Was hilft gegen Antisemitismus, was kann jeder einzelne tun? Wie ist die Stimmung unter jüdischen Menschen in Deutschland? Wie kann es sein, dass antijüdische Ressentiments wieder salonfähig werden? Über diese und andere Fragen hat die Radioredaktion des Evangelischen Medienhauses in Stuttgart mit Dr. Josef Schuster gesprochen, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Schuster hob in seinem Gespräch mit der Radioredaktion die Verantwortung der Kirchen hervor und betonte, die Kirchen spielten im Kampf gegen den Antisemitismus eine große Rolle, denn sie hätten in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen. Was auch noch nach der Shoah zum Teil von den Kanzeln an antisemitischen Stereotypen verbreitet worden sei, sei weiter in vielen Köpfen vorhanden. Insgesamt täten die Kirchen aber heute sehr viel gegen Antisemitismus. „Beim Reformationsjubiläum hat sich die Kirche ja auch ganz bewusst mit der negativen Seite von Martin Luther schonungslos auseinandergesetzt. Das muss man hoch anrechnen“, sagte Schuster.
Das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ sensibilisiere die Menschen dafür, dass jüdisches Leben in Deutschland nicht ausschließlich mit den Jahren 1933 bis 1945 in Bezug zu setzen sei, sondern dass es Jahrhunderte davor existiert habe und auch heute existiere. Vom Festjahr solle der Impuls ausgehen, dass jüdisches Leben in Württemberg und ganz Deutschland selbstverständlich sei.
Schuster sagte, die Zahl der Menschen mit antisemitischen Ressentiments in der deutschen Bevölkerung habe nicht zugenommen, aber in jüngster Zeit traue man sich wieder, sich offen antisemitisch zu äußern. Die Verantwortung dafür sieht er sowohl bei den sozialen Medien als auch „in einer Partei, die in allen Landtagen und im Bundestag sitzt und die mit bewusst zweideutigen Bemerkungen dieses schürt“. Wenn man vom Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Mahnmal der Schande“ und von der Zeit des Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ spreche, mache man Antisemitismus wieder salonfähig.
Auf die Frage, was gegen Antisemitismus getan werden müsse, antwortete Schuster: „Bildung, Bildung und noch mal Bildung. Kein Kind wird als Antisemit geboren. Also muss es irgendwann im Leben zu der Fehlprägung kommen. In der Regel im häuslichen Umfeld oder im Freundeskreis. Das A und O ist, das Thema Judentum in der Schule in seiner ganzen Vielfalt anzusprechen, um eine Immunisierung gegen Antisemitismus zu erreichen. Auch Zivilcourage ist wichtig. Im Freundeskreis erfordert es nicht den größten Mut, zu sagen: Hey, weißt du, was du da gerade gesagt hast? Meinst du das wirklich?“
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Das vollständige Interview hören Sie auch am Sonntag, 14. November, in folgenden Radioprogrammen:
Sie finden das Interview auch in Ausgabe 46/2021 des Evangelischen Gemeindeblatts für Württemberg, die am 11. November erscheint.