich damals die „C-Pop-Ausbildung“ gemacht – bei Dozenten, die mehrheitlich zu meinem kollegialen Umfeld zählen. Das war nicht immer einfach, aber ich bin sehr dankbar für das Wohlwollen und die Unterstützung, die mir entgegengebracht wurden. Mit dem C-Abschluss in der Tasche war ich als diplomierter Musiktherapeut dann kein „Musiker ohne Befähigungsnachweis“ mehr.
Die Arbeit in Tübingen war erfüllend, aber auch anstrengend. Ich war froh, als in Heidenheim die neue Stelle ausgeschrieben wurde – eine Neuschöpfung mit ausdrücklicher Ausrichtung auf einen Nicht-B-Musiker.
Ist Ihre Stelle in Heidenheim auf fruchtbaren Boden gefallen?
Scheck: Es war schon ganz viel da im Bezirk – viele Heidenheimer Ortsgemeinden haben Musikteams. Das ejh hat über lange Jahre erfolgreich Bandarbeit etabliert. 40 Jahre hat es den Bezirkspopchor „Con-Spirit“ gegeben, um dessen Erbe ich mich zurzeit kümmere. Kurz, nachdem ich nach Heidenheim gekommen bin, hat eine junge Chorleiterin den Herbrechtinger Jugendchor „conTAKT“ ins Leben gerufen. Der Kirchenbezirk Heidenheim hat eine blühende Popularmusikkultur!
Allerdings hat diese fast ausschließlich ehrenamtlich existiert. Rein ehrenamtlich Musik in Gemeinden zu machen und dabei nachhaltig und qualitativ für Entwicklung zu sorgen, ist für die Akteure herausfordernd und oft nicht bewältigbar. Ein großer Teil dessen, was ich vor Ort tue, ist herauszufinden, was es gibt oder gab, und das wahrzunehmen und wertzuschätzen. Förderung anzubieten ist der zweite Schritt.
Und dann versuche ich, die Musikerinnen und Musiker miteinander zu vernetzen. Ehrenamtliche Popularmusiker in Gemeinden nehmen sich häufig als allein auf weiter Flur wahr. Das ist in mancher Hinsicht nachvollziehbar, da es für sie meist kein Pendant zu Organistenbesprechungen oder vergleichbaren hauptamtlich organisierten Vernetzungstreffen gibt. Hier kommt meine Arbeit ins Spiel.
Manchmal ist das schon verwunderlich: Ich stelle langjährige Gemeindemusiker aus benachbarten Orten einander vor, die sich noch nie begegnet sind! Kurz darauf erfahre ich, wie sie sich gegenseitig vertreten oder gemeinsam musizieren. Und dann kommen die Anfragen: Kannst Du uns uns coachen? Kennst Du vielleicht noch einen Bassisten oder eine Schlagzeugerin?
Was unternehmen Sie noch, um populare Kirchenmusik im Kirchenbezirk Heidenheim zu fördern?
Scheck: Bandcoaching ist mein großer Schwerpunkt. Ich fange gerne mit Konfirmanden an, aber unterstütze Menschen jeden Alters. Gerade begleite ich verschiedenste Gruppen von der Konfirmanden- bis zur Pfarrersband.
Ein Beispiel: Wenn ich eine Gruppe Konfirmanden für kirchliche Popmusik begeistern will, tauche ich bei ihnen im Konfirmandenunterricht oder auf dem Konfirmandenwochenende auf. Ich singe mit ihnen, habe aber auch ein paar Instrumente dabei. Meistens spiele ich Keyboard und bringe ein Cajón und einen E-Bass mit. Dann versuche ich, diese Instrumente zu besetzen, sodass wir zusammen Musik machen. Erst mache ich es vor, dann sind die Jugendlichen dran.
Ich versuche, für das Repertoire Interesse zu wecken und aktuelle Songs mitzubringen. Wir singen, klatschen und haben Spaß miteinander. Anschließend lade ich die Jugendlichen ein und frage, wer Lust auf ein zeitlich begrenztes Bandprojekt hat. Sie wollen sich oft nicht auf Dauer binden. Deshalb schlage ich ihnen ein Nahziel vor wie etwa „Wir spielen bei eurer Konfirmation einen oder zwei Songs – je nachdem, was wir schaffen“.
Es finden sich normalerweise fünf bis zehn Jugendliche, die Lust haben. Wir schauen dann gemeinsam, was sie mitbringen und welche Lieder zu ihnen passen.
Vorkenntnisse am Instrument sind kein Ausschlusskriterium fürs Mitmachen: Über die Hälfte der Jugendlichen in meinen Konfirmanden- und Gemeindebands hat bei mir angefangen, ihre Instrumente zu spielen. Neue Schlagzeuger, Bassistinnen, eine E-Gitarristin, Keyboard-Spieler und Sängerinnen haben ihren Platz gefunden. Viele nehmen mittlerweile Unterricht an ihren Instrumenten. Klar – mehr als Grundlagen kann ich ihnen im Rahmen meiner Tätigkeit nicht nahebringen. Trotzdem ist eines, das ich an Popmusik so toll finde, die Tatsache, dass es nicht viel Einzelkompetenz am Instrument erfordert, um dabei zu sein. Das „wir“ macht die Musik.
Wie kommt das, was Sie tun, bei klassischen Kirchenmusikern und in den Gemeinden an?
Scheck: Meine Erfahrung ist, dass sie sich freuen und dankbar sind, wenn jemand kommt, der Musikteams so anleitet, dass der musikalische Output, aber auch das Auftreten der Jugendlichen und der Umgang mit Kirchenmusikern, Pfarrern und dem Rest der Gemeinde reibungslos vonstatten geht. Hier bin ich Vermittler, Botschafter und Erklärer.
Häufig entstehen Missverständnisse, wenn junge Bands ohne professionelle Begleitung Popularmusik im Gottesdienst spielen. Es gibt so viel, das schief gehen kann, sei es auf technischer, musikalischer oder menschlicher Ebene.
Meine Rolle ist es, Musikmachende professionell zu begleiten und dafür zu sorgen, dass die Band akustisch und musikalisch möglichst gut klingt. Außerdem helfe ich dabei, einzuordnen: Passen die Songs ins Kirchenjahr oder zum Thema des Gottesdienstes? Ich motiviere vor allem Jugendliche gern, ihre Songs der Gemeinde zu erklären. Das reißt Barrieren ein.
Mir ist es bereits mehrmals passiert, dass Organistinnen oder Organisten beim Auftritt der Band beim letzten Song den Bass mitpedaliert haben. Steige ich hinterher auf die Empore, schlägt mir ein verschmitztes Grinsen entgegen: „Ach, haben Sie‘s gemerkt?“ Dann weiß ich: Mission erfüllt.
Was ist eine gute Balance zwischen klassischer Musik und Pop in der Kirche?
Scheck: In der Jakobusgemeinde in Tübingen hat sich die Gemeinde eine Mischung aus 50 Prozent Klassik und 50 Prozent Pop gewünscht. Sie versuchen, das jeden Sonntag im Gottesdienst umzusetzen. Die Orgel spielt beispielsweise das Vor- oder Nachspiel und ein Musikteam übernimmt das jeweilige Pendant. Oder die Orgel übernimmt eine Hälfte der Gemeindelieder, das Musikteam die andere. Lieder werden im versweisen Wechsel von Orgel und Musikteam gesungen. Oder nach kurzer Absprache spielt die Orgel das dreifache Schluss-Amen in der Tonart, in der die Band das Nachspiel gestaltet. Solche Mischungen finde ich toll.
Viele regelmäßige Kirchgängerinnen und Kirchgänger schätzen das traditionelle Liedgut sehr – ich auch. Aber in den Generationen nach mir wird das viel dünner. Je mehr wir junge Menschen in Kirche einladen wollen, desto mehr Popmusik brauchen wir, weil sie ihnen vertrauter ist und trotzdem dieselben Inhalte vermittelt.
Beraten Sie auch Gemeinden, wie sie klassische Musik und Popularmusik verbinden können?
Scheck: Ja – von der E-Piano-Anschaffung bis zum Bandtraining, auch außerhalb Heidenheims. Es kommt vor, dass mich Pfarrer fragen: „Bei uns gibt es ein paar Jugendliche, die Musik machen wollen. Was können wir für sie tun?“ Oder: „Wie bekommen wir es hin, ein Gottesdienstformat zu entwickeln, das beides beinhaltet – traditionelle Kirchenmusik und Pop?“ Da helfe ich gerne.
Wie ist Ihrer Ansicht nach die Rolle der Popularmusik in der Evangelischen Landeskirche im Moment und wie muss sie sich weiterentwickeln?
Scheck: Im Moment entstehen die ersten Pop-Stellen. Ich weiß, wie problematisch es ist, in einer tendenziell schrumpfenden Kirche Neuanfänge zu fordern und neue Stellen zu schaffen. Dennoch halte ich es für sehr wichtig, der Popularmusik mehr Raum zu geben, weil sie nahe an der musikalischen Lebenswelt der breiten Gesellschaft ist. Professionell betreute kirchliche Popularmusik wird vermutlich vor allem da ihren Platz bekommen, wo Gemeinden und Bezirke glauben und konkret daran arbeiten, dass neue Generationen jüngerer Menschen in die Kirche kommen.
Seit neuestem können in der Landeskirche Stellen für Musikreferenten mit staatlichem Abschluss auf Bezirks- und Gemeindeebene geschaffen werden. Viele Pop-Kollegen meiner Generation haben wie ich staatliche Abschlüsse gemacht, weil es für sie keine passende kirchliche Qualifikation gab. Ich bin sicher, es wird nicht schwer, qualifizierte und hochmotivierte Kolleginnen zu finden, wenn weitere Stellen dieser Art geschaffen werden. Das ist zumindest übergangsweise eine gute Lösung, weil es noch so wenig kirchlich qualifizierte Popmusiker gibt.
Was ist gute Kirchenmusik?
Scheck: In einem Satz: Lieder, die von Gott erzählen. Und etwas ausführlicher: Lieder, die sich mit dem erstaunlichen Gott unseres Glaubens beschäftigen und etwas über ihn ausdrücken – egal ob Jubel, Klage, Erzählung oder Anbetung.
Kirchenmusik braucht das richtige musikalische Format, um Gemeinde zu erreichen. Gute musikalische Qualität allein reicht nicht aus: Auch wenn ich überragend guten Techno mit christlichen Texten mache, erreiche ich damit sehr wahrscheinlich nicht ein landeskirchlich sozialisiertes Ü-60-Publikum. Da sind die Wege zu gegenseitiger Wertschätzung viel zu weit. Umgekehrt erreicht auch eine hervorragend dargebotene Passion nur kleine Teile einer Jugendgemeinde. Sondern: Gemeinde und Musik müssen zueinander passen.