18.03.2021

Rat und Orientierung für den Alltag geben

Interview mit Rundfunkpfarrerin Lucie Panzer

Millionen Menschen hören Radio und damit auch Beiträge der kirchlichen Rundfunkarbeit. Dr. Lucie Panzer war 25 Jahre Pfarrerin im Landespfarramt für Rundfunk und Fernsehen. Ende März geht sie in den Ruhestand. Zum Abschied haben wir mit ihr über ihre Erfahrungen und die Besonderheiten der Rundfunkarbeit gesprochen. Hinweis: Am digitalen Abschiedsgottesdienst aus der Stuttgarter Pauluskirche am 18. März um 16 Uhr können Sie auch per Livestream teilnehmen, den Sie hier finden.

„Verkündigung im Radio findet Gehör, wenn sie klar macht, wie christlicher Glaube leben hilft,“ sagt Rundfunkpfarrerin Lucie Panzer.

Frau Dr. Panzer, seit 25 Jahre lang haben Sie als Pfarrerin im Landespfarramt für Rundfunk und Fernsehen gearbeitet. Auf welchen Beitrag haben Sie in diesen Jahren die größte Resonanz erhalten?

Dr. Lucie Panzer: Das war ein Beitrag, in dem es um Kinder mit Schulängsten ging. Also Kinder, die Angst davor haben, morgens in die Schule zu gehen. Da habe ich u. a. ein Gebet für solche Kinder weitergegeben. Das wurde fast 500mal nachgefragt, von Müttern und Vätern, Großmüttern, Patentanten, Lehrern und Lehrerinnen, die geschrieben haben. Ich kenne da auch jemanden. 

Warum denken Sie, war es gerade dieser Beitrag, der so viel Resonanz bekommen hat?

Lucie Panzer: Das Problem der Schulangst kennen viele, die mit Kindern zu tun haben. Und sie möchten gern etwas weitergeben, das vielleicht „hilft“. Die Menschen hören Radio, weil sie neben Musik nützliche Informationen, Orientierung, Rat und Hinweise für ihren Alltag suchen. Sie fragen: „Was bringt mir das?“ Verkündigung im Radio findet Gehör, wenn sie klar macht, wie christlicher Glaube leben hilft.

Gibt es besondere Erlebnisse oder Begegnungen, an die Sie sich gerne zurückerinnern?

Lucie Panzer: Besonders nett fand ich die großen Hörerfeste des SWR. Da konnte ich vielen Hörern und Hörerinnen persönlich begegnen.

Hat sie schon einmal jemand anhand ihrer Stimme erkannt, zum Beispiel im Laden oder auf der Straße?

Lucie Panzer: Ja, das kommt öfter vor. Meine Stimme sei „anders“ als die Stimmen der Radio-Moderatorinnen, sagen die Leute dann. Ich werde auch erkannt, wenn ich zum Beispiel mit der Bankkarte bezahle, da steht ja mein Name drauf, und der ist ziemlich ungewöhnlich und leicht zu merken.

Ihre Beiträge werden von mehreren Hunderttausend Menschen gehört. Bei der Aufnahme im Studio sind meist nur ein oder zwei weitere Personen anwesend. Ist es für Sie schwierig, dass Sie die Zuhörer und Zuhörerinnen nicht sehen können, sondern fast alleine sind? Wie gehen Sie damit um?

Lucie Panzer: Es ist gut, immer nur zu einem Menschen zu sprechen. Die Menschen hören in der Regel ja auch als einzelne zu. Würde ich mir Hunderttausende vorstellen, würde ich ja reden wie auf einer Großkundgebung. Das ist unpersönlich.

Was sind ihre Tipps für Menschen, die jetzt im Moment oft alleine in eine Kamera oder ein Mikrofon sprechen müssen, weil zum Beispiel keine Präsenzgottesdienste stattfinden, aber das nicht so gewohnt sind.

Lucie Panzer: Reden, wie man auch im Alltag spricht. Normales Sprechtempo. Niemals „reden wie gedruckt“. Das schafft Distanz. Kurze, einfache Sätze. Direkt in die Kamera schauen.

Läuft nach wie vor bei Millionen Menschen täglich mehrere Stunden: das Radio

Das Radio gilt eigentlich schon seit vielen Jahren als antiquiertes Medium ohne große Zukunft. Können Sie sagen, wie sich die Zahlen der Hörerinnen und Hörer über die letzten Jahre entwickelt haben? 

Lucie Panzer: Radio wird nach wie vor gehört. Denn nur Radio (oder Musik-Streaming) kann man nebenbei hören. Durchschnittlich hören die Menschen in Deutschland 180 Minuten täglich Radio. Besonders für Ältere ist das Radio das Tagesbegleitmedium. Das Radio läuft bei vielen von morgens bis abends. SWR 4 hat knapp 2 Millionen Zuhörer und Zuhörerinnen täglich. Das beliebteste Radioprogramm in Deutschland ist SWR3 mit 3,62 Millionen Hörern und Hörerinnen. SWR1 hören 1,27 Millionen, das Jugendradio DASDING bundesweit etwa 430.000.

Der Boom der Podcasts und Hörbücher lässt manche Medienexperten von einer Renaissance der Stimme sprechen – was ist für Sie die besondere Qualität des gesprochenen Wortes im Radio oder Internet etwa im Vergleich zum Video?

Lucie Panzer: Zum einen kann man Radio „nebenbei“ hören. Man kann etwas anderes tun und hat doch die Stimme um sich. Das ist das zweite: Radio ist ein Tagesbegleitmedium. Die Stimme vermittelt parasoziale Kontakte. Vor allem für Radio-Vielhörer gehören die Radiostimmen gewissermaßen zur Familie.

In der Zwischenzeit kann man die Beiträge natürlich auch auf der Homepage von Kirche im SWR nachhören, es gibt einen Facebook-Auftritt, auf dem jeden Tag mehrere Beiträge geteilt werden. Wie sehen Sie das Verhältnis vom Radio zu „neueren“ Medien? Nimmt die Bedeutung des linearen Programms ab?

Lucie Panzer: Es ist gut, dass man die Beiträge nachlesen, nachhören und ausdrucken kann. Das wird viel genutzt. Aber die große Chance des Radios ist, dass man nebenbei, gewissermaßen unabsichtlich gehört wird. Kurz vor den Nachrichten am Morgen hören Menschen zu, die vermutlich keine kirchlichen Beiträge im Netz suchen würden.

In den 25 Jahren Ihrer Radiotätigkeit hat sich die Mediennutzung der Menschen massiv verändert – wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede zwischen 1995 und heute?

Lucie Panzer: Im Bereich Radio hat sich die Radionutzung kaum verändert. Vor 20 Jahren sprach man schon von einer durchschnittlichen Hördauer von ca. 3 Stunden täglich. Heute sagt man: 180 Minuten. Man kann Radio ja auch hören, während man zum Beispiel im Internet surft. Die Programme allerdings haben sich verändert. Es gibt viele „durchhörbare“ Servicewellen und Formatprogramme. Einschaltprogramme (mit erwartbaren Programmpunkten zu einer bestimmten Zeit) gibt es nur noch in den Kulturprogrammen und im Deutschlandradio.

Hören Sie eigentlich selbst viel Radio?

Lucie Panzer: Ich höre Radio beim Autofahren, beim Putzen, beim Kochen… Beim Lesen oder am Schreibtisch habe ich es lieber still.

Inwiefern unterscheiden sich die Erwartungen an einen Radiobeitrag von den Erwartungen an eine klassische Sonntagspredigt?

Lucie Panzer: Am Sonntag erwarten Menschen, dass ihnen ein Bibeltext erklärt wird und dass sie hoffentlich verstehen, was der mit ihrem Leben zu tun hat. Radiohörer wollen Antworten auf die Fragen ihres Alltags. Ich glaube, dass der christliche Glaube solche Antworten hat. Deshalb rede ich davon.

Die Beiträge im Radio haben teilweise feste Sendeplätze, teilweise aber auch nicht. Auf alle Fälle heben Sie sich deutlich vom anderen Programm ab und werden von den Zuhörern und Zuhörerinnen auch nicht unbedingt erwartet. Wie schafft man es, da die Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer zu gewinnen?

Lucie Panzer: Auf SWR1, 2 und 4 haben unsere Sendungen feste Sendeplätze. Die Hörer und Hörerinnen wissen, dass vor den Nachrichten die „gute Nachricht“ kommt. Sie hören zu, wenn gleich am Anfang deutlich wird, dass es um sie und ihren Alltag geht. Das findet Interesse. Interesse ist lateinisch und heißt „mittendrin sein“. Die Menschen hören zu, wenn sie mir ihrem Leben in dem vorkommen, was gesagt wird.

Nun ist es kein Geheimnis, dass die Kirchenmitglieder weniger werden. Das birgt die Gefahr, dass den Kirchen im öffentlichen Diskurs eine geringere Rolle zugesprochen wird. Sehen Sie hier eine Tendenz bzw. Probleme auf die Kirche zukommen, dass es irgendwann heißt: Ihr bekommt jetzt weniger oder gar keine Sendezeit mehr?

Lucie Panzer: Sendezeiten für die „Kirchen und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts“ sind im Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben. Die kirchlichen Sendungen werden adressatenorientiert als Beiträge zur Lebensbewältigung, Orientierung und Meinungsbildung gesehen, besonders in Krisenzeiten. Solange sie das leisten, werden sie einen guten Stand in den Programmen haben. Wenn sie absenderorientiert als Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen oder als Werbesendung gehört werden, wird die Akzeptanz schwinden. Ich halte es allerdings für möglich, dass es in absehbarer Zeit auch Sendungen anderer Religionsgemeinschaften vor allem der Muslime geben wird. Es gibt ja auch jüdische Verkündigungsbeiträge.

Prognosen sind immer schwierig. Lassen Sie es uns trotzdem versuchen. Glauben Sie, dass die kirchliche Rundfunkarbeit in zehn Jahren sehr viel anders aussehen wird?

Lucie Panzer: Ich glaube, dass die Menschen auch in 10 Jahren Radio hören. Ich denke, dass es dann auch nach wie vor Verkündigungssendungen geben wird. Und es wird Podcasts geben und kirchliche Programme, die man zeitunabhängig hören und sehen kann. Aber das wird dann etwas sein für Leute mit „special interests“.

Am 18. März ist ihr Verabschiedungsgottesdienst. Was werden Sie am ersten Tag im Ruhestand sicher nicht vermissen?

Lucie Panzer: Dass ich zuständig bin für die umgehende Reaktion auf Katastrophen, Krisen und Unglücksfälle im aktuellen Radioprogramm.

Was haben Sie im Ruhestand vor?

Lucie Panzer: Ein paar kleinere Projekte habe ich übernommen. Abwechselnd mit einem Kollegen werde ich eine regelmäßige Kolumne schreiben für das „Evangelische Gemeindeblatt“. Ich bleibe noch eine Weile Autorin für den Deutschlandfunk. Und vor allem: Ich habe acht Enkelkinder, die freuen sich, wenn die Oma bald mehr Zeit für sie hat.

Frau Panzer, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen alle Gute im Ruhestand!

Die Fragen stellten Pamela Barke, Malte Jericke und Mario Steinheil

Lucie Panzer – Leben als Rundfunkpfarrerin | Alpha & Omega

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