Weihnachten ist eine Zeit der Rituale: Gerade jetzt halten Kinder und Erwachsene gerne daran fest, was sie seit langer Zeit gewöhnt sind. Eine Pfarrerin und zwei Pfarrer erklären, warum Rituale nicht nur für Kinder wichtig sind, und was sie mit Gott zu tun haben.
Das gemeinsame Essen zu Weihnachten, das Krippenspiel: Sind das Gewohnheiten oder schon Rituale? Oft könne man zwischen Gewohnheiten und Ritualen nicht genau unterscheiden, erklärt Pfarrer Frank Widmann vom Landespfarramt für Kindergottesdienst.
„Als Ritual bezeichnet man Handlungen, die einen symbolischen Gehalt haben, die also über sich hinausweisen“, macht er deutlich. „Manche würden sagen: die einen Transzendenzbezug haben - wobei Transzendenz nicht religiös gefasst sein muss.“ Als Beispiele nennt er Rituale in der Kommunikation, wie das Händeschütteln. „Ohnehin scheinen viele Rituale zu Schwellensituationen zu gehören, dahin, wo ein Übergang gestaltet werden muss“, so Widmann.
Während Gewohnheiten helfen, den Alltag zu bewältigen, schafft ein Ritual Beziehungen: „Es setzt die Person mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit Gott in Beziehung“, erläutert Pfarrer Frithjof Rittberger vom Dezernat für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Evangelischen Oberkirchenrat.
In der Regel bestehe es aus einzelnen liturgischen Elementen, z.B. in einem Gottesdienst. „Durch die Wiederholung von vertrauten Formen (Gebeten, Lieder, Gesten, Symbolen) kann sich der oder die Feiernde ganz auf das konzentrieren, was durch das Ritual an tieferer Bedeutung vergegenwärtigt wird. So ermöglicht es eine Erfahrung von Transzendenz. Zugespitzt heißt das: Beim Beten des Vaterunsers erfahre ich Gott als Zuhörenden, der an mir wirkt, beim Krippenspiel an Heiligabend findet nicht nur eine Inszenierung statt, sondern die Inszenierenden wie Mitfeiernden werden erfüllt von der Freude darüber, dass Gott unter unerwarteten Bedingungen Mensch wird und Frieden bringt.“
Wichtig sei aber, dass diese Wirkung des Rituals in Form der christlichen, gottesdienstlichen Liturgie kein Selbstläufer oder gar Automatismus sei: „Sie soll vielmehr helfen, Zeit, Raum und Aufmerksamkeit zu schaffen, sich dem unverfügbaren Wirken Gottes zu öffnen“, so Frithjof Rittberger. Rituale seien besonders in Übergangs- oder Krisensituationen wichtig, um Worte für das Neue zu finden und darin Hoffnung und Geborgenheit von Gott zu erfahren.
Nicht nur zu Weihnachten wirkt die Liturgie eines Gottesdienstes als Ritual, besonders für Kinder. „Die Liturgie ist wie ein Weg mit verschiedenen Haltestellen“, berichtet Dr. Henrike Frey-Anthes, Pfarrerin in Schwäbisch-Hall und Referentin der Dekanin im Kirchenbezirk Öhringen, aus ihrer Arbeit mit Kindern.
So führe die Liturgie Kinder zur biblischen Erzählung hin, und von dort weiter zu anderen Menschen. „Wir erklären die Liturgie nicht, wir erleben sie gemeinsam. So verstehen Kinder intuitiv, was Glaube bedeutet, und die Liturgie wird lebendig.“ Vor allem für Kinder schafften diese Rituale in der Liturgie Gemeinschaft, durchbrächen den Alltag und schenkten Sicherheit. Und noch mehr: „Kinder spüren sich auf anderen Ebenen, erleben eine Transzendenzerfahrung“, so Pfarrerin Dr. Frey-Anthes.
Sicherheit durch ein festes Ritual in der Liturgie, das gelte auch für Erwachsene, sagt Kinderkirchenpfarrer Frank Widmann: „Wenn ich woanders in die Kirche gehe, wo vieles anders abläuft, merke ich: Das verunsichert mich, ich bin damit beschäftigt, wie es weitergeht, kann mich nicht so gut fallenlassen“. Für ihn zeige sich das Ritual in einer Schwellensituation auch im Gottesdienst. „Die Begegnung mit dem Heiligen, mit Gott, will gestaltet sein.“
Für viele Familien ist das Krippenspiel an Heiligabend ein Muss. „Dieser gesellschaftlich bedeutendste Gottesdienst an Heiligabend ist auch derjenige, der die verschiedenen Bedeutungen des Rituals stark verdichtet: Kinder partizipieren mittels Krippenspiel am stärksten; durch lange vorangehendes Proben ‚üben‘ und vergegenwärtigen sie stärker als alle anderen Beteiligten rituell, wie die freudige Überraschung der Weihnachtsfreude Gottes auf alltägliche Gewohnheit, Sorge oder Chaos trifft. Zugleich geschieht in der Verteilung der Krippenspielrollen eine Einübung in die eigene Rolle in der Gemeinschaft und die Wahrnehmung der Eigenheit und Gaben anderer“, erklärt Frithjof Rittberger. Die Bedeutung der teils sehr begehrten Rolle der Engel bei Krippenspielen, aber auch die Faszination des Aufhängens, Erleuchtens und Einbeziehens des (Weihnachts-) Sterns zeigten symbolhaft, wie wesentlich die Liturgie die unsere Wirklichkeit transzendierende Hoffnung auf Gott mit dem Alltäglichen und Vertrauten spannungsreich verbinde.
Mit christlichen Ritualen feiern viele Menschen Weihnachten, andere nutzen eigene Rituale. Pfarrerin Dr. Henrike Frey-Anthes sieht das unkritisch, aber: „Es sollte Aufgabe von religiöser Bildung sein, dass wir verstehen, welche Rituale wir begehen und welche Symbole wir benutzen.“ Wenn ein Ritual nicht mehr „passe“, müsse man sich fragen, warum das so ist. „Vielleicht kann die Form gleichbleiben, aber die Sprache und das Symbol müssen sich ändern, oder umgekehrt.“ Manchmal müsse aber auch das Ritual neu gestaltet werden, wenn sich der Deutungsrahmen verändert habe. Wer neue Rituale schaffen wolle, solle ausprobieren und mutig sein, rät sie.
Viele Rituale ergeben sich, sie tragen oft nur, wenn sie gewachsen sind, so Pfarrer Frank Widmann. Aber sie würden nicht unverändert über Generationen hinweg weitergegeben. „Sie werden sich wandeln, von allein oder unbewusst. Worte müssen zum Beispiel verständlich bleiben.“ Es sei nicht hilfreich, Familienrituale ewig weiterzuführen, nur weil sie einmal so schön waren, als die Kinder klein waren. „So wie der Glaube in uns mitwächst, muss auch das, was eine Familie gemeinsam tut, mitwachsen“, erklärt er. „Sonst bleibt Weihnachten ein ,Kleinkinder-Fest' mit strahlenden Kinderaugen, mit dem wir Großen nichts mehr anfangen können und auf das wir uns immer nur sentimental zurückbesinnen können.“