Stuttgart/Winnenden. Für die einen war er einer der hervorragendsten Theoretiker des Pazifismus, für die anderen ein „Friedenshetzer“ und „Unfriedensäer“. Am 23. Mai vor 100 Jahren ist der Stuttgarter Stadtpfarrer Otto Gottlob Karl Umfrid in Winnenden gestorben. Ausgrenzung und Hass hatten ihm und seiner Familie das Leben teilweise schwer gemacht.
Seine Landeskirche hatte es nicht immer leicht mit Otto Umfrid. Und er nicht mit ihr. Ende des 19. Jahrhunderts erteilt sie ihm einen konsistorialen Verweis und hält ihm vor, durch ein „blendendes Friedensziel benommen“ zu sein. Heute kommt die Landeskirche zu einem anderen Ergebnis.
„Wir sehen den Frieden heute als wesentliche, umfassende Aufgabe kirchlicher Arbeit“, sagt der theologische Dezernent der württembergischen Landeskirche, Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich Heckel. Die damalige Einschätzung spiegele historisch die Verhältnisse am Ende des 19. Jahrhunderts wider, die die „Einheit von Thron und Altar“ betonte.
Zudem sei der damalige Verweis vorwiegend amtstheologisch mit „Stellung“, „Anspruch“ und „Ansehen des Berufs“ begründet. „Heute wird es als eine zentrale kommunikative Kompetenz von Pfarrerinnen und Pfarrern geschätzt und gewünscht, Gespräche zu suchen, Diskurse zu fördern und Foren des gesellschaftlichen Austausches anzubieten.“
Leitbild des gerechten Friedens
Die württembergische Landeskirche nehme den 100. Todestag Umfrids zum Anlass, über die Auslegung von Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses nachzudenken, der von der Möglichkeit spricht, rechtmäßig Kriege zu führen. Heute vertrete die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das Leitbild des gerechten Friedens. Doch damit sei die Frage noch nicht erledigt, wie Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt zusammengehören, miteinander gestaltet und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden können.
Zur berechtigten Sorge um den Frieden in der Welt gehöre auch die notwendige Sorge für Gerechtigkeit, so Heckel. Mit dieser Weiterarbeit wolle die Landeskirche einem Beschluss der EKD-Friedenssynode vom November 2019 nachkommen. Dort heißt es unter anderem: „Die wichtigen globalen Herausforderungen lassen sich nicht militärisch lösen, sie bedürfen des politischen Ausgleichs sowie der Berücksichtigung des Rechtes und des Wohles aller Beteiligten. Vor allem aber bedürfen sie der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens.“ Die EKD sieht sich „mit Kirchen aus aller Welt auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“.
Umfrid - ein Nachkomme schwäbischer Reformatoren
Otto Umfrid kommt am 2. Mai 1857 in Nürtingen zur Welt. Zu seinen Vorfahren zählen die Reformatoren Johannes Brenz und Matthäus Alber, die „schwäbische Geistesmutter“ Regina Bardili und der Schöpfer des Blaubeurer Altars Michael Erhart.
Geprägt vom Vater und von Gustav Werner
Die Tätigkeit seines Vaters, Otto Ludwig Umfrid, als Rechtsanwalt und Privatgelehrter prägt die Vorstellung des Sohnes, dass wirklicher Friede vor allem durch Verständigung, Verträge und die Stärkung internationaler Gerichte zu schaffen und zu erhalten sei. Seine sozialpolitischen Vorstellungen verdankt Umfrid vor allem dem Gründer des Reutlinger Bruderhauses Gustav Werner.
Nach seinem Studium am Tübinger Stift und dem zweiten Examen führt ihn sein Weg zunächst nach Peterzell-Römlingsdorf im Dekanat Sulz am Neckar, 1890 an die Martinskirche in Stuttgart, bevor er im Jahr 1908 an die Erlöserkirche in der Landeshauptstadt berufen wird. Umfrid gibt das evangelische Sonntagsblatt „Grüß Gott“ und den Volkskalender „Der Friedensbote“ heraus. Zudem schreibt er ein „Arbeiter-Evangelium“.
Engagiert in der Deutschen Friedensgesellschaft
Bereits 1894 tritt Umfrid der Stuttgarter Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft bei. Er hält Vorträge, auch im Ausland, gründet etwa 20 weitere Ortsgruppen und wird später zweiter Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft. Zudem schreibt er mehrere hundert Aufsätze vor allem für die Monatszeitschrift „Die Waffen nieder“ von Bertha Suttner, einer der führenden Vertreterinnen der Friedensbewegung vor dem ersten Weltkrieg. Suttner wird später mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Der Verweis
Immer wieder bezieht Umfrid Stellung gegen Antisemitismus, Gewaltbereitschaft und Nationalismus und sorgt damit für Empörung. 1897 hält er einen Vortrag im Gasthof Ochsen in Münsingen mit dem Titel „Die Friedensbewegung – eine weltbewegende Frage“, der wiederum Anstoß erregt. Jetzt wird die Kirchenleitung aktiv und erteilt ihm einen konsistorialen Verweis. Seine Vorträge werden ihm zwar ausdrücklich nicht untersagt, wohl aber einer eigenen „gewissenhaften Prüfung anheimgestellt“. Er solle künftig weder Anstoß noch Ärgernis erregen, aber man bezweifelt, dass er dazu in der Lage ist.
Für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen
1913 wird Otto Umfrid, der sich für den Gedanken eines Völkerbundes stark macht, von Bertha Suttner für den Friedensnobelpreis 1914 vorgeschlagen. Doch die Verleihung kann aufgrund des Ersten Weltkrieges nicht mehr stattfinden. Der Ausbruch des Krieges beeinträchtigt auch seine publizistische Arbeit. Der von ihm mit herausgegebene „Völker-Friede“ wird verboten, die nachfolgende Zeitschrift „Menschen- und Völkerleben“ stark zensiert.
Durch eine Netzhautablösung völlig erblindet, führt Umfrid seine Arbeit im Ausland fort und besucht pazifistische Konferenzen in neutralen Ländern, bis ihm der Pass entzogen wird. Von seinem Augenleiden entkräftet zieht er sich mit seiner Frau und seinen Töchtern im Alter von 59 Jahren nach Lorch zurück. Sie lesen ihm philosophische Schriften vor und schreiben seine Gedanken nieder, so dass er seine letzte große Arbeit beenden kann: ein Werk über den Philosophen Karl Christian Planck. Eine schwere Depression führt Otto Umfrid in die Heilanstalt Winnenden, wo er am 23. Mai 1920 stirbt. Seine Beerdigung findet auf dem Stuttgarter Pragfriedhof statt. Es kommen nur wenige Menschen.
Gottesdienst zu Otto Umfrid
Otto Umfrid ist am Sonntag, 24. Mai, auch Thema eines Gottesdienstes, zu dem die evangelische Kirchengemeinde Stuttgart-Nord um 10 Uhr in die Erlöserkirche, Birkenwaldstraße 26, einlädt.
Stephan Braun