18.02.2022

„Eine Orientierungshilfe fürs Leben“

Jochen Schäffler, Ephorus des Evangelischen Seminars Blaubeuren, und Schülersprecherin Thadina Keinath über guten Schulunterricht

Seit einem halben Jahr ist Pfarrer Jochen Schäffler Ephorus des Evangelischen Seminars Blaubeuren. Was ist das Besondere an der uralten Schule? Was muss guter Unterricht leisten? Und was kann das Seminar als evangelischer Lernort den Schülerinnen und Schülern vermitteln? Das haben wir nicht nur ihn gefragt, sondern auch die Schülersprecherin des Seminars, Thadina Keinath.

Das Evangelische Seminar Blaubeuren ist ein Gymnasium und Internat. Deshalb spielt das Miteinander hier eine große Rolle.

Herr Schäffler, als Sie Ihre Tasche gepackt haben, um ans Evangelische Seminar Blaubeuren zu gehen: Was haben Sie hineingetan?

Jochen Schäffler: Einen Märchenband von Wilhelm Hauff, der hier Schüler war. Er gehörte zum Jahrgang 1817. Ich mag diese romantischen Texte sehr. Außerdem hat der Ort hier, im Kloster am Blautopf, etwas Märchenhaftes.

Thadina Keinath: Ich habe mein Tagebuch mitgenommen, um die Geschichten aufzuschreiben, die ich hier erlebe. Inzwischen habe ich schon sehr viele Seiten gefüllt.

Jochen Schäffler ist der neue Ephorus, der Schulleiter, des Evangelischen Seminars Blaubeuren.

Thadina, wann warst du zum ersten Mal am Evangelischen Seminar?

Thadina Keinath: 2016, weil meine ältere Schwester auch hier auf die Schule gegangen ist – meine Eltern übrigens auch schon. Es hat mir hier sehr gut gefallen. Im Sommer 2018 habe ich dann am „Landexamen“ teilgenommen, das ist unsere Aufnahmeprüfung. Das war sehr aufregend. Wir haben auch Vorstellungsrunden gemacht und uns näher kennengelernt.

Wenn Sie nur drei Dinge nennen dürfen: Was ist das Besondere am Evangelischen Seminar?

Jochen Schäffler: Das Miteinander, die Möglichkeiten, die wir den Schülerinnen und Schülern bieten, ihre Persönlichkeit zu entfalten und zu lernen – und natürlich die Musik hier an der Schule.

Thadina Keinath: Für mich ist es die Gemeinschaft, nicht nur mit Schülerinnen und Schülern, sondern auch mit Lehrern. Wir haben mit unseren Lehrerinnen und Lehrern sehr guten Kontakt. Wir tauschen uns aus und die Lehrer erleben einen nicht nur in der Schule. Außerdem kann man hier man selbst sein. Jeder wird so genommen, wie er ist, und auch dafür gemocht. Außerdem wird der Alltag nie langweilig, auch die Schule nicht. Ich besuche zum Beispiel sehr gerne die Theater-AG und den Chor.

Was ist guter Unterricht für dich?

Thadina Keinath: Es ist wichtig, dass jeder zu Wort kommt. Unsere Lehrerinnen und Lehrer lassen viel Raum zu, in dem wir diskutieren können. Jeder kann seine Meinung ausführlich erklären. Außerdem arbeiten wir viel in Gruppen. Wir sind auch manchmal im Unterricht rausgegangen und haben draußen Unterricht gemacht. Guter Unterricht ist vielseitig. Verschiedene Methoden, wie man besser lernt, müssen zusammenkommen.

Herr Schäffler, wie haben Sie Ihren eigenen Unterricht früher erlebt?

Jochen Schäffler: Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen und erinnere mich noch an prägende Pädagogen, zum Beispiel in Latein, aber auch in Religion und Mathematik. Gut ist der Unterricht, wenn Schülerinnen und Schüler etwas lernen. Ich bin überzeugt davon, dass das mit der Lehrerinnen- und Lehrerpersönlichkeit zusammenhängt: Studien belegen, dass dann am meisten herüberkommt, wenn der Lehrer einen guten Draht zu den Schülern hat und für sein Fach brennt.

Thadina Keinath ist Schülerin am Evangelischen Seminar Blaubeuren und zugleich Schülersprecherin.

Thadina, was ist dein Lieblingsfach?

Thadina Keinath: Religion. Wir gehen sehr in die Tiefe. Gerade diskutieren wir viel über das große Thema „Wirklichkeit“. Dadurch können wir auch ein wenig unseren eigenen Glauben finden und ausprägen und uns mit anderen austauschen. Ich finde es spannend, verschiedene Meinungen und Gedanken darüber zu hören, zu erfahren, wo man übereinstimmt und wo man ganz anderer Meinung ist. Mein Leistungskurs in Griechisch macht mir aber auch viel Spaß. Da lesen wir gerade Herodot und interpretieren einzelne spannende Stellen.

Jochen Schäffler: Mein Herz schlägt für Religion, aber auch für den Deutschunterricht. Schließlich habe ich Theologie und Germanistik auf Lehramt studiert, dann aber den Weg als Pfarrer eingeschlagen. Jetzt bin ich doch wieder an die Schule zurückgekehrt! Außerdem gehörten die alten Sprachen immer zu meinen Lieblingsfächern.

Wie muss dieser Satz enden: Schule sollte ein Ort sein, an dem …

Thadina Keinath: … man sich wohlfühlt, zu dem man gerne hingeht und an dem man sich vor allem seiner Stärken bewusst wird und die Schwächen nicht die Oberhand gewinnen. Ein Ort, aus dem man positiv, selbstbewusst und stark herausgeht.

Jochen Schäffler: Ich finde, Schule sollte ein Ort sein, der fordert – im positiven Sinn. Ich muss durch das Neue herausgefordert werden. Aber Schule muss natürlich auch fördern: Ich muss Unterstützung erhalten, wo ich Schwächen habe, damit ich nicht überfordert werde.

Schule sollte kein Ort sein, an dem …

Thadina Keinath: … man nur an sich zweifelt und das Gefühl hat, dass man nicht vorankommt. Lehrer sollten einem helfen, wenn man schwach ist und einen nicht hängenlassen, sodass man sich in der Schule weiterentwickelt, nicht stehenbleibt, und sich wohl fühlt.

Jochen Schäffler: Es geht in der Schule nicht ums Pauken, nicht um ein stupides Hineinfressen von Wissen: Humanistische Bildung muss Lebensrelevantes vermitteln.

Am 27. März 2022 bietet das Evangelische Seminar Blaubeuren online einen „Tag der offenen Tür“ an.

Der schönste Moment der Woche im Evangelischen Seminar?

Jochen Schäffler: Wir Pfarrer bieten immer eine kleine Heimkehrerandacht an, wenn die Schülerinnen und Schüler alle 14 Tage sonntagabends aus dem Wochenende ins Internat zurückkommen. Die „Semis“ trudeln nacheinander ein, je nachdem, wann der Zug kommt oder wann die Eltern sie nach Blaubeuren bringen. Sie kommen an, wir begrüßen uns und starten dann in kleiner oder größerer Runde gemeinsam in die neue Woche, mit einem kurzen Impuls und einem Lied. Das ist einer meiner Lieblingsmomente.

Was wollen Sie als Leiter den Schülerinnen und Schülern vermitteln?

Jochen Schäffler: Als Schule wollen wir natürlich Wissen vermitteln, aber das Seminar soll den Schülern noch mehr bieten: Ein Wertegerüst, eine Orientierungshilfe fürs Leben durch die christliche Überzeugung, von der die Schule getragen ist, gehört dazu. Ich möchte unseren Schülerinnen und Schülern auch eine christliche Gelassenheit mitgeben, die Erkenntnis, dass ich nicht alles selber machen und das auch nicht können muss.

Ich wünsche mir ein blühendes Seminar, das ein Ort sein kann, der bildet – in persönlicher und intellektueller Hinsicht. Viele unserer Absolventinnen und Absolventen studieren Theologie oder Musik, andere gehen in ganz unterschiedliche Berufszweige. Dass sie sie etwas von dem, das sie hier mitbekommen haben, mitnehmen und weitergeben können, das wäre mein Wunsch.

Thadina, was können andere Schulen vom Evangelischen Seminar lernen?

Thadina Keinath: Es gibt viele AGs und die Lehrer konzentrieren sich auf die Stärken von uns Schülerinnen und Schülern. Ich habe hier das Theaterspielen entdeckt. Die Person steht im Mittelpunkt.

Es war am Anfang sehr seltsam, wenn man auf einmal beim Frühstück neben dem Lehrer sitzt. Es kommt zu vielen Gesprächen im Alltag, in denen man sich Lehrerinnen und Lehrern auch sehr gut anvertrauen kann.

Dass man sein Gegenüber besser kennt, merkt man auch in der Schule. Man lernt sich echt gut kennen, auch im Unterricht, und manchmal fühlt es sich schon gar nicht mehr an wie Schule, sondern als würde man einfach so über ein Thema diskutieren.

Wir haben natürlich auch kleinere Klassen, was ein großes Privileg ist. In meiner Klasse sind wir nur 16 Personen. Man fällt mehr auf. In einer großen Klasse wie an meiner alten Schule geht man manchmal einfach unter. Dadurch ist auch das Klima im Unterricht konzentrierter.

Jochen Schäffler: Dass Talente gefördert werden sollen, war immer schon die Idee unserer Schule seit ihrer Gründung 1556. Dazu gehört aber auch, dass Talente zuerst entdeckt werden, dass darauf geachtet wird, was ein Schüler gut kann und wo seine Stärken sind – und dass man sie oder ihn darin weiterbringt.

Thadina, was wirst du mitnehmen, wenn du die Schule nach dem Abitur verlässt?

Thadina Keinath: Viele Erinnerungen, Gespräche und Meinungen, von denen ich erfahren habe, die mich geprägt haben. Ganz viele Freunde, ganz viele Werte. Ich nehme auch viele Erfahrungen im Umgang mit, weil man sich hier tagtäglich erlebt. Ich glaube, das hilft einem, im Leben auf Menschen zuzugehen, mit ihnen umzugehen und das Miteinander zu unterstützen.

Über das Evangelische Seminar Blaubeuren

  • Das Evangelische Seminar Blaubeuren ist ein öffentliches Gymnasium mit theologisch-altsprachlichem Schwerpunkt. Neben alten Sprachen (insbesondere Altgriechisch) sind Religion und Musik Schwerpunktfächer der Schule. Das Seminar steht in der langen Tradition der 1556 gegründeten Evangelischen Klosterschulen. Es ähnelt in seiner Konzeption seiner Schwesterschule, dem Evangelischen Seminar in Maulbronn.
  • Heute leben hier etwa jeweils 25 Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 12 in Internat und Schule zusammen mit ihren Lehrern auf dem Campus, einem ehemaligen Benediktinerkloster, dessen Ursprünge ins 11. Jahrhundert zurückreichen.
  • Trägerin des Seminars ist die Evangelische Seminarstiftung, in der auf Basis des Seminarvertrags von 1928 Vertreterinnen und Vertreter des Landes Baden-Württemberg und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zusammenarbeiten. Sie ist ebenfalls Trägerin des Evangelischen Seminars Maulbronn.
  • Pfarrer Jochen Schäffler leitet das Seminar seit dem 1. August 2021. Er studierte Theologie und Germanistik in Tübingen, Heidelberg und Uppsala. Nach dem Vikariat war er theologischer Repetent am Evangelischen Seminar Maulbronn. Anschließend war er Pfarrer in Seißen im Kirchenbezirk Blaubeuren, Bezirksjugendpfarrer und stellvertretender Dekan des Kirchenbezirks Blaubeuren.
  • Am 27. März 2022 findet am Evangelischen Seminar Blaubeuren ein „Tag der offenen Tür“ statt.

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