Sechs württembergische Delegierte sind unter insgesamt 354 Entsandten der lutherischen Kirchen aus aller Welt, die noch bis kommenden Dienstag bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds (LWB) im namibischen Windhuk beraten, diskutieren und Beschlüsse fassen. Angeführt wird die Delegation von Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July, der Vizepräsident für Westeuropa und Ratsmitglied ist.
„Wir kommen zur Abstimmung“. Jeder der 354 Delegierten hat ein Gerät, mit dem das im Nu erledigt ist. Sekunden später können alle auf den großen Bildschirmen im gekühlten Konferenzraum das Ergebnis sehen. Wenn auch die Diskussionen lang sein mögen – die Abstimmungen gehen schnell.
Im Saal sitzen auch die beiden Jugenddelegierten Isabel Sixt (26) und Sebastian Bugs (28). Sebastian, Theologiestudent, verspricht sich zukunftsweisende Beschlüsse von dieser Vollversammlung: „Anfangs war ich vor allem gespannt, aber ohne konkrete Erwartungen. Aus früheren Versammlungsbeschlüssen ist herauszulesen, dass manchmal nur noch drinsteht, was nach Einbringung aller Bedenken übrig blieb. Aber nach der Rede von LWB-Präsident Bischof Younan am Mittwoch bin ich begeistert und erhoffe mir, dass wir hier Beschlüsse fassen, die eine Richtung vorgeben und Hoffnung weitergeben.“ Isabel, ebenfalls Theologiestudentin, erwartet „klar formulierte Ziele und einen Plan zur konkreten Umsetzung dieser Ziele. Clima-Justice muss auf jeden Fall weitergehen, ebenso Gender Justice“, sagt sie. „Und wir wollen, dass Jugendbeteiligung in den Mitgliedskirchen endlich praktisch umgesetzt wird.“ Die Bibelstunden der Vorkonferenz waren für sie ein besonderes Erlebnis: „Sieben Leute aus sieben Regionen der Welt treffen sich täglich, um einen Bibeltext zu lesen und zu erfahren, was diese Texte bei Menschen aus den verschiedenen Kulturen auslösen. Es ist eine Sache“, sagt Isabel, „von Menschenhandel in der Bibel zu lesen. Aber es ist eine ganz andere Erfahrung, jemandem zuzuhören, der davon berichtet, dass in Familien in seinem Umfeld Väter ihre Töchter verkauft haben.“
Inge Schneider (63) ist es als Präsidentin der württembergischen Landessynode gewohnt, ein Kirchenparlament zu leiten. Diese Vollversammlung ist allerdings nicht nur mehr als dreimal so groß wie die Landessynode, sie ist bunter. Schneider freut sich an den gemeinsamen Gottesdiensten, die mehrsprachig und mit afrikanischem Schwung zur Sache gehen – und lobt die Themenauswahl. Gerade die Botschaft der Jugendlichen, die sich schon in den Tagen vor der Vollversammlung zu einer Jugendkonferenz getroffen haben, hat sie beeindruckt. Sie hätten nämlich deutlich gemacht, „dass für sie die Themen Wiederbelebung der Kirche, Chancengleichheit und Bildung die wichtigsten Themen sind.“
Auch mit Landessynodenerfahrung ist der Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl (53) nach Windhuk gekommen. Auf seinem Teilnehmerausweis steht „Ernst-William“, was angesichts der hauptsächlich auf Englisch geführten Gespräche gewisse Vorteile hat. Er will die Chance der Begegnung, des Austausches und der Diskussion mit den Delegierten aus den unterschiedlichen Kirchen und Kulturen innerhalb der lutherischen Gemeinschaft nutzen: „Die Gefahr ist, dass wir Kirche nur mit der Kirchengemeinde vor Ort und der Landeskirche verbinden. Das verengt unsere Perspektive. Doch Kirche Jesu Christi ist mehr.“ Diese Vielfalt und der damit verbundene Schatz, so Gohl, seien auf der Vollversammlung überall erfahrbar.
Viola Schrenk (47), Pfarrerin in Lorch-Waldhausen und Landessynodale, ist auch zum ersten Mal als Delegierte bei einer Vollversammlung. Ihr sind die großen Themenschwerpunkte „Menschen – Erlösung – Schöpfung: für Geld nicht zu haben“ wichtig, mit der das Reformationsthema „Befreit durch Gottes Gnade“ umgesetzt wird. Diese Themen seien „hier in Namibia sehr direkt zu erleben: Theologie und Realität kommen zusammen, wenn im extrem wasserarmen Namibia Farmen dringend Wasser brauchen, um den Hunger der Menschen zu stillen.“
Kirchenrat Klaus Rieth (62) dagegen ist als „ökumenischer Außenminister“ seit vielen Jahren auch beim Lutherischen Weltbund unterwegs. „Nichts kann“, so Rieth, „den persönlichen Austausch, die persönliche Begegnung ersetzen. Wenn mir eine Teilnehmerin aus einer Krisenregion in Afrika etwas von ihrer Kirche erzählt und was dort geschieht, hat das ein ganz anderes Gewicht, als wenn ich das in den Nachrichten sehe.“ Für Rieth ist das wichtigste Thema, „wie wir den massiven Verlust von Kirchenmitgliedern stoppen können, wie wir neue missionarische Impulse erhalten und wie wir glaubhaft Christen sein können in unserem Land und unserer Region.“
In der Tat eine gute Idee. LWB-Generalsekretär Martin Junge, Pfarrer aus Chile, nennt in seinem Bericht vor der Vollversammlung den Kontinent mit den größten und schnellsten wachsenden lutherischen Kirchen: Es ist Afrika, und diese Kirchen sind in Tansania und Äthiopien zu finden.
Der weltweite Austausch unter den 147 Kirchen aus 98 Ländern sei der Württembergischen Landeskirche sehr wichtig, sagt Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July. Sie gibt rund anderthalb Millionen Euro im Jahr für den LWB aus, dessen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen im vergangen Jahr bei rund 151 Millionen Euro lagen. „Wir begegnen uns hier und tauschen uns aus – gerade in Zeiten, in denen andere Grenzen hochziehen wollen und Nationalismus erstarkt. Wir wollen uns gegenseitig unterstützen – zum Beispiel, wenn es gegen die Diskriminierung von Christen geht – und wir sind eine globale Gemeinschaft, die in Erbe und Weiterentwicklung der Theologie Martin Luthers und der Reformationseinsichten neue Wege gehen will.“
Auch die Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika kommt zur Sprache. Der scheidende LWB-Präsident Younan, Bischof von Jordanien und dem Heiligen Land, spricht das Thema gleich in seiner Eröffnungsrede unverblümt an: Der lutherische Weltbund wolle die Parteien dabei unterstützen, Lösungen zu finden. Die drei lutherischen Kirchen Namibias sagen: Das ist eine Sache zwischen Deutschland und Namibia. Vermutlich wird die Vollversammlung dazu eine kurze Erklärung verabschieden.
Überhaupt hat die Vollversammlung mit rund 800 Beteiligten in Namibia schon einiges bewirkt – allein dadurch, dass sie hier stattfindet. Die drei lutherischen Kirchen in Namibia haben sich zusammengetan, um die Konferenz gemeinsam vorzubereiten. Und auch beim Staat ist die Vollversammlung ein Thema: Staatspräsident Hage Geingob, selbst Lutheraner, hat zu Ehren der versammelten Welt-Lutheraner einen großen Empfang gegeben.
Am Sonntag ist es dann so weit: Das Reformationsjubiläum wird gefeiert: im Sam Nujoma Stadium von Windhuk. 10.000 Teilnehmer werden erwartet – und so viele werden wohl auch mindestens kommen. So bunt und fröhlich, wie eben in Afrika Gottesdienst und Feste gefeiert werden. Die Vollversammlung mit ihren Beschlüssen und Abstimmungen geht dann noch bis Dienstag weiter. Die Reformation ist eben eine Weltbürgerin geworden.
Oliver Hoesch
Mitarbeit: Matthias Hiller