Reformer im Fokus: Mit einem Gottesdienst zum Waldensersonntag in der Stuttgarter Stiftskirche, einer Podiumsdiskussion sowie Führungen durch die Waldenser-Sonderausstellung im „bibliorama – das bibelmuseum stuttgart“ haben evangelische Christen am 19. September an den 300. Todestag des bedeutenden Pfarrers und Waldenser-Obersts Henri Arnauds erinnert.
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July sagt über die Waldenser: „Diese kleine Gruppe mutiger Christen hat uns über die Jahrhunderte vieles gelehrt - und tut es noch. Die Waldenser haben das Licht Gottes selbst in tiefer Dunkelheit leuchten lassen und gezeigt, was Hoffnung, Mut und Beständigkeit bewirken. So wächst die Waldenserkirche in Italien. Sie wächst auch deshalb, weil sie offen ist für Menschen, die vertrieben, ausgestoßen, verfolgt und gequält wurden wie einst sie selbst. Mit ihrem Engagement strahlen die Waldenser in die Gesellschaft aus – und sind damit auch für uns ein Leitlicht.“
Unter dem Titel „Wieviel Kirche braucht der Mensch?“ sprachen Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July und die Moderatorin der Waldenserkirche in Italien, Alessandra Trotta, bei einer Podiumsdiskussion im bibliorama über die Lage und Perspektiven ihrer Kirchen. Landesbischof July betonte dabei, die Württembergische Landeskirche und das Land Baden-Württemberg hätten mit dem Staatskirchenvertrag eine beständige Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit etwa bei Bildung und Diakonie. „Wir haben kooperative Abkommen mit dem Staat, die uns erlauben, unsere gesellschaftlichen Aufgaben wahrzunehmen und uns zu positionieren“, so July weiter.
Alessandra Trotta, die Moderatorin der Waldenserkirche in Italien, sagte zur Rolle der Waldenserkirche in ihrem Land, die Bedeutung der eigenen Kirche hänge auch stark vom Selbstbild ab: „Wir sind in der Zahl klein, aber keine Minoritätenkirche. Man muss sich seiner Berufung klar sein und sich engagieren“.
Franziska Stocker-Schwarz, Direktorin des bibliorama: „In einer schroffen und kargen Berglandschaft kann der Weg dieser europäischen, vorreformatorischen Glaubensbewegung im bibliorama nachvollzogen werden. Die Waldenser wollten selber die Bibel in ihrer Muttersprache lesen, im Sinne der Bergpredigt leben und frei predigen. Deswegen wurden sie immer wieder verfolgt.“
„Die Waldenser – die einzige, heute noch existierende vorreformatorische Glaubensbewegung (1174) – bezeichne ich gerne als die 'Mutter des Protestantismus'. Sie haben sich unter anderem von Anfang an für die Glaubensfreiheit eingesetzt. Die Bibel ist für sie die einzige und höchste Autorität. Waldenser zu sein ist keine Frage der Geburt sondern ein Glaubensbekenntnis”, sagt Dorothea Vinçon, Präsidentin der Deutschen Waldenservereinigung über die Waldenser.
Die Waldenser gehen auf den Lyoner Kaufmann Waldes zurück, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Teile der Bibel in die Volkssprache übersetzen ließ. Er und seine Gefolgsleute nannten sich „die Armen Christi“. Sie wurden von der Inquisition als Ketzer verurteilt und jahrhundertelang blutig verfolgt. 1699 mussten mehrere Tausend Waldenser ihre Heimat - das heutige Piemont - verlassen. Pfarrer Henri Arnaud brachte die Glaubensflüchtlinge unter anderem nach Württemberg. Dort gründeten sie - wie in Baden und Hessen - eigene Kolonien.
1823 sind die waldensischen Gemeinden in die Landeskirche integriert worden. Seit 1936 pflegt die Deutsche Waldenservereinigung die Beziehungen der Nachkommen der Waldenser untereinander sowie zu den Waldenserkirchen außerhalb Deutschlands und unterstützt deren Arbeit. Ziel ist, die Anliegen der Waldenser nachhaltig lebendig zu erhalten. Zu den Mitgliedern gehören viele Menschen, die selbst keine Nachfahren der deutschen Waldenser sind.