Corona-Pandemie und Europa – das hat für Schlagzeilen gesorgt. Sei es bei Grenzschließungen, der gemeinsamen Impfstoffbestellung, unterschiedlichen Umgangsweisen mit der Pandemie. Wie solidarisch kann Europa sein? Darüber diskutiert beim Ökumenischen Kirchentag am 15. Mai um 15:00 Uhr Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July unter anderem mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der Vizepräsidentin der französischen Zentralbank, Sylvie Goulard, sowie Bischof Franz-Josef Overbeck. July ist Vorsitzender der Kommission für Europafragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie finden die Podiumsdiskussion hier.
Bei manchen hat das Ansehen der EU in der Pandemie gelitten. Zum Beispiel bei der Beschaffung von Impfstoffen. Sie wird als zu langsam und unzureichend kritisiert. Wäre es national besser gegangen?
Landesbischof July: Die Pandemie lässt sich nur gemeinsam überwinden, niemand sollte sich hier selber in die Tasche lügen. Und die EU hat gehandelt – und über die Mitgliedsstaaten hinaus Impfstoff weitergegeben. Die USA dagegen hat keine einzige Impfdose exportiert – das kann nicht das Modell sein. Die EU sieht hier weiter und ich bin dankbar dafür. Als Kirchen leisten wir unseren Beitrag über unsere internationalen Netzwerke. So unterstützt der Lutherische Weltbund zum Beispiel die kleine lutherische Kirche in Italien durch ein Corona-Nothilfe-Programm.
In diesen Tagen wird von verschiedenen Seiten die Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe zum Schutz vor Covid19 gefordert. Sehen Sie darin einen Weg?
Landesbischof July: Ich bin hier sehr zurückhaltend. Schaut man genauer auf diese Forderung, wird schnell erkennbar, dass die Dinge nicht so einfach liegen. Es bedarf für die Produktion von Impfstoffen einer längeren Anlaufzeit. Das ist eine komplexe Aufgabe. Es gibt schnellere Wege, Impfdosen besser zu verteilen. Und darum muss es doch jetzt gehen. Auch in ärmeren Ländern. Außerdem sollten die Impfstoffhersteller für Länder zum Beispiel in Afrika preislich deutlich ermäßigte Impfdosen in ausreichender Zahl anbieten - sie sind ja auch mit hohen, öffentlichen Summen gefördert worden. Der Gemeinwohlgedanke gilt also auch hier im größeren Zusammenhang. Außerdem verweise ich auf internationale Programme wie Covax, die schnelle Hilfe leisten wollen. Dass dies eine ethisch notwendige Aufgabe ist, darauf müssen wir wieder und wieder hinweisen.
Dennoch sieht sich die EU in der Defensive – wie soll es mit Europa weitergehen?
Landesbischof July: Europa ist größer als die EU, dennoch ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die EU für das friedliche Zusammenleben in Europa einen erheblichen Beitrag leistet. Daran ist auch in aufgeregten Zeiten immer wieder zu erinnern. Einen Rückfall in nationale Identitäten, die sich voneinander abgrenzen, können und wollen wir uns nicht erlauben. Hier ist die „Konferenz für die Zukunft Europas“, die vor kurzem als ganzjähriges Projekt begonnen wurde, eine gute Initiative. Von den vorgesehenen Bürgerforen in den einzelnen Ländern verspreche ich mir viel. Gerade durch die Beteiligungsmöglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern wird Teilhabe geübt. Ich plädiere für eine aktive Mitwirkung auch der Kirchen bei den Bürgerforen.
Demnächst wird im Bundestag über das Lieferkettengesetz entschieden, was sollte der deutsche Beitrag hier sein?
Landesbischof July: Unsere Landessynode hat sich hier entschieden für das Lieferkettengesetz ausgesprochen. Wir wissen über unsere ökumenischen Beziehungen zu den anderen Kirchen, unter welch jämmerlichen Arbeitsbedingungen Rohstoffe gewonnen und Konsumprodukte hergestellt werden. Wir leben gut auf Kosten der Menschen am Anfang der Lieferkette. Sie sind gleichsam das schwächste Glied. Wenn Deutschland hier entschieden voran geht und dem Bundestag ein gutes Gesetz gelingt, hätte das Ausstrahlung für ganz Europa.
Was kann Kirche zu Europa beitragen?
Landesbischof July: Die Kirchen in Europa sind gut vernetzt. Auf evangelischer Seite gibt es da die Konferenz europäischer Kirchen (KEK) oder die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Mittels unserer kirchlichen Vertretungen in Brüssel tragen wir unsere Basiserfahrungen der Kirchengemeinden und unsere Kompetenzen in europäischen Sachfragen ein. Zum Beispiel im Bereich der Sozialpolitik, der Bewahrung der Schöpfung, der Gerechtigkeit. Und natürlich treten wir für Meinungs- und Religionsfreiheit ein - und bringen das in die Beratungen und Wahrnehmungen der europäischen Politikerinnen und Politiker ein.
Sie sind Vorsitzender der Kommission für Europafragen der EKD – was verbirgt sich dahinter?
Landesbischof July: Auch in dieser Funktion bringe ich die Sichtweise kirchlicher Einschätzungen zu Europafragen in Gesprächen mit Verantwortlichen in Brüssel und Berlin ein. Besonders berührt mich zurzeit die Nachlässigkeit und Zögerlichkeit, mit der die EU die brennenden Fragen an der europäischen Außengrenze und in den Flüchtlingslagern in EU-Mitgliedsstaaten behandelt. Allerdings müssen wir uns alle selber fragen, ob wir genügend tun, damit die europäische Politik ihre Agenda entsprechend ändert.