Stuttgart (epd). Michael Blumes aktuelles Werk über Verschwörungsmythen greift die gegenwärtige gesellschaftliche Situation auf: Corona-Leugner, neue Antisemiten, QAnon-Bewegung - sie finden sich auf den 160 Seiten seines populärwissenschaftlichen Buchs wieder. Es erklärt Kennzeichen ihrer Mythen und macht Vorschläge, wie man auf ihre Vertreter reagieren soll.
Einen Zahn zieht der Religionswissenschaftler Blume, der auch Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung ist, den Lesern gleich zu Beginn: Verschwörungsmythen sprechen nicht nur dumme Menschen an. In seinem Buch „Verschwörungsmythen - woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können“ zeigt er auf, dass auch die intellektuelle Elite für plumpe Welterklärungsmodelle empfänglich ist. Prominente Beispiele sind der Philosoph Martin Heidegger, der evangelische Theologe Gerhard Kittel und der Rechtswissenschaftler Carl Schmitt. Bei den Universitätsgelehrten in der NS-Zeit war es der Satz „Die Juden sind an allem schuld", der auf fruchtbaren Boden fiel.
Blume, der sich intensiv mit der Evolutionsbiologie befasst hat, erklärt diese Empfänglichkeit für vereinfachende oder verfälschende Erklärungsmuster mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns. Es sei seit Jahrtausenden auf Gefahrenabwehr getrimmt, um die Überlebenschancen zu verbessern. In einem Satz: „Es ist sehr viel günstiger, 20-mal einen Busch für einen Bären zu halten als ein einziges Mal einen Bären für einen Busch." Deshalb erwarte der Mensch überall das Böse.
Und so verbreiten sich die verrücktesten Geschichten - ob in rechtsextremistischen Kreisen, beim "Islamischen Staat" oder bei Impfgegnern. Da ist von unterirdischen Lagern die Rede, in die Kinder verschleppt werden, aus denen der Wirkstoff Adrenochrom gewonnen werden soll. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei eigentlich vom israelischen Geheimdienst Mossad ins Amt gehievt worden. Der Holocaust gehe in Wahrheit auf das Konto der jüdischen Familie Rothschild.
Der Autor sieht dahinter eine Denktradition, die bis auf Platons Höhlengleichnis zurückgeht. Demnach sehen Menschen in ihrer Begrenztheit wie Höhlenbewohner nur Schatten an der Wand, also lediglich einen kleinen und verzerrten Ausschnitt aus der Realität. Aus dieser Dunkelheit kann sie dieser Denkweise zufolge nur ein starker und wissender Führer herausholen.
Blume bevorzugt dagegen ein Modell, wonach jeder Mensch die Möglichkeit hat, etwas von der Wahrheit zu erkennen. Das Gesamtbild werde besser, je mehr Menschen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen daran mitzeichneten. Das helfe etwa in Unternehmen, wenn sich Chefs nicht nur mit Gleichgesinnten umgeben, sondern die Perspektiven Andersdenkender einbeziehen.
Wie soll man nun Menschen begegnen, die sich selbst in den Verschwörungssumpf gesetzt haben? Blume nennt nicht die argumentative Auseinandersetzung an erster Stelle. Es könne sich zwar lohnen, solche Leute auf Blogs, Bücher oder Podcasts hinzuweisen, da manche Betroffene in einem Moment des Zweifels doch zur Prüfung ihrer Weltsicht bereit seien. Doch werde in der Regel aus emotionalen Gründen an Verschwörungsmythen geglaubt - und deshalb sei es besser, mit seinem Gegenüber zuerst über dessen Gefühle und Ängste zu sprechen.
Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)