In einem Pflegeheim in Reutlingen kümmert sich Betreuungsassistentin Yuka Suzuki-Winkler um geistliche Angebote wie Gottesdienste und Gespräche. Sie hat eine ökumenische Fortbildung der Evangelischen und Katholischen Kirche und sozialer Träger gemacht. Ein Besuch.
Das Pflegeheim „Haus am Reichenbach“ in Sondelfingen, einem Ortsteil von Reutlingen. Fünf Frauen und ein Mann sitzen in drei Reihen hintereinander auf Stühlen, drei haben Rollstühle. Auf dem Altar am Kopf des Raums, eigentlich eine Cafétheke, steht ein Strauß Sonnenblumen.
Yuka Suzuki-Winkler spielt am Klavier vorne links ein Vorspiel und begrüßt die Gruppe. An einem Dienstagnachmittag im Juni hält sie für Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims einen Gottesdienst.
Die 61-jährige Yuka Suzuki-Winkler ist Betreuungsassistentin in dem Pflegeheim. 48 Bewohner leben dort. Sie verbringt mit den Menschen Zeit und veranstaltet für sie Aktivierungsangebote wie eine Tanzgruppe, eine Bewegungsgruppe oder eine Gedächtnistraining-Gruppe. Sie war mal Pflegerin, die besser bezahlte Tätigkeit, wollte aber mehr Zeit für die Bewohner haben. Im vergangenen Frühling hat Yuka Suzuki-Winkler, die evangelisch ist, eine ökumenische Fortbildung im Bereich „Gottesdienst und spirituelle Begleitung“ für Pflege- und Wohnheime abgeschlossen. Evangelischer Kirchenbezirk, Katholische Kirche und soziale Träger haben die Ausbildung ins Leben gerufen.
Yuka Suzuki-Winkler betet mit den Besuchern den Psalm 23 und zeigt der Gruppe ein großes Schwarzweißfoto einer Schafweide. „Was sind die Aufgaben eines Hirten?“, fragt sie. Die Bewohner antworten: „Er versorgt die Schafe.“ „Er passt auf sie auf.“ „Unser Hirte ist unser Gott, wir sind seine Schafe“, erklärt Yuka Suzuki-Winkler in einfachen Worten.
Die Folgen der Corona-Pandemie für die Menschen im Pflegeheim – besonders, was religiöse Angebote anging – fand Yuka Suzuki-Winkler bedrückend. „Viele Menschen sind 70 oder 80 Jahre lang jeden Sonntag in die Kirche gegangen.“ Sie hätten sehr unter den Kontaktbeschränkungen gelitten. Gemeinschaft und gemeinsames Beten hätten ihnen gefehlt. „Menschen sind gestorben, ohne noch einmal in die Kirche gehen zu können.“
Die Mitarbeiter des Pflegeheims haben darauf geachtet, dass die Bewohner Fernsehgottesdienste verfolgen konnten. Da Yuka Suzuki-Winkler Organistin ist, hat sie eine Pfarrerin, die sie kennt, nach Andachten für das Pflegeheim gefragt. Sie hat begonnen, zu einer „Geistlichen Stunde“ einzuladen, in denen das Vaterunser und ein Psalm gebetet wurden und die Bewohnerinnen und Bewohner sich über biblische Themen austauschen konnten. Nun hält sie dreimal denselben Gottesdienst, damit trotz Corona-Kontaktbeschränkungen alle Wohngruppen dorthin kommen können.
Yuka Suzuki-Winkler sagt das nächste Lied an: „Großer Gott, wir loben dich“. Sie geht zu einer Frau in der ersten Reihe ganz rechts und blättert für sie die richtige Seite im Liederheft auf. Dann setzt sie sich wieder ans Klavier. Alle singen mit.
Die Bewohner kennen Yuka Suzuki-Winkler und haben Vertrauen zu ihr, deshalb gelinge es ihr, sie zu aktivieren, erklärt sie.
„Manche Menschen sind nicht einverstanden, dass sie hier leben müssen. Ihre Kinder besuchen sie nicht - und ich kann ihnen nicht sagen, dass ihre Kinder wieder kommen.“ Ihr ist wichtig, ihnen deutlich zu machen, dass sie eine Gemeinschaft sind. Auch in dem Gottesdienst erinnert sie die Bewohner daran, dass sie eine Wohn-Gemeinschaft sind.
Ein Raum für die Mitarbeitenden im Pflegeheim. Auch Diakon Martin Schmid, zuständig für Altenheimseelsorge im Evangelischen Kirchenbezirk Reutlingen und Leiter der Fortbildung, ist da. Er erklärt, dass die Frage, wie die Menschen in ihre neue Rolle fänden, eines der Hauptthemen gewesen sei, die sich durch die gesamte Fortbildung gezogen hätten. Alle Absolventinnen, auch Yuka Suzuki-Winkler, tragen während der Andachten einen leuchtend blauen Schal, der ausdrückt, dass sie eine andere Aufgabe ausfüllen. Außerdem soll den Absolventinnen des Kurses helfen, dass sie keine Arbeitskleidung tragen.
Auch eine wichtige Frage sei gewesen „Wie kriege ich es zeitlich unter?“, erzählt Schmid. Die Ausbildung richtet sich vor allem an Hauptamtliche aus Heimen. Um die Andachten vorzubereiten, müssen die Absolventinnen und Absolventen häufig aber auch in der Freizeit Zeit aufwenden.
Yuka Suzuki-Winkler besucht mit ihren geistlichen Angeboten auch Menschen, die nicht in den Andachtsraum kommen können. „Ich darf keine Reaktion verlangen. Ich hoffe, dass das, was ich geben kann, den Menschen gut tut.“ Einmal hat sie Gänsehaut bekommen: „Ein Mann, der nicht mehr sprechen konnte, hat die Melodie eines Lieds mitgesungen.“
In der Fortbildung haben die Teilnehmerinnen an zwei Wochenenden geübt, Andachten vorzubereiten und haben sich dafür mit biblischen Texten beschäftigt. „Wir wollten auch einen Zugang zur Bibel eröffnen“, sagt Martin Schmid. Jede Teilnehmerin musste vor einem der Kursleiter zwei Andachten halten.
Geübt wurde, trotz leichter Sprache nicht zu vereinfachen und die Sinne anzusprechen. „Gruppen in Pflegeheimen sind sehr heterogene Gruppen“, sagt Martin Schmid. Wie können ein geistig fitter und eine demente Person trotzdem beide erreicht werden?
Die Betreuung während der Fortbildung sei sehr gut gewesen, erzählt Yuka Suzuki-Winkler. In der Gruppe verbinde sie, dass sie einen ähnlichen Beruf und ein Ziel teilten. Viele der Absolventinnen haben während der Corona-Pandemie schon auf eigene Faust versucht, religiöse Angebote zu machen.
„Die Altenheimseelsorge steht eher am Rand der seelsorgerlichen Arbeit“, sagt Martin Schmid. Er wünscht sich, dass Altenpflegeheime stärker als kirchliche Orte wahrgenommen werden, damit alte Menschen „die Kraft des Glaubens erfahren“ könnten.
Was kommt als nächstes? 2023 findet eine zweite Fortbildung statt. Die spirituelle Begleitung müsse bei Fortbildungstagen oder im nächsten Fortbildungsjahrgang noch stärker beleuchtet werden, etwa Gesprächsbegleitung, sagt Martin Schmid. Yuka Suzuki-Winkler betont, dass auch Sterbebegleitung wichtig sei, weil viele Angehörige hilflos seien oder keine emotionale Beziehung zum Elternteil hätten.
„Yuka Suzuki-Winkler macht als geistliche Begleiterin etwas, das in dem städtisch getragenen Altenheim sonst niemand macht“, sagt Martin Schmid. Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen in dieses Pflegeheim wegen fortdauernder Corona-Beschränkungen immer noch nicht kommen, um Gottesdienste zu halten. Außerdem haben sie nur begrenzt Zeit für Andachten in Pflege- und Wohnheimen. Darin, auch Menschen, die keine Seelsorger sind, zu befähigen, andere spirituell zu begleiten, liegt für Martin Schmid ein großes Potenzial für die Kirche.
„Ich komme jetzt als geistliche Ansprechpartnerin auf ein Plakat“, erzählt Yuka Suzuki-Winkler zum Abschluss. Damit ist sie die Erste aus ihrem Kurs. Die zweite Rolle, die sie für die Bewohner des Pflegeheims neben ihrer Tätigkeit als Betreuungsassistentin hat, bereichert Yuka Suzuki-Winkler: „Ich bekomme auch etwas für meine Arbeit wieder“, sagt sie.