50 Fachkräfte für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) der Notfallseelsorge Baden-Württemberg waren vom 2. bis 4. August im Kreis Ahrweiler im Einsatz, um den Menschen beizustehen, die dort seit Wochen versuchen, mit den Folgen der Hochwasserkatastrophe zurecht zu kommen. Nach ihrer Rückkehr berichten sie hier von ihren Erlebnissen. Auch Olaf Digel - Pfarrer aus Neckarweihingen und seit rund 20 Jahren Notfallseelsorger - und seine römisch-katholischen Kollegen Boris Rademacher und Regina Wacker waren Teil dieses ersten Teams, das am 5. August von einer zweiten Gruppe abgelöst wurde.
Nach 72 Stunden im Katastrophengebiet sagt Rademacher: „Bereits die Anfahrt war ein Abenteuer, denn die Straße im Tal ist zerstört, und so mussten wir über einen löchrigen Feldweg fahren, der plötzlich in eine asphaltierte Straße überging, die steil und kurvenreich ins Tal führte. Diese Straße ist am ersten Tag nach der Flutkatastrophe quasi über Nacht für die Hilfskräfte gebaut worden. Erst damit war ein Zugang zu Mayschoss vorhanden."
Bei einer ersten Erkundung sei schnell klar geworden, dass der Ort übel von der Hochwasserkatastrophe getroffen worden sei. Aber es gebe auch „einen Platz der Hoffnung und Solidarität, denn die Kirche vor Ort war zu einer Art Sammelstelle oder eher einem Warenhaus geworden. Dort fand sich alles, von Hygieneartikeln über Kleidung bis hin zu Nahrungsmitteln, und in der Sakristei befanden sich eine Apotheke und eine Arztpraxis. Die örtliche Apotheke sei durch die Wassermassen vollständig zerstört worden und jetzt in der Sakristei regelrecht wieder auferstanden. Vor der Kirche befand sich eine Essensausgabe für jeden. Freiwillige kochten dort unter primitivsten Bedingungen. In Mayschoss gab es weder Strom noch Wasser - für die Bewohner und für die Hilfskräfte.“
Olaf Digel, Notfallseelsorger und Pfarrer aus Neckarweihingen, ist die enorme Dankbarkeit der Menschen aufgefallen: „Die Menschen sind wahnsinnig dankbar für die enorme Hilfsbereitschaft, die sich in Deutschland für die Opfer zeigt, auch für die vielen unorganisierten Helfer, die auf eigene Faust gekommen sind. Aber gerade um die mache ich mir auch Sorgen. Wer wird sich um sie kümmern, wenn sie nach Hause fahren und ihre Erlebnisse verarbeiten müssen?“
Und weiter beschreibt Digel die furchtbaren Erlebnisse, mit denen die Betroffenen und die Helfer umgehen müssen: „Man hört so viele tragische Geschichten. Von Eltern verstorbener Kinder; von einem Vermieter, der den einen Mieter noch retten konnte, den anderen aber nicht mehr; von einem Baggerfahrer, der ein Auto ausgegraben hat, auf dessen Rückbank zwei Kindersitze waren mit den Kindern darin.“
Man dürfe auch nicht vergessen, dass es manchen schon vor der Flut schlecht gegangen sei– jetzt aber wüssten sie gar nicht mehr, wie es für sie weitergehen solle. Es habe auch schon Gerüchte über Suizide gegeben. Diese Katastrophe habe auch für ihn als erfahrenen Notfallseelsorger eine ganz neue Dimension: „Ich arbeite seit 20 Jahren als Notfallseelsorger, aber dort gibt es Situationen jenseits alles dessen, was ich schon erlebt habe.“
Digel erzählt, wie unterschiedlich die Menschen mit der Katastrophe umgingen: „Ich habe die psychische Verfassung der Menschen als sehr verschieden erlebt. In einer Situation habe ich zum Beispiel ein junges Paar gesehen, das mitten im Schlamm, mitten in der Überflutungszone ein Bäumchen gepflanzt hat! Andere arbeiten mit dem Mut der Verzweiflung immer weiter. Manche finden wirklich unglaubliche Kraft.“ Aber vielen gehe es auch sehr schlecht, sie erlebten tiefe Angst und Ohnmacht – und auch Wut: „Mussten meine Angehörigen wirklich sterben? Hätten man nicht früher evakuieren können? Diese Fragen müssen aufgearbeitet werden, damit die Menschen irgendwann Frieden finden.“
Auch Regina Wacker, Referentin für Notfallseelsorge der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Erzdiözese Freiburg, war mit vor Ort. Sie stellt fest: „Hier sind die immer noch unglaublichen Auswirkungen des Hochwassers zu sehen und zu spüren: Kein Strom im Haus der Betroffenen bis auf ein Notstromaggregat, das Strom für eine Tischlampe liefert. Weiteres Licht bietet eine Taschenlampe, mehr nicht. Und uns wird klar, dass die Bilder, die wir aus dem Fernsehen kennen, nicht wirklich die Wucht der Zerstörung wiedergeben. Nachdem das verheerende Hochwasser nun drei Wochen zurückliegt, realisieren die Betroffenen so langsam, was ihnen widerfahren ist. Von einem Moment auf den anderen haben viele Menschen einen Angehörigen und ihre Lebensgrundlage verloren. Das gilt es zu verarbeiten. Das braucht Zeit.“
Die Arbeit der Notfallseelsorger beschreibt Olaf Digel so: „Das Wichtigste in unserer Arbeit ist, den Menschen das Angebot zu machen, dass man für sie Zeit hat – und dann einfach zuzuhören und dadurch die Not für eine Weile mit auszuhalten. Ich gehe – wie eigentlich alle Notfallseelsorger – völlig neutral auf die Menschen zu. Ich stelle mich auch nicht als Pfarrer vor sondern einfach nur als Notfallseelsorger. Und nur wenn ich im Gespräch merke, dass Kirche, Glaube und Gebet im Leben des Menschen sowieso schon als Ressource eine Rolle spielen, nur dann gebe ich mich als Pfarrer zu erkennen und biete auch das Gebet an.“
Und Regina Wacker ergänzt aus ihrer Arbeit: „Wir sind in den zurückliegenden Tagen in den betroffenen Dörfern und bei Bürgerversammlungen mit anwesend gewesen und haben mit ausgehalten, was so unaushaltbar scheint. Die Helferinnen und Helfer aus Baden-Württemberg hätten für Gespräche mit Notleidenden bereitgestanden und ihren Blick dabei stets auf ihr Gegenüber gerichtet und sich gefragt, was sie oder er gerade jetzt an seelischer Unterstützung braucht. „So hörten wir des Öfteren: ‚Es ist gut, dass Ihr da seid. Wir brauchen Eure Unterstützung. Jetzt und auch in der kommenden Zeit. Ihr müsst einfach da sein‘“, berichtet die Referentin für Notfallseelsorge aus ihren Erfahrungen im Kreis Ahrweiler.