17.12.2020

Corona verschärft die seelische Not zu Weihnachten

Wie kirchliche Seelsorge helfen kann

Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen eine Zeit fröhlicher Gemeinschaft in Familie und Freundeskreis. Doch der Kontrast zwischen dieser Fülle und dem eigenen Leben kann schmerzhaft sein – nicht nur für psychisch belastete, alleinstehende oder kranke Menschen. Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen für das soziale Leben verschlimmert diese Situation noch. Die Einsamkeit hat viele Gesichter, doch niemand muss sie allein aushalten. Die kirchliche Seelsorge hilft, wo sie kann. Unter diesem Artikel finden Sie eine Liste mit Seelsorge- und Hilfsangeboten.

Warum gehen Weihnachten und Einsamkeit so oft Hand in Hand? Eigentlich passen diese Begriffe „per se nicht zusammen, aber in der Erfahrung unserer Welt ist es leider häufig so“, sagt Dr. Karin Grau, im Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart zuständig für die Bereiche Krankenhaus- und Altenheimseelsorge. Gerade für die kommende Weihnachtszeit erwarte sie, dass sich für einsame Menschen die Lage noch zuspitzen werde, insbesondere angesichts des erneuten Lockdowns.

Dr. Karin Grau ist im Evangelischen Oberkirchenrat zuständig für die Bereiche Krankenhaus- und Altenheimseelsorge.

Abschottung und Besuchsverbote belasten

Gerade für Menschen mit demenziellen Veränderungen wirke sich jede Form der Isolation gravierend aus: „Sie brauchen Berührungen, Orientierung im Raum, im Tagesablauf“, erklärt sie. Schon im Frühjahr sei klar geworden: Je abgeschotteter diese Patientinnen und Patienten, etwa in Pflegeheimen, leben müssten, desto schlimmer sei es für sie: „Demenzielle Veränderungen beschleunigen sich“, so Karin Grau. Aber auch, wer nicht von Demenz betroffen sei, leide unter Umständen sehr. „Nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner entwickeln posttraumatische Belastungsstörungen, gerade in Einrichtungen mit vielen Todes- oder Krankheitsfällen.“ Wenn hierzu noch die Einsamkeit komme, werde es sehr kritisch, denn eigentlich bräuchten sie gerade jetzt verstärkt Zuwendung.

Die Besuchsverbote In vielen Krankenhäusern vertieften die Belastung: „Oft fühlen sich die Menschen im System Krankenhaus ohnehin ‚ausgeliefert‘ – wenn ihnen jetzt ihre Angehörigen nicht den Rücken stärken können, kann dies das Gefühl der Einsamkeit verstärken“, so Karin Grau.

Für Seelsorgende in den Krankenhäusern und Altenheimen gelten klare Hygieneregeln.

„Die Seelsorge ist da“

Das Gefühl der Einsamkeit müsse aber niemand allein aushalten: Es gebe viele Angebote der Seelsorge, in der Altenhilfe und in Krankenhäusern. „Die Seelsorge ist da, es gibt klare Hygieneregeln, die Mitarbeitenden sind gut geschult“, versichert Karin Grau. So müsse niemand große Angst vor einer Ansteckung haben, auch wenn sie verständlich sei. Die Seelsorgenden kämen auch in voller Schutzausrüstung zu Covid-19-Patienten, wenn sie gerufen würden. Man vermittle auch Kontakte in Form von Telefonaten oder Videogesprächen zwischen Angehörigen und Patienten. „Manche Menschen denken, sie dürften sich erst an die Seelsorgenden wenden, wenn ‚ihr letztes Stündlein geschlagen hat‘, aber so ist es nicht; wir sind immer da, wenn Menschen in Not sind!“ sagt Karin Grau, und betont, dass die Angebote für Menschen aller Konfessionen gelten.

Die Seelsorge könne viel bewirken: „Dass Menschen sich öffnen, dass sie ihr Herz, ihre Seele öffnen“ und spüren: „Ich bin nicht allein mit meinem Gefühl, es geht nicht nur mir so“. Statt Einsamkeit könne sich im besten Falle Geborgenheit einstellen, ein Aufgehoben-Sein, ein Heimat-Finden bei Gott, so Karin Grau.

Auch im Kontakt mit ihrer Seelsorgerin vermissen die Menschen schmerzlich Berührungen – ein freundlicher Händedruck, die Hand, die einen Moment auf der Schulter ruht, das bestätigt Pfarrerin Monika Gaiser-Maucher, die in der Alten- und Pflegeheimseelsorge in Tübingen tätig ist. „Ich segne viel mehr als früher“, sagt sie: „Die Geste des Segens kommt an – auch mit zwei Metern Abstand.“

Gottesdienste feiert sie nun in kleineren Einheiten, in den einzelnen Wohnbereichen. Das Singen fehle den Bewohnerinnen und Bewohnern, ebenso wie das wohnbereichsübergreifende Gemeinschaftserleben. Die aktuellen Veränderungen beunruhigten die Menschen, vor allem die demenziell Erkrankten, so Pfarrerin Gaiser-Maucher. 

Neben den Seelsorgenden in den Einrichtungen helfen auch die Gemeindepfarrämter: „Einfach anrufen, mailen, einen Zettel einwerfen“ fordert Karin Grau auf. Oder Kontakt mit der Telefonseelsorge, der Brief- und Chatseelsorge der Landeskirche aufnehmen. Es gelte, alles zu tun, damit sich das lähmende Gefühl der Einsamkeit, wie es viele im Frühjahr erlebt hätten, nicht wieder einstelle.

Seelsorgende sind gut vorbereitet

Dass die Rahmenbedingungen der Seelsorge sich immer wieder änderten, verlange den Mitarbeitenden viel Flexibilität ab, erklärt Karin Grau und berichtet, die hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger bereiteten sich in der Corona-Pandemie mit Video-Konferenzen auf ihre Aufgaben vor. Daneben gebe es den inhaltlichen Austausch, eine Art Ideenbörse, in der Materialien für die Arbeit geteilt würden. Und sie erinnert daran, dass die Seelsorgenden in ihren Einrichtungen auch für das Personal da seien, das gerade ebenfalls besonders gefordert sei. Supervision und besondere Telefonangebote des Seminars für Seelsorge-Fortbildung entlasteten und unterstützten die Seelsorgenden selbst.

Ehrenamtliches Engagement gefragt

Ehrenamtliche hätten im Moment nur nach Absprache mit Hauptamtlichen und Klinikleitung Zutritt zu Krankenhäusern, und Altenheimen. „Auch hier gelten die Hygienevorschriften und das Prinzip der Kontaktminimierung“, betont Karin Grau. Leider sprängen viele Ehrenamtliche gerade ab, zum Teil aus Angst vor einer Infektion, berichtet sie – auch, wenn ihnen selbst dadurch eine sinnstiftende Aufgabe wegbricht.

Auch Monika Gaiser-Maucher berichtet, dass die Ehrenamtlichen fehlten. „Es ist sehr viel ruhiger geworden in den Heimen.“ Sie ermutigt dazu, sich als Christ oder Christin selbst regelmäßig zu engagieren, ob als Angehörige oder als Ehrenamtliche: „Die Pflegeheime brauchen kein Mitleid, sondern Unterstützung!“, sagt sie.

Kranken und einsamen Menschen hilft jeder Kontakt, egal ob Sie anrufen, einen Brief schreiben oder eine E-Mail.

Appell an Angehörige und Freunde: Kontakt halten!

Was können Angehörige jetzt tun? Unbedingt die Besuche fortsetzen, rät Karin Grau, und etwas kleines „Greifbares“ dalassen. Jeder Kontakt zählt: Telefonieren, schriftlich Grüße schicken, den Menschen vermitteln: Wir denken an dich. Angehörige oder Freunde könnten den Menschen Mut machen, sich zu öffnen, sich zu äußeren, sich zu zeigen. Karin Grau weist darauf hin, dass es gerade der Kriegskinder-Generation schwerfalle, Ängste und negative Gefühle zuzulassen; sie seien aufs Überleben getrimmt. Hier sei behutsames Vorgehen hilfreich.

Angehörige werden ermutigt, sich mit der Seelsorge vernetzen. „Gerade bei demenziell Erkrankten brauchen wir den Auftrag, uns um die Menschen zu kümmern“, erklärt sie.

Einsamkeit - ein Tabu?

Nicht nur ältere Menschen in Pflege- oder Altenheimen betrifft das Thema Einsamkeit. „Wer allein und relativ isoliert lebt, oder wer sich nur noch im virtuellen Raum bewegt, wie es viele Menschen tun, kann die Einsamkeit spüren“, vermutet Grau.

Nicht nur ältere Menschen empfinden Einsamkeit. Auch viele Jugendliche fühlen sich trotz aller digitalen Vernetzung abgehängt und allein.

Dazu erlebten gerade viele Menschen wirtschaftliche Einbußen, verbunden mit Statusverlust, Existenzangst und Schamgefühlen. Um dies aufzufangen, brauche es gute, tragfähige Beziehungen. Sich dann einzugestehen, dass man sich einsam fühle, falle schwer, sei fast ein Tabu.

Monika Gaiser-Maucher beobachtet bei älteren Menschen, die allein wohnen, Rückzug und depressive Entwicklungen – im Alter ohnehin ein Thema, verstärkt durch die Pandemie. Aber: Von selbst meldet sich kaum jemand bei ihr und bittet um Hilfe.  „Diese Generation nimmt sich ohnehin eher zurück.“  

Was kann man selbst tun, wenn man sich einsam fühlt – und wie kann man anderen helfen? Karin Grau weist darauf hin, dass in der Regel jeder Mensch beide Bedürfnisse in sich trage: Er brauche Gemeinschaft, aber auch das Alleinsein. Hier gelte es, einen guten Rhythmus zu finden. Für Weihnachten rät sie: „Den Druck rausnehmen – man muss nicht die ganze Zeit von anderen Menschen umgeben sein.“ Wer bei sich oder anderen Einsamkeit bemerke, könne fragen: Welche Beziehungen tragen mich? Wer tut mir gut? Wen möchte ich um mich haben? Wichtig sei es dann, auch wirklich aktiv Kontakt aufnehmen. „Nicht denken: Das geht ja sowieso nicht“, sagt Karin Grau.

Dr. Karin Grau: „Aus der heiligen Familie wurde eine ‚heile‘ Familie.“  Dr. Karin Grau kritisiert, wir hätten „aus der Heiligen Familie, eine ‚heile‘ Familie gemacht und aus Weihnachten einen Kult der heilen Welt.“

Geburt Jesu sprengte die Normen

„Die Geburt Jesu geschah nicht in ‚geordneten‘ Verhältnissen, sondern sie sprengte die Normen. Es war eine Ausnahmesituation, und so blieb es bis zum Tode Jesu.“ Diese Botschaft müsste die Menschen eigentlich stärken, gerade jetzt. „Wir haben jedoch in unserer hoch individualisierten Konsumgesellschaft aus der Heiligen Familie, eine ‚heile‘ Familie gemacht und aus Weihnachten einen Kult der heilen Welt.“ Die Rituale gäben zwar Halt, aber: „Wir haben es in der westlichen Welt nicht geschafft, das Normensprengende der Geburt Jesu zum Klingen zu bringen. An sich ist Weihnachten eine Stärkung all derer, die nicht in einer heilen Welt leben.“

Gerade zu Weihnachten dürfe man sich bewusst machen: „Es hat nicht alles ideal begonnen. Die Hirten, gestandene Männer, hatten Angst! Das gehört zum Menschsein dazu.“  Hier setze auch ihr Verständnis von Kirche an: „Viele Menschen verbergen es, wenn sie sich einsam fühlen. Kirche sollte ein Raum sein, in dem man sich zeigen kann, man muss sich nicht schämen für seine Einsamkeit.“

„Existenzielle“ Einsamkeit

Für sie selbst ist klar: Es gibt eine Art existenzieller Einsamkeit, die jeder Mensch kennt. „Gerade dort höre ich den Ruf einer anderen Dimension, die Stimme Jesu, fühle mich in einem größeren Zusammenhang geborgen. Diese Einsamkeit kann man annehmen.“

Zu Weihnachten gelte es in diesem Jahr besonders, die Bilder von heiler Welt und heiler Familie aufzubrechen, so Karin Grau. Man könne sich ehrlich fragen: Mit welchen Menschen möchte ich wirklich zusammen sein, oder möchte ich vielleicht lieber allein sein? Dann „beruhige“ sich auch das Einsamkeitsgefühl.

Judith Hammer

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