Am 15. November 2018 feiert die Frauenordination in Württemberg 50-jähriges Jubiläum. Christel Hildebrand gehört zu den ersten Jahrgängen und zeigt, wie selbstverständlich es ist, als Frau ordiniert zu sein – auch wenn der Weg dorthin alles andere als selbstverständlich war.
Wer Christel Hildebrand hört, für den wird Geschichte lebendig. Die 1935 geborene Westfälin wurde 1973 in Württemberg ordiniert. „Da war ich schon nicht mehr bei den Ersten“, betont sie, doch hat sie den Prozess bis hin zur Frauenordination noch genau in Erinnerung. „Als ich begonnen habe, Theologie zu studieren, da war noch nicht klar, ob ich mal ein Pfarramt übernehmen dürfte“, erinnert sie sich.
Den Weg hat sie dennoch bewusst eingeschlagen, sie ist ihn aber nicht direkt gegangen. „Wenn man nicht aus einer Akademikerfamilie stammt, dann gibt man sich mit anderem zufrieden. Ich war zunächst Gemeindehelferin. Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern hat mir dann deutlich gemacht, dass ich da an Grenzen stoße, theologische Fragen nicht beantworten kann und das wollte ich alles genau wissen. Dann habe ich noch relativ spät, erst 1966, begonnen Theologie zu studieren“, erklärt Hildebrand.
Bis Frauen in Deutschland offiziell leitende Pfarrämter übernehmen durften, war es ein weiter Weg – zu Kriegszeiten gab es noch Ausnahmeregelungen, weil einfach sonst keiner die Aufgaben tun konnte. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden solche Ausnahmen aufgehoben. Das Selbstbewusstsein der Frauen aber war in der Zwischenzeit gewachsen. Sie ließen sich nicht mehr mit Plattitüden abspeisen, wonach Frauen das nicht könnten. Sie hatten bewiesen, dass sie es konnten.
Bei Hildebrand hat sich der lange Prozess bis hin zur Frauenordination biografisch niedergeschlagen. Er zeigt, wie aus der wissbegierigen Frau aus Bochum eine engagierte Stuttgarterin wurde, die aus dem örtlichen Kirchengemeinderat nicht wegzudenken ist: „Ich hatte zwar schon Kontakte in Württemberg und wurde meinem Schuldekan empfohlen, aber dass ich in Württemberg und nicht in Westfalen Pfarrerin wurde, liegt daran, dass Westfalen sich den Zölibatparagraphen für Frauen noch offenhalten wollte.“ In Württemberg zeichnete sich bereits ab, dass der Paragraph abgeschafft würde, dass also Frauen nicht ihren kirchlichen Dienst aufgeben mussten, sobald sie heirateten und Kinder bekamen.
Hildebrand fühlt noch den Moment, als sie damals das Empfehlungsschreiben überreicht bekommen hat. Die tiefe Wertschätzung, die sie damit erfahren hat, klingt in ihrer Stimme nach. Sie war mit offenen Armen in Württemberg willkommen geheißen worden. „Die Kirche brauchte schließlich Mitarbeitende und wollte sie nicht an andere Landeskirchen verlieren“, schränkt Hildebrand demütig ein. Obwohl sie ihr Gegenüber kaum kennt, erzählt sie freundlich und geduldig in unverkennbar westfälischem Zungenschlag. Sie glaube trotzdem nicht, dass die Gründe für die Öffnung zur Frauenordination aus der Pragmatik kamen. Praktisch sei das zwar gewesen, „aber die Synode musste mit theologischen Argumenten überzeugt werden“ und letztendlich sei das auch gelungen. Am Ende habe es dann die Formulierung gegeben – so blieb es Hildebrand prägend im Gedächtnis: „Schwestern sind Brüder im Sinne des Gesetzes.“
Hildebrand war vier Jahre lang Vorsitzende des Konvents Ev. Theologinnen in Deutschland. Bei ihrer Arbeit am „Lexikon früher evangelischer Theologinnen“ hat sie zusätzlich viele Biografien kennen gelernt. Auch sie haben sie auf ihrem Weg begleitet. Hildebrand verschwindet, um das Buch in kirchenlilafarbenem Einband zu holen. Zahlreiche Merkzettel sind darin. Auf einem stehen säuberlich notiert Namen und Daten – und hinten die Namen all derer, die die einzelnen Lebenswege zusammengetragen haben, dem Erinnern helfen und zeigen, wie wenig selbstverständlich die heutige Situation ist.
Wenn Hildebrand von ihrem ersten Pfarrkonvent berichtet, wird greifbar, was Frauenordination in den ersten Jahren bedeutete: „Ich war die einzige Frau im Dekanat. Die männlichen Kollegen wurden alle von ihren Frauen zur Abfahrt gebracht. Sie hielten mich wohl für die Sekretärin, die mit durfte, um den Dekan zu unterstützen. Als es dann darum ging, wer das Protokoll schreiben soll, hieß es: ‚Das macht die Christel Hildebrand‘.“ Hildebrand ließ sich davon aber nicht entmutigen, im Gegenteil. Sie hat die Situation zu nutzen gewusst. „Schließlich liegt im Protokollschreiben auch eine Machtposition. Die Macht, festzulegen, was und wie es letztlich festgeschrieben wird“, schmunzelt sie. Sie erscheint dabei, mit Matthäus 10,16 gesprochen, klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Man merkt dieser Frau mit den wachen, dunklen und zugewandten Augen an, dass sie ihre Kraft nicht aus dem Urteil anderer ziehen muss, dass ihre Wurzeln viel tiefer schlagen. „Lesen Sie meine Bücher, meine Texte“, sagt sie. „Immer wieder schreibe ich davon, dass das Wissen um die Ewigkeit allem Zeitlichen eine Vorläufigkeit gibt, aber auch eine ganz besondere Qualität.“
Ein Gedicht, das sie selbst geschrieben hat, hat sie extra kopiert und schiebt das Papier bescheiden über den Tisch. „Ein Stück vom Himmel“ ist der Titel. „Ein Stück vom Himmel ist: Weiter wünschen, weiter fragen, weiter hoffen, weiter lieben und glauben, dass das alles nicht vergeblich ist“, schreibt sie. Ihren Leserinnen und Lesern schenkt sie zum Schluss die Botschaft: „Und du bist ein Teil von ihm. Du bist ein Stück vom Himmel!“
Hildebrands Schwerpunkt blieb die Bildungsarbeit, zunächst mit Schülerinnen und Schülern an Gymnasien. „Eine Berufsjugendliche wollte ich aber nie werden“, versichert sie. So wandte sie sich der Erwachsenenarbeit zu, in der Ev. Akademie Bad Boll oder bei den Theologischen Gesprächskreisen, die sie noch heute ökumenisch mitverantwortet. Charakteristisch ist ihr Blick für die Menschen, die Gabe wahrzunehmen und scharf nachzudenken. Interreligiöser Dialog sind ihr genauso Anliegen wie die Öffnung für gesellschaftliche Fragen über den binnenkirchlichen Raum hinaus. Dass sie bei all dem weibliche Pfarrperson ist, wirkt sekundär. Bei Hildebrand zeigt sich nichts eines „Pfarramts trotz Frau“. Ganz natürlich ist sie als Frau ins Pfarramt berufen.
„Weiter wünschen, weiter fragen…“ – Hildebrand wird das noch weiter tun. „Zehn Jahre brauche ich noch, um aufzuräumen“, lacht sie und erzählt vom nächsten Buchvorhaben, das auch „Ein Stück vom Himmel“ enthalten soll. Der nachfolgenden Generation rät sie, nie aufzuhören, sich den Menschen zuzuwenden und den Pfarrberuf als Lebensleidenschaft zu erleben im getrosten Wissen darum, dass man nicht alles selbst tun muss, sondern viel von Gott erwarten darf.