21.02.2023

Pflicht zum Widerstand

Mitglieder der Weißen Rose vor 75 Jahren hingerichtet

Am Mittwoch, 22. Februar, jährt sich die Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl sowie von Christoph Probst zum 80. Mal. Die Mitglieder der „Weißen Rose“ wurden durch das Fallbeil umgebracht, weil sie Flugblätter verteilt hatten, die zum Widerstand gegen die Nazidiktatur in Deutschland aufriefen. Auch die Ulmer Martin-Luther-Kirche war Schauplatz ihres Widerstands. Und sie erinnert auch noch 2023 daran – mit einem Gedenkgottesdienst am 22. Februar um 19:00 Uhr auf der Orgelempore der Martin-Luther-Kirche.

Hans und Sophie Scholl, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Mitglieder der "Weissen Rose" (Archivfoto aus den 1930er Jahren).

Die Mitglieder der Weißen Rose sahen sich auch als Christen in der Pflicht, sich der Nazidiktatur entgegen zu stellen. Sie kamen aus konservativ-bürgerlichen Elternhäusern mit christlicher Prägung, beschäftigten sich mit den Kirchenlehrern Augustinus und Thomas von Aquin sowie mit der Existenzphilosophie des dänischen Denkers Kierkegaard. Hans Scholl ging es um ein „sichtbares Zeichen des Widerstands“ von Christen. „Sollten wir am Ende dieses Krieges mit leeren Händen vor der Frage stehen: Was habt Ihr getan?“, fragte er.

Vier Flugblätter hatten die Münchener Medizinstudenten Hans Scholl und Alexander Schmorell im Juni und Juli 1942 bereits verfasst und damit zum Widerstand gegen das NS-Regime aufgerufen. Wegen einer Frontfamulatur, also eines medizinischen Praktikums in einem Frontlazarett, die beide an die Ostfront führte, mussten sie diese Form des Widerstandes zwischenzeitlich einstellen. Mitte Januar 1943 waren sie wieder in München. Die Gruppe war derweil gewachsen. Zum Kern gehörten neben Hans Scholl und Alexander Schmorell auch Christoph Probst, ein Jugendfreund Schmorells, Willi Graf, Sophie Scholl, die Schwester von Hans, und der Professor für Musikwissenschaft Kurt Huber. Jetzt sollte auch die Auflage der Flugblätter bedeutend steigen. Von jeweils ein paar Hundert Exemplaren auf mehrere Tausend. 

Blick in die Pfeifenkammer der großen Walcker-Orgel in der Martin-Luther-Kirche in Ulm. Hier versteckten und kuvertierten Hans Hirzel und Franz-Josef rund 2.000 Flugblätter der Weißen Rose.

Flugblätter in der Walcker-Orgel

Sophie Scholl hat rund 2.000 davon im Gepäck, als sie von München nach Ulm kommt. Sie übergibt sie im Pfarrgarten der Martin-Luther-Kirche dem Pfarrersohn Hans Hirzel. Sie kennen sich gut, auch die Eltern waren miteinander befreundet. Hirzel und sein Schulfreund Franz-Josef Müller, beide Abiturienten am humanistischen Gymnasium, verstecken die Flugblätter in der großen Walcker-Orgel der Kirche. Hirzel half als Organist dort regelmäßig aus und hatte Zugang zur Empore und dem Instrument. In der Pfeifenkammer kuvertieren sie die Flugblätter in mehreren Abendschichten und beschriften die Umschläge per Schreibmaschine mit Adressen. Zum Ausgleich und zur Tarnung setzt sich Hans Hirzel immer wieder an die Orgel. Später bringt er die Briefe nach Stuttgart, wo seine Schwester Susanne sie in Briefkästen verteilt.

Volker Bleil, bis vor einige Zeit Pfarrer an der Martin-Luther-Kirche, konnte einige der Mitglieder der „Weißen Rose“ noch kennenlernen. Franz-Josef Müller gehört dazu. Susanne Hirzel hat er vor Jahren selbst beerdigt. Als die allerletzten der Zeitzeugen sterben, sprach er von sich augenzwinkernd „als eine Art Zeitzeuge der Zeitzeugen“. Es sei ihm eine „innere Verpflichtung“ das weiterzugeben, was sich in der Martin-Luther-Kirche ereignet hat. Er hat 2010 eine Erinnerungsstätte im Treppenhaus der Martin-Luther-Kirche eingerichtet. Dort können Besucherinnen und Besucher auch einen Blick in die Pfeifenkammer werfen, in der noch das Tischchen zu sehen ist, auf dem Hans Hirzel und Franz-Josef Müller die Flugblätter in Kuverts steckten.

Bleil erzählte häufig, wie schwer es die Überlebenden der Weißen Rose wie Hans und Susanne Hirzel und Franz-Josef Müller noch bis in die 1980-er Jahre hinein gehabt haben. Wenn Susanne Hirzel bei Klassentreffen erschien, verstummten die Gespräche. Zu groß waren der Widerwille und die Widerstände, sich mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen. Viel zu lange wurden die Überlebenden der Weißen Rose noch als Volksverräter angesehen und verunglimpft. „Mit den ermordeten Mitgliedern der Weißen Rose konnten viele besser umgehen“, so Bleil. „Sie wurden als Helden erhöht. So konnte man sich von ihnen mit dem Hinweis absetzen: Es kann ja nicht jeder ein Held sein.“ Die Überlebenden dagegen erzeugten allein durch ihre Existenz bei ihren Altersgenossen ein Unbehagen und manchmal auch ein schlechtes Gewissen. Denn sie zeigten, man hätte selbst auch mutiger sein können.

Du kannst den Erwachsenen etwas voraushaben

Schülern und Jugendlichen sagte Bleil: „Die Weiße Rose zeigt, du kannst als junger Mensch politisch wach sein, deinen Glauben und deine Werte ernst nehmen und auch den Erwachsenen etwas voraushaben.“ Das macht dann bei vielen „Klick“, meint er, wenn sie erkennen: „Die haben das als Schüler getan. Und wir sind auch Schüler.“

Für die Martin-Luther-Gemeinde sei die Geschichte ein Schatz, aber auch eine besondere Verpflichtung zu politischer Wachsamkeit aus dem Glauben heraus, sagte Bleil. „Mit einer solchen Geschichte im Rücken ist es noch weniger erträglich als ohnehin schon, wenn jemand ausgegrenzt wird.“ Die Martin-Luther-Gemeinde legt auch deshalb besonderen Wert auf ihre Flüchtlingsarbeit, auf den interreligiösen Dialog und die Stärkung von Jugendlichen. „Jeder Mensch ist von Gott geliebt und hat die gleiche Würde“, sagte Bleil stets den Schülergruppen, etwa wie Konfirmanden. „Ihr seid als junge Menschen wichtig, ihr könnt etwas bewegen. Es ist wichtig, dass ihr aufsteht, den Anfängen wehrt. Auf dem Schulhof, in eurer Klasse oder wo auch immer.“

Das sechste Flugblatt wurde der Weißen Rose zum Verhängnis. Ein Hausmeister erwischte Hans und Sophie Scholl, als sie die Flugblätter im Lichthof der Münchener Universität verteilen. Er hielt die Geschwister fest und übergab sie an die Gestapo. Vier Tage später, am 22. Februar 1943, wurden sie vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am selben Tag mit dem Fallbeil hingerichtet. Am Tag der Hinrichtung wurden auch Hans und Susanne Hirzel sowie Franz-Josef Müller festgenommen und im April zu Haftstrafen verurteilt. „Es fallen so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, dass jemand dagegen fällt“, soll Sophie Scholl zwei Tage vor ihrer Verhaftung gesagt haben.

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