04.03.2022

„Wir haben sehr viele belastbare Beziehungen“

Klaus Rieth im Interview

„Außenminister der Landeskirche“, so hat Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July Klaus Rieth einmal genannt. Er pflegte intensiv die Beziehungen zu anderen Kirchen und knüpfte dabei ein weltweites Netzwerk. Nun ist der langjährige Leiter des Referats Mission, Ökumene und Entwicklung im Stuttgarter Oberkirchenrat in den Ruhestand gegangen. In unserem Interview blickt er zurück auf sein bewegtes Berufsleben und voraus auf aktuelle Herausforderungen der weltweiten Kirche.

Als eine Art „Außenminister der Landeskirche“, so Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July, pflegte Klaus Rieth die Beziehungen zu anderen Kirchen und knüpfte dabei ein weltweites Netzwerk.

Die Landeskirche hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ganz stark dadurch ausgezeichnet, dass sie viele internationale Verbindungen aufgebaut und aktiv gepflegt hatte. Wie sieht das zurzeit aus?

Klaus Rieth: Ich würde sagen, es nimmt zu. Wir haben sehr viele belastbare Beziehungen, die selbst jetzt in der Corona-Krise gehalten haben – weil sie über Jahre und Jahrzehnte gepflegt worden sind. Wir können auf Bestehendem aufbauen und weiter machen. Ab und an ergeben sich auch neue Kontakte – vor allem in Osteuropa, seit der eiserne Vorhang gefallen ist. Da sind wirklich interessante Begegnungen möglich. Daneben konnte der ehemalige Schwerpunkt Afrika aufrecht erhalten werden, durch regelmäßige Besuche und langjährige Partnerschaften. Also keine Abbrüche. Ich kenne keinen Kirchenbezirk, der keine ökumenische Beziehung zu irgendeiner Kirche weltweit hätte. Kirchenbezirke und Kirchengemeinde nutzen und pflegen diese Beziehungen extrem gut.

Ihnen waren immer die Christen ein Anliegen, die verfolgt werden. Jedes Jahr haben Sie darüber der Landessynode berichtet. Wie kommen Sie zu diesem Wissen? Sind persönliche Verbindungen die Basis?

Klaus Rieth: Dahinter steht ein ganzes Netzwerk von Informantinnen und Informanten. Zudem habe ich alleine drei Tageszeitungen jeden Tag und sammle auch darauf, was wo in der Welt passiert. Dann haben wir Partnerkirchen über unser Missionswerk EMS (Evangelische Mission in Solidarität), und andere Missionswerke, die uns informieren, was gerade Stand der Dinge ist.

Der letzte Berichtsschwerpunkt war Mozambique, dort werden Christen extrem verfolgt und unterdrückt. Da helfen uns dann Journalisten, die Fakten zusammen zu tragen und so entsteht der Bericht. Und natürlich helfen persönliche Begegnungen. Ich war im Irak, in Syrien, im Libanon und dort bekommt man dann die Informationen aus erster Hand.

Wie sieht denn aktuell die Entwicklung im Nahen Osten aus? Wir wissen, dass die Geschwister im Nahen Osten, selbst in Ägypten, wo eigentlich Christen und Moslems gut nebeneinander gelebt haben, Schwierigkeiten haben.

Klaus Rieth: Die Christen in diesen Ländern haben es verdient, dass wir darauf achten, was mit ihnen passiert. Ich bekomme immer wieder die Rückmeldung: „Wir sind dankbar, dass ihr an uns denkt, dass ihr uns besucht, dass ihr für uns betet, weil dadurch deutlich wird, dass wir nicht allein sind.“ Es sind ja oft sehr kleine Kirchen, und wenn diese erfahren, dass eine große Kirche wie unsere hinter ihnen steht, bewirkt das schon sehr viel.

Man kann nicht pauschal sagen, wie sich die Lage verändert, denn das hängt stark von der Regierung des jeweiligen Landes ab. In Ägypten zum Beispiel wird es nach extremer Verfolgung von Christen gerade besser, weil die Regierung großen Wert darauf legt. In Nord-Nigeria werde immer noch gezielt Christen getötet, aber da versucht die Regierung jetzt auch gegenzusteuern. In anderen Ländern ist es für die Christen schlechter geworden. Zum Beispiel in China. Da haben wir sehr unterschiedliche Meldungen. In manchen Provinzen können Christen ordentlich leben, müssen keine Sorge und Angst um Leib und Leben haben. In anderen Bereichen ist es extrem gefährlich, sich als Christ erkennen zu geben.

Auch über Indien hört man schwierige Dinge.

Klaus Rieth: An diesem Beispiel wird deutlich: Unsere Synode fordert bewusst keinen Bericht nur über verfolgte Christen sondern über verfolgte Menschen. In Indien zum Beispiel werden auch andere Religionen unterdrückt und verfolgt. Oder in Myanmar zum Beispiel die Rohingya. In Indien arbeitet die Regierung im Grunde genommen daran, den Hinduismus zur Staatsreligion zu machen, und auch die Muslime leiden extrem darunter, ebenso wie die Christen – schon was die Speisegebote anbelangt.

Gibt es auch Länder mit wirklich positiven Entwicklungen für Christen?

Klaus Rieth: Ich habe den Eindruck, dass es im Nord-Irak für Christen besser geworden ist, weil sie geduldet werden und mit den Kurden ein gutes Miteinander haben. Da scheint ein bisschen mehr Stabilität entstanden zu sein. Vom Sudan bin ich enttäuscht, weil sich dort keine Besserung zeigt. Das hängt auch mit den Bodenschätzen zusammen. Wo es um viel Geld geht und um Bodenschätze, ist es egal, welcher Religion man angehört – da herrscht Krieg und das hilft niemandem in der Region.

Anders in Westafrika, wo wir von ganz stabilen Verhältnissen hören. Zum Beispiel aus unserer Partnerkirche in Ghana kommen gute Nachrichten.

Ihr Referat heißt „Mission und Ökumene“. In Deutschland stand der Begriff „Mission“ lange schlecht da, aber in den letzten 25 Jahren hat er eine positive Entwicklung durchgemacht. Wie sieht das international aus?

Klaus Rieth: Bei Menschen mittleren Alters ist der Begriff Mission noch immer negativ besetzt, weil viele vor Augen haben, was in Lateinamerika schiefgelaufen ist. Dass Mission mit Machtmissbrauch verwechselt wurde, das steckt noch in den Köpfen. Aber insgesamt ist der Begriff Mission nicht mehr ausschließlich negativ besetzt sondern hat wieder positive Seiten. Da müssen wir ran und „Mission neu denken“, denn da wäre noch viel mehr möglich – auch um dem Mitgliederrückgang hier bei uns entgegenzuwirken. Wenn ich sehe, was für Ideen unsere Partnerkirchen weltweit im missionarischen Bereich haben – da könnten wir noch viel, viel mehr lernen. Ich finde es schade, dass wir oft denken: „Ja, lass die machen, die sind weit weg“.

Unseren Partnerkirchen und -gemeinden besitzen meist ein klares Profil. Das muss man auch, wenn man als Minderheitskirche zum Beispiel in einem muslimischen Umfeld existieren will. Da muss man klar sagen können, wofür man als christliche Gemeinde steht. Und das können viele Leute bei uns nicht mehr. Ich denke, Mission im eigenen Land wäre wichtig und auch gefragt.

Beim Abschied darf man auch mal die verschiedenen Stationen und Dienste in den Blick nehmen. Sie weisen eine sehr bewegte Biographie auf. Wie sahen die Stationen aus, die Sie zu Ihren Aufgaben im Bereich der Ökumene und der weltweiten Kirche geführt haben?

Klaus Rieth: Ich habe ganz normal in Tübingen und Zürich Theologie und Germanistik studiert und das Vikariat in Flein absolviert. Dort hatte ich mit meinem Ausbildungspfarrer Gerhardt Pfister großes Glück. Er hat mir viel beigebracht. Danach kam eine journalistische Ausbildung beim Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg und auch eine Zeit beim Evangelischen Pressedienst (epd). Das hat mir gut getan, so bin ich in den Journalismus hineingewachsen. Meine erste feste Pfarrstelle, sieben Jahre in Stuttgart-Heslach, war eine unheimlich gute Erfahrung, weil das eine sehr lebendige Gemeinde war, wo ich viel machen konnte. Das habe ich sehr genossen. Dort habe ich mit dem katholischen Vikar der Nachbargemeinde, Clemens Stroppel, Freundschaft geschlossen. Er ist jetzt Generalvikar der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Damit hängt zusammen, dass ich immer das Verhältnis zur Katholischen Kirche wichtig fand und eine Nähe zu ihr habe.

Dann habe ich in Zürich zwei Jahre lang eine Wochenzeitung der reformierten Kirche als stellvertretender Chefredakteur herausgegeben. Dabei bin ich in der ganzen Schweiz herumgekommen und habe die reformierte Theologie und Kirche kennen gelernt. Interessant: Die Kirche hatte ein ganz unproblematisches Verhältnis zum Staat, ohne Ängste in einem echten Miteinander. Das hat mir gefallen und eingeleuchtet.

Anschließend habe ich sieben Jahre lang die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Brot für die Welt geleitet. Das war eine spannende Zeit, die mir die Welt gezeigt hat. Ich bin gereist, habe Projekte besucht und hatte einen guten Chef, Hans Otto Hahn, der mich auch theologisch stark geprägt hat. Nach einer weiteren Station in der Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche habe ich dann meinen jetzigen Arbeitsbereich Mission, Ökumene und Entwicklung im Oberkirchenrat gefunden.

Hängt es mit den Erfahrungen bei der reformierten Kirche zusammen, dass Sie nach außen nie ein klerikales Bild abgegeben haben?

Klaus Rieth: Ich bin kein hochkirchlicher Mensch, und das war in meinen Arbeitsfeldern auch kaum nötig. Manchmal habe ich im Ausland ein Kollarhemd getragen – zum Beispiel, wenn ich orthodoxe Würdenträger besucht habe. Dort hätte ich ohne Kollar, nur mit Krawatte oder Hemd keinen guten Eindruck gemacht und wäre nicht so weit gekommen, wie ich es mir wünschte.

Sie kennen sich bei unseren römisch-katholischen Geschwistern sehr gut aus – was verändert sich dort gerade?

Klaus Rieth: Bei diesem Thema ist mir zunächst wichtig, dass die Geschwister in Not sind und dass die katholische Kirche durch ein tiefes Tal geht. Und ohne bei der Missbrauchs-Thematik ins Detail zu gehen (es ist furchtbar, was da passiert ist), finde ich, dass unsere Schwesterkirche alle Solidarität verdient hat, die uns möglich ist, auch in der Aufarbeitung dieses Missbrauchsskandals. Angesichts der Kirchenaustritte hier wie dort sollten wir gemeinsam überlegen, wie wir glaubwürdig Kirche sein können.

Ruhestand – was bedeutet das für Sie? Haben Sie schon Pläne?

Klaus Rieth: Ich werde mich sicher weiter engagieren, denn ich predige gerne und werde das auch in Zukunft machen. Nicht jeden Sonntag, aber wenn ich angefragt werde. Ich freue mich jetzt aber auch mal, ein halbes Jahr oder ein Jahr nichts machen zu müssen und keine Termine zu haben, weil einfach auch viel liegengeblieben ist. Und ich möchte reisen. Ich bin oft nur gereist, um an einer Konferenz teilzunehmen. Reingeflogen und wieder raus. Zum Beispiel möchte ich das für mich schönste Land der Welt besuchen: Georgien.

Sie sind auch Großvater – gibt’s auch familiäre Ansprüche, denen Sie jetzt stärker gerecht werden müssen?

Klaus Rieth: Ich denke, es gibt keine Ansprüche, aber ich freue mich natürlich schon, mehr Zeit mit meiner Frau verbringen zu können und auch mal Zeit zu haben für den oder die Enkel, etwas mit ihnen zu unternehmen, was bisher nicht möglich war. Ich freue mich aber auch auf meinen Garten – und meine Nachbarn freuen sich, dass ich wieder mehr im verwilderten Garten mache. Ich möchte wandern, was für mich selbst machen, vielleicht wieder schreiben; dazu bin ich einfach in den letzten Jahren nicht gekommen. Ich freue mich einfach auf die neue Zeit, die kommt.

Noch einen Satz für Ihre Nachfolgerin Dr. Christine Keim? Was möchten Sie ihr mit auf den Weg geben?

Klaus Rieth: Dass sie es so macht, wie sie es für richtig hält, und das wird sie gut machen.

Die Fragen stellte Dan Peter

Hinweis: Klaus Rieths Amt hat zum 1. März Kirchenrätin Dr. Christine Keim übernommen.

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