18.08.2021

Das landeskirchliche Archiv stellt sich vor

Auch private Nachlässe können die Kirchengeschichte vervollständigen

Das Landeskirchliche Archiv sorgt nicht nur für die Bewahrung und Erhaltung wichtiger, kirchenhistorischer Dokumente, sondern erlaubt auch vielen Menschen, ob Privatpersonen oder Forschungseinrichtungen, Zugriff darauf. Private Archivalien, wie beispielsweise Tagebücher, sind dafür eine große Hilfe. Prof. Dr. Norbert Haag, Leiters des landeskirchlichen Archivs, stellt es hier vor.

Prof. Dr. Norbert Haag ist als Referatsleiter für das Archiv, die Bibliothek sowie das Dokumenten- und Wissensmanagement zuständig

Im September 1935 vertraute der neu ernannte Dekan von Herrenberg, Theodor Haug, seinem Tagebuch an, dass „das Aber [gegen den National­sozialismus] nicht bloß am Anfang“ gewesen sei. „Ich mußte mich sehr an die Hakenkreuz­fahne gewöhnen, sie tat meinem Auge fast körperlich weh, und das Unnatürliche des Hitlergrußes konnte ich nur schwer auch nur einigermaßen überwinden. […] Während des Jubels in Potsdam, am 21. März 1933, sah ich schmerzhaft deutlich die kommende Enttäuschung und neues Blutvergießen und mußte es in etlichen Versen niederschreiben. Leider hat mir die Entwicklung nur zu Recht gegeben.“

Diese schlichten Worte sind alles andere als banal. Denn sie belegen, dass es im deutschen Protestantismus bereits sehr früh, lange etwa vor der berühmten Barmer Erklärung vom Mai 1934, Men­schen gab, die nicht bereit waren, in den Chor begeisterter Ja-Sager gerade auch evangelischen Glaubens einzustimmen, die dem Tag von Potsdam sein Gepräge gaben. Um diesen Menschen eine Stim­me zu geben, bedarf es entsprechender Nachweise – in diesem Fall einen Eintrag in einem Tagebuch.

Keine l’art pour l‘art: Was sind die Aufgaben von Archiven?

Das Tagebuch des Herrenberger Dekans ist zwischenzeitlich nicht mehr auf­findbar. Von seinem Inhalt – etwa dem Eintrag zum Tag von Potsdam – wissen wir nur, weil eine Nachfahrin des Her­renberger Dekans seinerzeit so freundlich war, den Tagebuchauszug dem Verfasser dieser Zeilen zur Verfügung zu stellen. Leider konnte sie sich nicht dazu ent­schließen, dem Landeskirchlichen Archiv das Tagebuch im Original oder als Kopie zur Verfügung zu stellen. Dieser Verlust ist unwiederbringlich. 

Bewahren   

Dieses Beispiel illustriert eine der wich­tigsten Aufgaben eines jeden Archivs: die Bewahrung wichtiger Unterlagen der Vergangenheit für die Gegenwart. Die in den Archiven verwahrten Dokumente können ihrerseits höchst unterschiedli­chen Zwecken dienen. Es kann beispielsweise darum gehen, kirchliche Entscheidungsprozes­se nachvollziehen oder kirchliche Rechtsansprüche dokumentieren zu können – muss sich etwa eine Kommune aufgrund vertraglicher Verpflichtungen aus der Vergangenheit an den Unterhaltskosten kirchlicher Gebäude beteiligen? Vor allem aber geht es darum, das reiche geschichtliche Erbe unserer Kirche im Bewusstsein der Gegenwart präsent zu halten – sowohl innerkirchlich als auch gesamtgesellschaftlich. In einer Zeit, in der das Bewusstsein dafür, was die evangelische Kirche für die Gesell­schaft tat und tut, zu schwinden droht, scheint mir dies wichtiger denn je zu sein. Es geht auch um den Verkündi­gungsauftrag unserer Kirche.

Für die Nutzung bereitstellen   

Archive sind kein Selbstzweck. Sie wollen, dass mit den von ihnen ver­wahrten Unterlagen gearbeitet wird. Dies ist – unter bestimmten rechtli­chen Voraussetzungen, insbesondere Schutzfristen – allen möglich, die ein berechtigtes Interesse geltend machen. Dementsprechend vielfältig sind die Nutzer und Nutzerinnen. Und ihre Interessen sind es auch: Das Spektrum reicht von der Familienforschung bis zur akademischen Spitzenforschung. So sind zwischenzeitlich sämtliche älte­ren Kirchenbücher (bis 1875) unserer Landeskirche über ein EKD-weites Internet­portal recherchierbar, das von genealogisch Interessierten rege genutzt wird (www. archion.de).

Handschriftliche Predigtsammlung aus der Zeit vor dem 30jährigen Krieg.

Das Landeskirchliche Archiv Stuttgart – geborgene, gelagerte und versorgte Akten vom 30-jährigen Krieg bis zu modernen Privatnachlässen    

Mit Beständen im Umfang von ca. 14.000 laufenden Metern gehört das Landeskirchliche Archiv Stuttgart zu den größten Archiven der EKD. Verwahrt werden die Unterlagen des sogenannten Konsistoriums und seines Nachfolgers, des Oberkirchenrats, der Lan­dessynode, der Dekanat- und zahlreicher Pfarrämter, wichtiger Einrichtungen der Diakonie, aber auch Nachlässe aus privater Herkunft. 

Die Überlieferung des Landeskirchli­chen Archivs setzt im 16. Jahrhundert ein, wird aber im Regelfall erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dichter. Warum ist das so? 

Ein entscheidender Grund lässt sich den Totenregistern von Neuenstadt zeigt: Das Jahr 1623 zeigt eine „norma­le“ Sterblichkeit. Das Kirchenbuch aus dem Jahr 1634 dokumentiert jedoch mit seinen bestürzend langen Aufzäh­lungen die Situation im Jahr 1634, dem Jahr der Nördlinger Schlacht und damit aus der Zeit des 30jährigen Krieges. Die Folgen von Krieg, Teuerung und Pest, die mehr als ein Drittel der damaligen Bevölkerung Württem­bergs dahinrafften, sind augenfällig. Den Trost des Evangeliums unter diesen Bedingungen gespendet zu haben, gehört zu den gro­ßen Leistungen des württembergischen Pfarrstandes. 

Das Losungsbuch hat dem Krankenträger August Bühler, der im 1. Weltkrieg im Fronteinsatz in Frankreich diente, wohl das Leben gerettet. Ein Granatsplitter wurde von dem Buch aufgehalten.

Zu den wichtigsten Hilfsmitteln, die den evangelischen Geistlichen des 16. und 17. in ihrem Amt zur Verfügung standen, zählen Predigtsammlungen. Im Unterschied zu den Bergen an gedruckter Literatur, die aus dem 16. und 17. Jahrhundert auf uns gekommen sind und in der Landeskirchlichen Zentralbibliothek verwahrt werden, sind handschriftliche Sammlungen ausgesprochen selten. 

Die Archivierung digitaler Daten stellt die wohl größte archivische Herausforde­rung der Zukunft dar. Sie ist auch aus Sicht des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart nicht mehr im Alleingang zu bewältigen. Die evangelischen und katholischen Archive des Landes Baden- Württemberg – Karlsruhe und Stuttgart, Freiburg und Rottenburg – haben sich daher in enger Anleh­nung an das Landesarchiv gemeinsam auf den Weg gemacht und ein Digitales Archiv ins Leben gerufen. Erste Bestände wurden bereits erfolgreich übernommen. Vieles aber ist noch zu tun. 

Dem digitalen Archiv wird die Zukunft gehören. Wer hier nicht „mitspielen“ kann, hat keine oder eine bestenfalls düstere Zukunft. Deswegen werden auch wichtige analoge Quellen aus dem Landeskirchlichen Archiv – wie etwa Visitationsunterlagen – nachträglich digitalisiert und im Netz bereitgestellt.

Auf die Postkarte schrieb August Bühler: „Am 7. April 1918 durch Granatsplitter in der hinteren Rocktasche durchschlagen. In wie viel Not, hat nicht der gnädige Gott, über dir Flügel gebreitet.“

Per Internet zu kirchengeschichtlichen Highlights: Württembergische Geschichte online

Das Internetportal „Württembergische Kirchengeschichte“ online zählt zu den jüngsten Gemeinschaftsprojekten von Landeskirchlichem Archiv und Verein für württembergische Kirchen­geschichte. Es bietet auf seiner jetzigen Ausbaustufe in zeitgemäßer Form grundlegende Informationen zu den Epochen württembergischer Kirchenge­schichte, interessanten Themen, wichti­gen Persönlichkeiten und bedeutenden Institutionen und ist im evangelischen Deutschland singulär. Auch ein Blog ist integriert, in dem unterschiedliche kirchengeschichtliche Themen behan­delt oder interessante Quellenfunde präsentiert werden. 

Aktuell wird ein neuer Baustein angedacht, der auf die Gemeinden unserer Landeskirche zielt und in einem ersten Schritt wichtige Erinnerungsorte württembergischer Kirchengeschichte und wichtige Kirchen des Landes in den Blick nehmen wird. Die genannten Orte und Kirchen werden auch über eine Karte angesteuert werden können.

Service des Archivs

Services für Kirchenge­meinden und landeskirchliche Institutionen auf einen Blick  

Archiv und Verein für Württembergische Kirchengeschichte:   

  • Analoge und digitale Bestände   
  • Beratung in allen archivischen Fragen   
  • Kostenlose Verwahrung und Verwaltung kirchlicher Archive   
  • Unterstützung bei örtlichen Jubiläen von mit kirchengeschichtlichem Hintergrund
  • Ausleihe von kleineren Ausstellungen im Rahmen örtlicher Jubiläen   
  • Historische Bildungsarbeit

Zum Verein für württembergische Kirchengeschichte
Der 1920 gegründete Verein für württembergische Kirchengeschichte gehört selbst zu den ältesten kirchengeschichtlichen Vereinen des evangelischen Deutschlands. Auf eine noch längere Tradition darf die Vereinszeitschrift Blätter für württembergische Kirchengeschichte zurückblicken, die erstmals 1876 erschien. Sie gehört neben der wissenschaftlichen Reihe Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte, auf die bereits Bezug genommen wurde, zu den wichtigsten Publikationen des Vereins. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, „die Erforschung der Kirchengeschichte Württembergs einschließlich der kirchlichen Kunstgeschichte im Rahmen der historischen Wissenschaften zu erforschen, sich an der Sicherung und Erhaltung von historischen Zeugnissen zu beteiligen sowie die Ergebnisse der Forschung breiten Kreisen zu vermitteln“ – so die Vereinssatzung.
Kirchengemeinden, die Mitglied im Verein sind, stehen darüber hinaus mehrere Ausstellungen zu Verfügung, die kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Ferner unterstützt sie der Verein bei kirchengeschichtlichen Jubiläen oder sonstigen kirchengeschichtlichen Aktivitäten.  

Bibliotheken:

  • Analoge und digitale Medien besonders für Pfarrer und Pfarrerinnen, Religionspä­dagogen und Religionspädagoginnen, Leh­rende und Studierende landeskirchlicher Bildungseinrichtungen sowie Mitarbeiten­de in der kirchlichen Verwaltung -
  • Historische Buchbestände
  • Sondersammelgebiete
  • Beratung in allen bibliothekarischen Fragen

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