Altensteig-Berneck. Warum ein „Heiligs Blechle“ nichts mit einem allzu sehr geschätzten Automobil zu tun hat, eher im Gegenteil. Das lernen Pilgernde auf dem Brenzweg. Und manches mehr.
16 Männer und Frauen haben sich am Pavillon am Bernecker See eingefunden. Manche laufen den Weg schon zum zweiten, dritten, gar schon vierten Mal. Los gehts mit einer kleinen Begrüßung, wenigen Dehnübungen, einem Gebet und dem Hinweis: „Pilgernde sind auf ihren Wegen per Du.“ Pfarrer Schüsselin (57), Pilgerbegleiter im Kirchenbezirk Calw-Nagold, heißt jetzt also Manfred und der Calwer Dekan Hartmann ab sofort Erich.
Pilgern boomt. Seit Jahren schon. Und auch in Corona-Zeiten sind Pilger unterwegs, vor allem einzeln, nur tageweise und auf regionalen Pilgerwegen. Elk-wue.de stellt in diesem Jahr in unregelmäßigen Abständen Glaubens- und Pilgerwege vor und spricht mit Menschen über ihre Pilgererfahrungen.
Na dann „Ultreia“. „Vorwärts, weiter!“. Diesen Gruß rufen sich Pilgernde offensichtlich nicht nur in Spanien zu, sondern auch im Nordschwarzwald. Knapp 15 Kilometer und mehr als 350 Höhenmeter liegen auf dem „camino piccolo“ rund um die Burg Hornberg vor ihnen. Und Erich betont, dass der Weg sowohl auf Teilen des früheren Dekanats Calw als auch des früheren Dekanats Nagold entlangführt. Beide Dekanate sind inzwischen fusioniert. Das passt also auch.
Impulsstationen laden zu Reflexion und Gespräch ein
14 Impuls-Stationen laden dazu ein, den Reformator und Architekten der württembergischen Landeskirche kennenzulernen, den die württembergischen Herzöge zwischen 1548 und 1551 vor Kaiser Karl V. und seinen Soldaten auf der Burg Hornberg versteckt hatten. Zu entschieden hatte Luthers Mann in Süddeutschland die Rekatholisierungsversuche des Kaisers bekämpft.
Aber auch Anregungen zur Selbstreflexion oder zum Gespräch untereinander gibt es an diesen Stationen. „Erzählt euch, wie es euch gerade geht, was gut und was eher nicht so gut läuft“, regt Manfred einmal an. Oder an einer anderen Stelle: „Lasst euren Gedanken Zeit, Gutes zu denken: Was wurde mir an Gutem, an Gaben in die Wiege gelegt? Wo habe ich angenehme, leichte Wegstücke erlebt?“
Die Freundschaft mit Luther entsteht
An einem Hochsitz mit Blick auf das Köllbachtal erzählt der Pilgerbegleiter vom jungen Theologiestudenten Johannes Brenz und seiner Begegnung mit Martin Luther im April 1518. Der Thesenanschlag, und damit der Beginn der Reformation, war gerade ein halbes Jahr her, als Luther in die Kurpfalz kommt und in der Heidelberger Disputation seine Überzeugung verteidigt.
Danach erhält der Mensch allein aus Gnade im Vertrauen auf Jesus Christus und sein Evangelium Gottes Vergebung und einen offenen Himmel. Ein revolutionärer Gedanke und eine Provokation zu einer Zeit, in der der Ablasshandel blüht.
Brenz muss schnell Feuer gefangen haben und diskutiert zusammen mit einigen Kommilitonen mehrere Tage und Nächte mit Luther. Eine Freundschaft entsteht. Sie hält ein Leben lang.
Es wird gefährlich
„Schon in seiner Vikarszeit sagen die Leute von Brenz: Der liest und predigt das Wort Gottes anders, nämlich evangelisch. Und das wird zunehmend gefährlich“, weiß Manfred zu berichten. 1521 ergeht das Wormser Edikt gegen Luther und seine Anhänger, die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften werden verboten. Brenz nimmt eine Projektstelle für Bildung und Glauben in der freien Reichsstadt Schwäbisch Hall an und veröffentlicht noch vor Martin Luther seinen Katechismus, eine Kurzanleitung in Sachen Christsein. Sie erscheint in 14 Sprachen und wird die Bekenntnisschrift Württembergs. In der Haller Kirchenordnung wird auf das Betreiben von Brenz die Schulpflicht für alle festgeschrieben, also auch für Mädchen. Außerdem erlässt der Rat der Stadt das Schulgeld und richtet Armenkassen ein.
„Ein Weg zu mir zu finden“
Es geht weiter und Bruno (61) erzählt, warum er gern pilgert. „Ich mag die Natur und die Stille. Für mich ist das eine gute Möglichkeit, aus dem Stress und dem Alltag herauszukommen und zu mir zu finden“, sagt der Projektleiter in einem kunststoffverarbeitenden Betrieb. Er ist schon den Westweg von Pforzheim nach Basel gelaufen, 280 Kilometer in elf Tagen. Immer wieder nimmt er sich eine solche Auszeit.
Ein Tag Gemeinschaft – ohne weitere Verpflichtung
Marianne (65) sagt: „Ich finde es schön, dass der Brenzweg vor unserer Haustür liegt und ich Dinge erfahre, von denen ich bisher keine Ahnung hatte. Ein regionaler Schatz.“ Sie liebt die Vielfalt dieser Landschaft, die Bewegung, diesen mediativen Trott, der sie anregt, über verschiedene Lebenssituationen nachzudenken. „Und ich finde toll, dass man hier einen Tag lang mit anderen laufen und Gemeinschaft erleben kann. Und dass man dann wieder auseinandergeht ohne Verpflichtung.“
Die schwäbische Wartburg
Nach einem kürzeren Aufstieg erreicht die Gruppe Burg Hornberg, die von 1548 an eineinhalb Jahre lang zur schwäbischen Wartburg für Brenz wird. Er schreibt dort seinen 700 Seiten umfassenden Katechismus mit Erklärungen, seinen Kommentar zum Propheten Jesaja und die Confessio Virtembergica, das Württembergische Bekenntnis. Es ist bis dahin die erste Bekenntnisschrift, die keine Verdammungsurteile enthält“, betont Manfred.
Die Nachkommen von Brenz: ein evangelisches Who’s Who
Immer wieder wagt sich Brenz, dessen Frau an Schwindsucht gestorben ist, weg von der Burg und unternimmt kleine Reisen, um seine Kinder zu sehen. Und um ein zweites Mal zu heiraten. Am Ende seines Lebens ist er Vater von 18 Kindern, das jüngste kommt zur Welt, als er 68 Jahre alt ist. Zu seinen Nachkommen zählen unter anderem Johann Albrecht Bengel, Dietrich Bonhoeffer, Hermann Hesse, Patrick Süskind, Ludwig Uhland sowie Carl und Richard von Weizsäcker, ein evangelisches Who’s Who.
Heiligs Blechle
War da nicht noch was? Ja doch, ein „Heiligs Blechle“. Gegen Ende zu, bei einem Ausblick auf die Schwäbische Alb, berichtet Manfred vom politischen Gestaltungswillen des Johannes Brenz. 1559 als Stiftsprobst in Stuttgart verfasst er zusammen mit Herzog Christoph die Große württembergische Kirchenordnung und knüpft dabei an seine Arbeiten in Schwäbisch Hall und auf Burg Hornberg an. Sie findet weltweit Nachahmer. Auch hierin lehnt Brenz Verdammungsurteile in Glaubensfragen und Gewalt ab und fordert die Schulpflicht auch für Mädchen.
Zudem sollen alle Kirchengemeinden „Armenkästen“ einrichten, aus denen die Bedürftigen versorgt werden. Eine Art Sozialkasse. Und eine evangelische Antwort auf die katholische Heiligenverehrung. Es gelte mit Geld und tätiger Hilfe die jetzt lebenden Heiligen zu ehren und zu unterstützen. Nach dem Verständnis von Brenz sind das die armen, unterdrückten und bedürftigen Leute. Damit die Hilfe auch bei den richtigen ankommt, erhalten sie eine Blechmünze, ihr „Heiligs Blechle“. Die müssen sie vorzeigen, wenn sie Unterstützungsleistungen bekommen wollen. Organisierte Solidarität und Nächstenliebe, nicht Edelkarosse. Auch das ist eine der Botschaften von Johannes Brenz.
Damit die in Erinnerung bleibt, bekommen die Pilgerinnen und Pilger ein „Heiligs Blechle“ geschenkt. Neu designet mit dem Emblem des Brenzwegs.
Stephan Braun