Im stationären Erwachsenenhospiz verbringen schwerstkranke und sterbende Menschen ihre letzten Wochen. Was bedeutet Weihnachten für die Menschen am Lebensende? Und was hat sich durch die Corona-Pandemie verändert? Ein Interview mit Theresia Frank-Kaufmann über Weihnachten im Hospiz Stuttgart.
Wie feiert das Hospiz Weihnachten?
Frank-Kaufmann: Wir gestalten schon die Adventszeit bewusst. Das Haus wird dekoriert, es gibt Plätzchen und wir lesen jeden Tag eine Geschichte vor, zum Beispiel zum Kaffee. Am Heiligabend gibt es einen besinnlichen Impuls und ein besonderes Essen. Ob wir singen dürfen, wissen wir noch nicht. Wenn nicht, werden wir weihnachtliche Lieder abspielen. Die Familien unserer Gäste nehmen wegen der Corona-Pandemie zurzeit nicht am gemeinschaftlichen Essen in unserer Essküche teil. Für die Gäste, die Besuch haben, werden wir das Weihnachtsessen deshalb möglichst schön in den Zimmern decken. An den Weihnachtsfeiertagen wird es einen besonderen Kaffee geben. In der Woche vor Heiligabend kommen Sänger von der Staatsoper und singen für uns Weihnachtslieder. Vor der Corona-Pandemie hat an jedem Adventssonntag ein Chor für uns gesungen – häufig einer, in dem Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter aktiv sind. Die Pandemie hat in der Hinsicht viel verändert.
Aber die Familien dürfen die Sterbenden besuchen?
Frank-Kaufmann: Im Moment dürfen die Familie und die engsten Freunde kommen. Menschen aus verschiedenen Haushalten kommen zeitversetzt zu Besuch. Wir versuchen aber, alles möglich zu machen, was in dieser Zeit nicht immer leicht ist.
Wie unterstützen Sie die Familien?
Frank-Kaufmann: Wir fühlen zuerst bei den Angehörigen vor, wann sie über die Feiertage ins Hospiz kommen wollen und wie sie sich Weihnachten vorstellen. Es ist auch für die Familien schmerzhaft, dass sie mit ihrem Familienmitglied, das im Hospiz sterben wird, das letzte Weihnachten feiern. Sie empfinden wie der Sterbende einen großen Abschiedsschmerz. Ich glaube, er ist in der Weihnachtszeit noch ausgeprägter. Außerdem überlegen wir, wie wir sie psychosozial unterstützen können, indem wir einfach da sind oder die Tränen mit aushalten. Wir bestärken die Angehörigen und Sterbenden, dass ihre Trauer ihren Platz hat und gelebt werden darf. Wer trauert, sorgt auch ein Stück weit für sich. Denn wenn man die Trauer nicht zulässt, sie wegdrückt, schluckt und irgendwohin schiebt, macht sie irgendwann krank oder wird bei einem weiteren Trauerfall stärker und ausgeprägter.
Welche Rolle spielen Erinnerungen?
Frank-Kaufmann: Gedanken an das letzte Jahr oder an die letzten Weihnachten spielen immer wieder
eine Rolle. Das passiert aber auch an besonderen Tagen wie Geburtstagen oder Hochzeitstagen, auf die
man zurückblickt.
Hat sich die Bedeutung von Weihnachten für Sie verändert, seitdem Sie im Hospiz arbeiten?
Frank-Kaufmann: Ja, aber mein Leben und meine Prioritäten haben sich überhaupt verändert. Ich versuche, mich mehr über Kleinigkeiten zu freuen und dankbar zu sein für das, was gelungen ist, Begegnungen mit Freunden intensiver wahrzunehmen und Prioritäten zu setzen zwischen Konsum und Zwischenmenschlichkeit. Ich frage mich selbst: Was ist denn mein Herzenswunsch? Ich habe im Hospiz immer wieder erlebt, dass Menschen gedacht haben, das hat noch Zeit, das machen sie noch, vielleicht wenn sie in Rente sind. Aber dann kam die tödliche Krebserkrankung dazwischen und es war nicht mehr möglich. Bei manchem ist es in Ordnung, dass sie es nicht erlebt haben. Aber anderem trauern die Menschen nach. Ich überlege mir, welche meiner Wünsche mir sehr wichtig sind und welche ich zeitnah erfüllen kann. Die Begegnung mit Menschen bewusst wahrzunehmen oder mich mit Freundinnen zu treffen, wurde für mich viel wichtiger als Konsum und Shopping. Zeit miteinander zu verbringen – das habe ich im Hospiz gelernt – ist für mich das, was zählt.