Stuttgart. Arbeit ist Gottesdienst – aber das heißt nicht, dass jeder sich kaputtschuften sollte. Zum Tag der Arbeit erinnert Rundfunkpfarrerin Dr. Lucie Panzer an die wichtigen Ruhepausen und an einen verständnisvollen Blick auf den Nächsten:
Arbeit ist Gottesdienst. Jedenfalls wenn sie den Mitmenschen dient. Daran hat Martin Luther immer wieder erinnert. „Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst. Ein Knecht im Stall wie der Knabe in der Schule dienen Gott. Wenn so die Magd und die Herren fromm sind, so heißt das Gott gedient, so wären alle Häuser voll Gottesdienst.“
Wer hart arbeiten muss ist also nicht ein armer Tropf, dem nichts anderes übrig bleibt. Müllwerker und Putzfrauen, Krankenpfleger, Köchinnen und Landwirte verdienen größte Hochachtung und müssten genauso bezahlt werden wie die Leute in den Büros. Denn was sie tun, ist lebenswichtig und macht unser Leben leichter und manchmal überhaupt erst möglich. Schade, dass uns das erst in dieser Corona-Krise wieder bewusst geworden ist.
Im Mittelalter galten nur die Geistlichen als richtig gute, wahre Christenmenschen. Dagegen hielt Luther fest: Jeder Mensch hat eine Begabung. Und die für das Gemeinwohl einzubringen – das ist verantwortliches Leben vor Gott. Gottesdienst. So gesehen ist Arbeit eine Berufung. Eben ein Beruf. Damit hat Luther den Menschen zu einem ganz neuen Selbstbewusstsein verholfen.
In der Folge allerdings sind die Menschen – bildlich gesagt – auf der anderen Seite vom Pferd gefallen. Wer keine Arbeit hatte, der galt als Faulpelz und Versager. Arbeit ist Gottesdienst – also ist es gut, möglichst viel zu arbeiten. Seither machen viele Menschen sich kaputt, weil sie viel und zu viel arbeiten. Ich muss und will es doch gut machen in meinem Beruf und immer noch besser. Andere, die keine Arbeit haben oder nicht arbeiten können, die verlieren ihr Selbstvertrauen und meinen, ihr Leben hätte so doch keinen Sinn – ohne Arbeit.
Anscheinend kannte Luther auch diese verdrehte, übermäßige Hochschätzung der Arbeit. Und auch die allzu Pflichtbewussten, die gar kein Ende finden und darüber krank werden. Sein Freund Philipp Melanchthon war anscheinend auch so einer. Ihm hat Luther mal einen Brief geschrieben: „Man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun. Deshalb nämlich hat er gewollt, dass vor anderen Dingen der Feiertag so streng gehalten werde. Siehe zu, dass Du dies nicht verachtest.“
Arbeit also als Berufung und Dienst am Nächsten. Und Nichtstun auch. Pausen. Die Unterbrechung der Arbeit. Beides zusammen ist Gottesdienst mitten im Leben.
[1] Martin Luther, Predigt zum höchsten Gebot, 1532. - [2] Martin Luther 1530 in einem Brief an Philipp Melanchthon.