Dr. Friedmann Eißler ist der neue Islambeauftragter der württembergischen Landeskirche. Wo er die größten Herausforderungen sieht und wie er unterschiedliche Menschen, Gruppen, Interessen und Vorstellungen kennenlernen und zueinander bringen möchte, erzählt der 54-jährige im Interview.
Herr Dr. Eißler, Sie sind der neue Islambeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg: Auf welche Aufgaben freuen Sie sich besonders?
Dr. Friedmann Eißler: Ich freue mich vor allem auf die persönlichen Begegnungen. Es sind so unterschiedliche Menschen, Gruppen, Interessen, Vorstellungen, die sich gerade auf diesem Gebiet finden, da ist es ganz wichtig, einander kennenzulernen, zuzuhören und miteinander zu reden. Das gilt erst einmal nach allen Seiten.
Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen?
Dr. Friedmann Eißler: In Deutschland leben heute etwa fünfeinhalb Millionen Menschen muslimischen Glaubens, rund 6,5 Prozent der Bevölkerung, die in der Vielfalt ihrer Ethnien, Glaubensweisen und Kulturen unsere Nachbarn und Mitbürger sind und vor allem dauerhaft bleiben werden. Das stärker bewusst zu machen und nach den Möglichkeiten des Miteinanders zu fragen, betrachte ich als zentral. Ich sehe diese Aufgabe stark gemeindeorientiert. Also – in engem Kontakt mit den Verantwortlichen in den Kirchenbezirken – vor Ort informieren, begleiten, auch die kritischen Fragen und Herausforderungen ernstnehmen und gemeinsam überlegen, wohin man wie kommen will. Statt Gräben vertiefen Brücken bauen. Brücken brauchen freilich immer fest gegründete Pfeiler auf beiden Seiten. Der Boden ist unsere gemeinsame Gesellschaft, sind unsere gemeinsamen Spielregeln.
Zuvor waren Sie Wissenschaftlicher Referent in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin (EZW) und haben auch Leitungsaufgaben übernommen. Ihr Schwerpunkt lag in der Grundsatzarbeit zu Islamfragen auf EKD-Ebene. Welche Erfahrungen aus dieser Arbeit können Sie in die neue Aufgabe einbringen?
Dr. Friedmann Eißler: In Berlin stand die Beobachtung der religiös-weltanschaulichen Entwicklungen im Vordergrund. Der analytische Blick, die wissenschaftliche Expertise, die vielfältigen Kontakte zu Religionsvertretern im deutschsprachigen Raum und zu Akteuren in Gesellschaft, Kirche und Politik sowie zu den Medien helfen, vertiefte Einblicke in ganz unterschiedliche Bereiche zu gewinnen. Dass ich mich dabei auch gründlicher mit den historischen Quellen und inhaltlichen Zusammenhängen von religiösen Strömungen beschäftigt habe, halte ich auch für eine gute Grundlage.
Wo unterscheiden sich diese beiden Aufgaben grundsätzlich?
Dr. Friedmann Eißler: Es ist ein Unterschied, ob das Wahrnehmen und Verstehen einen wissenschaftlich einordnenden und publizistischen Fokus hat, oder ob die Gestaltung und die Pflege von Beziehungen in der Praxis im Vordergrund stehen. Dazu gehören auch von Vertrauen geprägte Kontakte, Beratung und Begleitung, sicher auch Bildungsaspekte. Nach meiner Auffassung soll und kann zusammenkommen, ja gehört untrennbar zusammen, was eine Handreichung der EKD vor Jahren einmal mit zwei Begriffen umschrieben hat: Informiertheit und Respekt. Gegen Angst und Unkenntnis muss sich der Dialog immer wieder auf diese Grundvoraussetzungen eines gelingenden Miteinanders vor Ort und auf dem immer enger werdenden Globus besinnen.
Was für eine Art von Dialog stellen Sie sich vor?
Dr. Friedmann Eißler: Dialog lebt davon, dass Menschen mit einer tiefen Überzeugung zusammenkommen. Sonst ist er belanglos. Im Dialog wollen wir voneinander lernen, miteinander einen Weg gehen, dafür das Tragfähige suchen. Das kann nur in der Haltung von gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Anteilnahme geschehen, die in der Wertschätzung des Gegenübers als grundsätzlich gleichberechtigtem Partner gründet. Dabei ist keine Anerkennung von Glaubensinhalten nötig. Vielmehr schließt Respekt die Anerkennung von Differenz keineswegs aus, sondern ausdrücklich ein. Wir haben einander etwas zu sagen, das Zeugnis des Glaubens ist Teil des Dialogs und umgekehrt. Die Freiheit des Glaubens ist dabei nicht nur für mich, sondern auch für mein Gegenüber in Anspruch zu nehmen.
Wo ist in Ihren Augen noch mehr Annäherung, wo dagegen eine Trennschärfe wichtig?
Dr. Friedmann Eißler: Wir haben in den letzten Jahren eine dramatische gesellschaftliche Polarisierung im Blick auf das Verhältnis zu den Muslimen erlebt. Ablehnung, ja Hass wird viel leichter geäußert. Dem muss gewehrt werden, es muss eine klare Solidarität mit den Menschen geben, die gerne und mit Fug und Recht unsere Nachbarn sind. Wir brauchen Freundschaften und Brückenbauer. Hass und Hetze sind indessen klar von begründeter Kritik zu unterscheiden. Nur so kommen wir auf dem wirklich komplexen Terrain weiter, das mit dem Etikett „Islamismus“ sehr unzureichend bezeichnet ist. Die Trennschärfe gegenüber demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Haltungen muss vor allem gemeinsam erreicht werden.
Sehen Sie sich – vielleicht mit dem Pfarrer für das Gespräch zwischen Christen und Juden Jochen Maurer – auch in einer Art Vermittlerrolle zwischen Menschen christlichen, muslimischen und jüdischen Glaubens? Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?
Dr. Friedmann Eißler: Es gibt interessante jüdisch-muslimische Initiativen, es gibt auch seit vielen Jahren trialogische Initiativen. Überall, wo Menschen sich im Sinne des eben skizzierten Dialogs zusammentun, entsteht Wertvolles. Solche Unternehmungen tragen zum wechselseitigen Verständnis bei. Das kann Spannungen lösen und Formen des Zusammenlebens stärken, die nicht von Ablehnung und Missverständnissen geprägt sind, sondern von Menschlichkeit und Anteilnahme. Ich denke, wir werden tatsächlich gemeinsam ausloten, was in der Richtung geschehen kann - die Voraussetzungen dafür sind gut.
Haben Sie eine Vision für die Zukunft?
Dr. Friedmann Eißler: Toleranz beginnt da, wo es schmerzhaft wird. Sie ist nicht gleichmacherisch. Einander tragen und ertragen, wie wir in unserer Verschiedenheit sind, ohne ideologische Überhöhung, aber auch ohne Angst, ohne Überlegenheitsgestus, ohne Pauschalisierung. Jede und jeder Einzelne ist wertvoll. Um das leben zu können, stehen wir gemeinsam für die freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft ein, denn sie sind die Bedingung der Möglichkeit für Menschenrechte, Freiheit des Glaubens und Pluralität der Lebensentwürfe – auch unserer eigenen. Dazu ermuntern wir auch mit unserem Zeugnis als Christinnen und Christen.