05.11.2020

Alles wird anders

Vesperkirchen in Coronazeiten

„Miteinander für Leib und Seele“ – Covid-19 stellt diesen Anspruch vieler Vesperkirchen auf eine harte Probe. Niemand weiß, wie die Infektionszahlen und Verordnungen von Ende November bis März nächsten Jahres aussehen werden. Das ist die Zeit, in der die Vesperkirchen üblicherweise ihre Pforten öffnen würden. Dort, wo sie vermutlich noch stattfinden können, gilt: Alles wird anders. Drei Beispiele.

Alles wird anders. Vesperkirchen erfinden sich unter Pandemie-Bedingungen neu.

Ludwigsburg: Vesperkirche zeitlich entzerrt 

„Wir können in der Friedenskirche nicht zusammen an einem Tisch sitzen, essen und ins Gespräch kommen“, sagt Bärbel Albrecht von der Kreisdiakonie, die in Ludwigsburg die Vesperkirche betreut. Deshalb soll es dort vom 19. Januar bis zum 25. Februar eine „Vesperkirche to go“ geben. Die Vesperkirchensaison wurde von drei auf sechs Wochen verlängert, das Essensangebot aber auf die Tage Dienstag, Mittwoch und Donnerstag beschränkt. „Wir können uns gut vorstellen, dass die Menschen mehr davon haben, weil die Essen gerade für ältere Leute gegebenenfalls auch für zwei Tage reichen. Zudem ersparen wir ihnen Wege unter Corona-Bedingungen“, betont Albrecht.

Update am 8. Januar: Die Ludwigsburger Vesperkirche musste abgesagt werden.

Die Vesperkirche in Ludwigsburg hat Gastronomen gefunden, die gegen Bons Essen to go ausgeben, sagt Bäbel Albrecht von der Kreisdiakonie.

Die „Vesperkirche to go“ wird auch deshalb möglich, weil die Diakonie zehn Gastronomen gefunden hat, die den Vesperkirchengästen gegen Bons Essen ausgeben. Wenn sie an den Ausgabestellen erscheinen, warten dort Mitarbeitende aus dem Vesperkirchenteam, um mit dem gebotenen Abstand einen kurzen Plausch zu halten. Wer länger reden möchte, hat dazu an einem extra eingerichteten Plaudertelefon die Gelegenheit.

Vesperkirchen-Gottesdienste sollen nur zur Eröffnung am 17. Januar und zum Abschluss am 28. Februar stattfinden. Aber auf das zum Vesperkirchenalltag gehörende „Wort zur Mitte des Tages“ muss niemand verzichten. Es soll als Podcast zu hören sein oder schriftlich als Beigabe zum Mittagessen verteilt werden. „Auch wenn das Miteinander dieses Mal schwierig wird, müssen wir die Vesperkirche vermutlich nicht ausfallen lassen“, schätzt Bärbel Albrecht. „Und darüber sind wir sehr froh.“

„Wie es auch kommt, wir arbeiten an einem Plan B", sagt Vanessa Lang von den Vesperkirchen im Bereich Ravensburg-Weingarten.

Vesperkirche räumlich entzerrt 

 Im Bezirk Ravensburg-Weingarten wird nach den bisherigen Planungen die Vesperkirche räumlich entzerrt. So sollen vom 17. Januar bis 13. Februar an drei Orten Vesperkirchen stattfinden statt nur an einem Ort wie bisher: in Gemeindehäusern in Leutkirch, Ravensburg und Wilhelmsdorf. Dort soll es jeweils ein Begrüßungsteam geben und einen Warteraum. „Und dieses Mal wird an den Tischen bedient“, sagt Vanessa Lang, die die Vesperkirche im Kirchenbezirk mitorganisiert.  Auf Kinderbetreuung und kulturellen Veranstaltungen müsse allerdings verzichtet werden. Wenn die Vesperkirche doch nicht wie geplant in den Gemeindehäusern stattfinden kann? „Dann wollen wir das Essen liefern oder ein „Essen to go“ anbieten“, so Lang. „Wie es auch kommt, wir arbeiten an einem Plan B.“  

Eine verteilte Vesperkirche will man in Kirchheim unter Teck anbieten. Gemeindediakon Uli Häußermann spricht von vielen kreativen Ideen.

Kirchheim unter Teck: Vesperkirche zuhause – ein Experiment

Auch in Kirchheim unter Teck entzerren die Organisatoren die Vesperkirche. Dort ist jetzt eine viergeteilte Vesperkirche für die Zeit vom 31. Januar bis 14. Februar in Planung. Viergeteilt, das heißt: Sonntags Gottesdienste ohne Essensausgabe, von Montag bis Freitag Vesperkirchenessen für je zwei Schichten á 20 Personen in der Thomaskirche. Samstags will man „Maultaschen für alle“, also für Bedürftige und Nicht-Bedürftige, in der Innenstadt anbieten.

Als Experiment gilt die „Vesperkirche zu Hause“. Gemeindemitglieder werden gebeten, für andere ihre Wohnung zu öffnen und sie zum Essen einzuladen. „Natürlich streng unter Corona-Regeln“, sagt Gemeindediakon Uli Häußermann, der in Kirchheim unter Teck für die Vesperkirche zuständig ist. Das könne ein Freund oder eine Freundin sein, die man schon lange nicht mehr gesehen habe. Oder eine einsame Nachbarin. Man könne aber auch über die Homepage der Vesperkirche Gäste einladen, die dann vermittelt würden. Häußermann ist sich sicher: Wer andere zum Essen einlädt, bekommt auch etwas geschenkt: vielleicht neue Impulse, vielleicht ein Lächeln und ein dankbares Gegenüber. „Es wäre doch faszinierend, wenn wir so über Milieugrenzen hinwegkämen.“

„Essen to go" hieß es schon bei der Stuttgarter Vesperkirche im Frühjahr aufgrund der Pandemie-Bedingungen.

In der letzten Vesperkirchensaison vor Corona 2018/2019 haben sich rund 6.600 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bei den württembergischen Vesperkirchen engagiert. Die Ehrenamtlichen haben an 575 Vesperkirchtagen rund 170.000 Mahlzeiten ausgegeben. In der vergangenen Saison mussten bereits einige Vesperkirchen vorzeitig aufgrund der Pandemie abgebrochen werden oder ganz ausfallen. 

Stephan Braun

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