Von Spendensoftware, Selfmailern und vergessenen Schätzen
Pfarrer Helmut Liebs leitet seit April 2006 die landeskirchliche Fundraisingstelle. Seine Haupttätigkeit ist es, Gemeinden bei deren Fundraising-Aktivitäten zu beraten – nämlich letztlich: „Geld für den Weinberg“ zu beschaffen, damit der Früchte tragen kann, wie er einmal sagte. Er erlebt in den Gemeinden eine unglaubliche Kreativität dabei, „Förderer, Mitmacher, Gönner, Spender, Sponsoren, Mäzene, Stifter“ zu finden und stellt fest: „Es funktioniert“. Kein Fundraising-Vorhaben sei je gescheitert. Für die Zukunft wünscht er sich, dass die Gemeinden von einem projektbezogenen zu einem im guten Sinn strategischen Fundraising kommen: kontinuierlich und systematisch.
Im folgenden Text nimmt Helmut Liebs eine Standortbestimmung für das aktuelle Fundraising in und für Kirchengemeinden vor.
Gespräch auf einer Couch, ein Senior (75) und seine Tochter (50) sitzen über ihren Smartphones. Senior zur Tochter: „Du hast doch mal gesagt, Du würdest etwas spenden wollen, weißt aber nicht, wem. Kennst Du die Streaming-Gottesdienst-Initiative unserer Gemeinde? Wie wäre es damit? Die brauchen Geld für eine Kamera und sowas.“ Die Tochter tippt, schaut und sagt dann: „Gute Fotos, gute Idee mit dem Streamen. Aber wo kann ich online spenden?“ Großvater: „Nimm doch einen Überweisungsträger.“ Tochter: „Dein Ernst?“
Online sind sie fast alle, ob auf der Couch oder im Bus: Ältere, Jüngere, Kinder und Ü50. Während jedoch die Generation Ü70 überwiegend zum Überweisungsträger greift, spenden alle anderen Menschen fast ausschließlich online. Da hätte der Vater seiner Tochter lieber die Seite seiner Kirchengemeinde zeigen sollen, auf der direkt ein Spendentool zu finden ist – wie das im Bereich der Württembergischen Landeskirche eingeführte „twingle“. Die Gemeinde wird jedoch auch gut daran tun, Beides vorzubereiten: zum einen den Überweisungsträger im Gemeindebrief und im Begleitbrief zum freiwilligen Gemeindebeitrag; zum anderen ein Online-Spendentool. Denn Fundraising heißt, seine Zielgruppen genau vor Augen zu haben, mit ihren Wünschen und Gewohnheiten.
Aus der Online-Welt in die Gemeinde: Das Spendentool „twingle“
Als lockdownbedingt im März 2020 plötzlich Gottesdienste und andere Veranstaltungen ausgesetzt wurde, hat der Oberkirchenrat umgehend ein Verfahren auf den Weg gebracht, damit Gemeinden Online-Opfer und -Spenden anbieten können: mit dem Spenden- Tool von „twingle“. Es ist schnell installiert, optisch ansprechend und die Landeskirche übernimmt die twingle- Gebühren. Inzwischen sind es bereits 300 württembergischen Kirchengemeinden, die das Spenden-Tool auf der Website haben.
Einige Kennzahlen der württembergischen twingle-Gemeinden: Die Einzelspende liegt durchschnittlich bei 95 Euro (herkömmlich per Überweisungsträger: 40 Euro). Knapp die Hälfte der Online-Spender/- innen erteilt ein Lastschriftmandat, gut ein Drittel bevorzugt PayPal, die weiteren wählen Kreditkarte oder Sofortüberweisung/Klarna.
Allerdings: Ein Onlinemodul macht noch keine Spende. Wichtig ist: Erst wenn Menschen wiederholt darauf aufmerksam gemacht werden (Gemeindebrief, Website, Social Media, Plakate, Abkündigungen) und die vorgeschlagenen Projekte attraktiv (attraktiv ist, was für Menschen einen nachvollziehbaren Nutzen hat: wenn es das eigene Kind in der Kita oder die eigene Schwester im Gospelchor betrifft), gedankt und berichtet wird, greift es.
Dann kann sich der Spendeneingang von anfänglich vielleicht 100 Euro zu mehreren tausend Euro pro Monat entwickeln.
Fundraising in Coronazeiten – Kreative Methoden mit A b s t a n d aus den württembergischen Gemeinden
Die pandemiebedingten Einschränkungen verändern das Fundraising weiterhin. Benefizveranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Märkte mit vielen Menschen waren bzw. sind kaum möglich. Besuche bei potenziellen Großspender/-innen, Stifter/-innen oder Unternehmen sind erschwert. Insofern braucht es Aktionen, die kontaktlos funktionieren. Da wäre zum Beispiel die alt-neue Idee eines Flohmarkts als Regal-Flohmarkt vor der Haustür. Damit viele Menschen das machen, wird per Gemeindebrief und Website angeregt, vor dem eigenen Haus wettergeschützt ein Regal aufzustellen. Darin können Bücher, CDs, Spielsachen, Geschirr und anderes platziert sowie eine Spendendose verschraubt werden. Ein Plakat sollte den Sinn des Regals benennen, z. B.: „Hast Du den Kirchturm lieb – nimm und gib!“ (In „Fundraising“ steckt bekanntlich das Wort „Fun“…) Die Spenden aus der Dose überweisen die Regalbetreiber und -betreiberinnen von Zeit zu Zeit an die Kirchengemeinde.
Ebenso mit Abstand möglich ist eine Gabenversteigerung. Dafür werden die Gemeindemitglieder gebeten, Gaben anzubieten: Obstbaumschnitt, während des Urlaubs den Hamster Gassi führen, Kurse in Zinnfiguren bemalen, Makramee-Knüpfen oder Videokonferenz, auch Open-Air-Musik oder eine Torte zum Geburtstag. Wenn nach einigen Wochen genügend Gabenangebote beisammen sind, wird ein „Katalog“ veröffentlicht und zur Versteigerung eingeladen. Diese Versteigerung würde normalerweise mit großem Vergnügen im Gemeindesaal stattfinden. Aber in Coronazeiten kann sie auch publikumslos „still“ erfolgen. Das meint: Menschen, nachdem sie den Katalog studiert haben, geben ihre Gebote per Brief oder E-Mail ans Gemeindebüro ab. Der bzw. die Höchstbietende erhält den Zuschlag, erfreut sich der ersteigerten Gabe und überweist der Gemeinde den gebotenen Betrag.
Sie platziert das Spendenthema dort, wo die Menschen sowieso sind: die Pfandbon-Sammlung. Das Verfahren ist z. B. von den „Tafeln“ bekannt. Der Geschäftsleitung des örtlichen Supermarkts mit Pfandflaschenrückgabeautomat wird die Idee vorgetragen, neben dem Automaten einen briefkastenähnlichen, verschließbaren Kasten samt Infoplakat z. B. über die Jugendarbeit anzubringen. Dort können Menschen nach der Flaschenrückgabe die Pfandbons einwerfen, statt sie an der Kasse einzulösen; die Bons löst dann von Zeit zu Zeit die Kirchengemeinde ein.
Nicht nur in Zeiten von Marie Kondo sind Menschen oft froh, sich sinnvoll von Hab und Gut trennen zu können. In vielen Schränken, Kommoden und Schubladen schlummern „vergessene Schätze“: Besteck, Schmuck, Uhren, Münzen, Medaillen, Abzeichen, Geschirr, Zahngold. Sich davon zu trennen, schmerzt kaum. Was liegt näher, als per Gemeindebrief und Website zu bitten, sie der Kirche zu spenden. Es ist sinnvoll, dass eine kundige Person hinzugezogen wird, um die gespendeten Schätze zu begutachten.
Bazare und Flohmärkte – immer eine gute Idee. Neu ist die Beobachtung, dass auch Themen-Märkte gut funktionieren. Wenn z. B. allein Porzellan oder Taschen und Rucksäcke oder Glaswaren angeboten werden und der Markt breit beworben wird, dann interessiert das ein spezifisches und überlokales Publikum. Die Organisation kann jetzt bereits starten, und der Markt findet statt, sobald die Bedingungen es erlauben. Und so geht’s: Aufruf, Porzellan im Gemeindebüro abzugeben (= spenden) bzw. ggf. Abholtermin zu vereinbaren - im Jahr darauf z. B. Taschen/Rucksäcke oder Glaswaren. Prominente – auch bekannte Blogger/-innen – gezielt ansprechen, etwas zu spenden und eine Karte mit Widmung beizulegen. Dann: Einlieferungen bewerten und bepreisen, attraktiv ausstellen und verkaufen.
Stiftungen – eine alte Idee und neue Entwicklungen
In der Württembergischen Landeskirche gibt es rund 165 Stiftungen, davon wurden allein ca. 110 in den letzten 15 Jahren neu gegründet. Mittels einer Stiftung bauen Gemeinden eine 4. Finanzierungssäule auf neben Kirchensteuern, Spenden und Ersätzen von öffentlicher Hand. Stiftungen bieten Kirchengemeinden vermögenden Menschen ein Beteiligungsangebot.
Eine Stiftung braucht Erträge, um den Stiftungszweck zu erfüllen, sprich: zu finanzieren. Doch die Erträge gehen seit Jahren zurück. Immerhin bei durchschnittlich 1,5 Prozent während der letzten fünf Jahre lag die Rendite der Stiftungsvermögen, die Gemeinden bei der Landeskirchenstiftung anlegen ließen. Wie nun mit dem Niedrigzins umgehen? Erstens: Ziel jeder Stiftung ist, ihren Stiftungszweck zu verwirklichen; das ist – wiewohl geringer als vor Jahren – möglich. Zweitens: Die Erträge sollten tatsächlich verwendet werden; das ist ein wichtiges Signal an die bisherigen und künftigen Stifter/- innen, Zustifter/-innen und Spender/- innen. Drittens: Es wird unaufgeregt und immer wieder auf die Stiftung aufmerksam gemacht. Viertens: Form und Inhalt der Kommunikation und der Veranstaltungen sind wertig; die Stiftung ist etwas Besonderes. Fünftens: Neue Stiftungen sollten stets einen Verbrauchsfonds mitinstallieren. Dann können Menschen entscheiden, ob sie ins unverzehrliche Grundstockvermögen oder ins gänzlich verwendbare Verbrauchsvermögen stiften. Sechstens: Solange die Erträge geringer sind als der Kaufkraftausgleich sollte dieser zunächst ausgesetzt werden, sofern die Satzung nicht dagegenspricht.
„Was bleibt.“ und „Nicht(s) vergessen“ - Erbschaften
Mehr Menschen denn je vererben mehr denn je; in Deutschland bis zu 400 Milliarden Euro jährlich (DIW Wochenbericht Nr. 5/2021). Da die Generation, die derzeit vererbt, überwiegend kirchenverbunden ist, dürften Kirchengemeinden oder kirchliche Einrichtungen zunehmend häufiger als Erben eingesetzt werden oder ein Vermächtnis erhalten. Allerdings nur, sofern der/ die Erblasser/-in das testamentarisch verfügt hat. Es ist davon auszugehen, dass die durch zwölf Landeskirchen samt Diakonischen Werken getragenen Initiativen Menschen motivieren, ihren Nachlass testamentarisch zu regeln und dabei auch Kirche und Diakonie zu bedenken. Achtung: Nur wenn sie eine besondere Zweckbestimmung haben, müssen Zuwendungen von Todes wegen nicht dem Vermögensgrundstock zugeführt werden; siehe Haushaltsordnung, Paragraf 71.
Zwei Portale bieten hierzu Orientierung und Information:
Menschen, die 70+ sind, spenden laut Marktforschungsinstitut GfK überdurchschnittlich zahlreich, nämlich rund 50 Prozent von ihnen. Auch spenden sie überdurchschnittlich viel, nämlich rund 45 Prozent des Spendenvolumens.
Von der „Generation 70+“…
Menschen, die 70+ sind, spenden laut Marktforschungsinstitut GfK überdurchschnittlich zahlreich, nämlich rund 50 Prozent von ihnen. Auch spenden sie überdurchschnittlich viel, nämlich rund 45 Prozent des Spendenvolumens. Nach wie vor ist der persönlich adressierte Brief der stärkste Spendenanstoß. Bei Form und Inhalt ist das Alter der mehrheitlich Spendenden zu berücksichtigen. Gerne spenden Menschen für konkrete Vorhaben. Doch beim Freiwilligen Gemeindebeitrag (FGB) ist zu erkennen, dass das Vertrauen in die Kirchengemeinde derart groß ist, dass etwa die Hälfte der Spendensumme unspezifisch für „Wo am nötigsten“ oder „Gemeindearbeit“ gegeben wird. Der FGB der 1.200 württ. Kirchengemeinden erzielte übrigens 2020 das höchste Ergebnis jemals: 9,4 Millionen Euro.
… zur „Generation Babyboomer“
Unterdessen ist die Zahl der sogenannten „Babyboomer“, die derzeit 55- bis 65-Jährigen, größer als die Zahl der „Wiederaufbauer“. Und es gibt Anzeichen, dass sie durchaus ähnlich spendenaffin sind bzw. sein werden. Sie müssen allerdings erstens auf mehr Kanälen als lediglich Print angesprochen werden und zudem aufmerksamkeitsstärker und relevanzpräziser. Denn: diese Generation ist mit permanenter Massenwerbung aufgewachsen und hat gelernt zu filtern.
Zweitens müssen die Formen der Beteiligungsangebote vielfältiger werden – also Onlinespende, Crowdfunding, Charityshopping, Anlass-/ Gratulationsspenden, Mitarbeit bei Aktionen, Einbringen von Knowhow. Und drittens muss ihnen nach der Spende gedankt und berichtet werden, damit sie erkennen, dass sie wirklich gebraucht werden. Ansonsten bricht die Verbindung ab. Babyboomer spenden nicht aus Pflichtempfinden, sondern aus Überzeugung.
Nicht nur Babyboomer begutachten Angebote kritisch, auch Pfarrämter und Einrichtungen sollten das tun. Denn immer wieder machen sogenannte „Agenturen“ (das sind keine seriösen Werbeagenturen), Unternehmen und Privatpersonen erstaunliche Angebote. Man wolle namens der Gemeinde Spenden sammeln für einen Defibrillator oder einen Kaffeevollautomaten fürs Gemeindehaus oder für Spielgeräte für den Kindergarten. Man lebe schwerkrank in Amerika und wolle mehrere Millionen überweisen. Man möchte im Auftrag gemeinnütziger „Kunden“ eine Infoveranstaltung durchführen. Für einen Eintrag in ein amtliches Verzeichnis brauche man noch eine Unterschrift. Der Oberkirchenrat hat dazu per Rundschreiben vom 12. August 2021 (AZ 91.50-06-V08/6a) informiert.
Seriös und individuell: Die „Kirchenpost“
Das 2019 durch die landeskirchliche Fundraisingstelle initiierte Projekt „Kirchenpost“ ist ein Pilot mit derzeit 42 Kirchengemeinden. Kirchenpost, das sind auffällig gestaltete Selfmailer, die – funktional betrachtet – die inneren Argumente stärken, in der Kirche zu sein und zu bleiben und sich ideell, mitarbeitend und finanziell an deren Wirken zu beteiligen. Inhaltlich vermitteln sie den Adressaten stets eine persönliche, konkrete Relevanz von Kirche.
So lesen 14-Jährige von der Möglichkeit eines BORS- oder BOGY-Praktikums. 15-Jährige erfahren von den Freizeitangeboten der Jugendwerke. 16-Jährige erfahren von der Möglichkeit des Patenamts (inkl. Verweis auf Kirchenmitgliedschaft und Konfirmation). Für 17-Jährige geht es um Freiwilligendienste. 18-Jährigen wird zur Volljährigkeit gratuliert. Bei 19-Jährigen ist Hilfe in persönlichen Krisen das Thema; Freiheit bei den 21-Jährigen. Der Brief an die 23-Jährigen schildert, wie „Kirchensteuer wirkt“. Eltern eines neugeborenen Kindes werden beglückwünscht und zur Taufe eingeladen. Neuzugezogene sehen sich willkommen geheißen.
Doch damit sind längst nicht alle relevanten Kontaktpunkte erfasst. Konsequent wäre, die Kirchenpost im Sinne einer lebensbegleitenden Member Journey weiterzuentwickeln.
Es versteht sich, dass daran bereits weitergearbeitet wird. Fortsetzung folgt ...
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „arbeit und besinnung“, Ausgabe 5/2022
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