Ob oben auf der Schwäbischen Alb oder in den Gemeinden rund um Stuttgart: Claudia Merkle ist überall im Einsatz. Seit sieben Jahren arbeitet sie als Dorfhelferin und Familienpflegerin. Ein Bürojob käme für sie nicht mehr in Frage. „Jeden Tag dieselben Menschen und immer vor dem Bildschirm sitzen, das erscheint mir eine grauenvolle Vorstellung“, sagt sie.
Eine Frühgeburt, Kaiserschnitt, Zwillinge, ein Umzug kurz vor Weihnachten – das Eintreffen einer dieser Situationen ist schon belastend. Für Sophia Müller* kam alles auf einmal. „Ich hatte einfach keine Zeit, mich auf diesen neuen Lebensabschnitt einzustellen, mal durchzuatmen“, erzählt sie. Die Elternzeit ihres Mannes endete, und Sophia Müller war tagsüber allein mit zwei Babys.
Was die junge Mutter damals nicht wusste: Sie hat Anspruch auf Hilfe. In Artikel 24 des Sozialgesetzbuches steht, dass eine Kassenpatientin nach der Entbindung Haushaltshilfe beantragen kann, wenn keine weitere Person sie im Haushalt unterstützt. Sophia Müllers Krankenkasse vermittelte ihr schließlich Claudia Merkle vom Evangelischen Familienpflege- und Dorfhelferinnenwerk in Württemberg. Jede Woche, Montag bis Freitag, klingelt die um acht Uhr bei Sophia Müller. Die Vorstellung, dass eine fremde Frau ihre Wäsche wäscht, erschien der jungen Mutter zunächst befremdlich. Jetzt sagt sie: „Frau Merkle hat mir endlich die Struktur gegeben, die ich vorher vermisst habe.“
Claudia Merkle ist eigentlich Druckereifachfrau. 25 Jahre lang arbeitete sie in der Branche, bevor die fortschreitende Digitalisierung ihr Berufsbild veränderte. „Irgendwann hieß es: Mach eine Umschulung zur Mediengestalterin oder du bist bald arbeitslos!“, berichtet Merkle. Da sie dazu aber „absolut keine Lust“ hatte, entschied sie sich mit 47 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Dorfhelferin beim Familienpflege – und Dorfhelferinnenwerk zu beginnen. Ein sozialer Beruf, das wäre doch etwas, dachte Merkle.
Die angehenden Dorfhelferinnen belegen, genau wie ihre Kolleginnen in der Familienpflege, Pädagogik - und Hauswirtschaftskurse. Kochen, putzen und Kinderbetreuung stehen hier auf dem Stundenplan. Praxisblöcke in Familien wechseln sich ab, mit theoretischen Unterrichtseinheiten. In der zweijährigen berufsbegleitenden Ausbildung zur staatlich geprüften Dorfhelferin lernen die Auszubildenden zusätzlich Grundsätze der Landwirtschaft. Claudia Merkle weiß so zum Beispiel, wie man Reben in einem Weinberg beschneidet, oder wann Setzlinge für Gemüse gesät werden müssen.
Und so springt Claudia Merkle auch dann ein, wenn sich zum Beispiel eine Landwirtin den Fuß bricht. Obwohl sie vor ihrer Ausbildung keinen Bezug zum Landleben hatte, erntet sie jetzt Kartoffeln, füttert Hühner und mistet den Stall aus. Wenn die Kühe um sieben Uhr früh gemolken werden müssen, ist Claudia Merkle da: „Zum Glück war ich schon immer Frühaufsteherin.“
Arbeiten an der frischen Luft und spielen mit süßen Kleinkindern – was nach einem Traumberuf klingt, hat auch seine Schattenseiten. So hatte Claudia Merkle schon einige Einsätze in Familien erlebt, in denen die Mutter wegen einer Krankheit nicht bei ihren Kindern sein konnte. In solchen Fällen ist Merkle Ersatzmutter, Hausaufgabenhilfe und Alleinunterhalterin in einem.
„Das Wichtigste ist bei jeder Familie, die Kinder für sich zu gewinnen. Der Rest klappt dann schon irgendwie“, erklärt sie.
Nur wie tröstet man ein sechsjähriges Kind, dessen Mutter unheilbar krank ist? „Ich kann leider nicht sagen: Mach dir keine Sorgen, das wird schon wieder!“, sagt Claudia Merkle. Wenn Worte nicht helfen, versucht die Dorfhelferin die Kinder abzulenken. Dann kocht und backt sie gemeinsam mit ihnen oder geht auf den Spielplatz. „Ein Junge wollte den ganzen Tag Fußball spielen“, erinnert sie sich und lacht. „Da merke ich dann schon, dass ich schon über 50 bin.“
Ihren Berufserfolg misst Claudia Merkle daran, dass die Eltern sich entspannen, während sie im Haus ist und die Kinder unbeschwert spielen. Wenn Sophia Müller sich wieder erholt hat, wird Merkle in eine andere Familie wechseln. „Es ist schön zu sehen, wenn es einer Mutter wieder gut geht, aber es ist genauso schön zu wissen, dass man gebraucht wurde und helfen konnte.“
Die Familienpflegerinnen und Dorfhelferinnen des Evangelischen Frauenhilfswerks in Württemberg unterstützen Familien in Krisensituationen. Das Team umfasst 50 Fachkräfte, zwischen 21 und 63 Jahren. Die Vermittlung in eine Familie läuft unter anderem über die gesetzlichen Krankenkassen. Oft wissen Familien aber auch gar nicht, dass Sie Anspruch auf Hilfe haben und stoßen eher zufällig auf das Angebot des FDHW.
Jonas Ebinger ist 22 und der einzige Mann im Team der fünfzig Familienpflegerinnen des Evangelischen Familienpflege und Dorfhelferinnenwerk in Württemberg e.V. (FDHW). Marie-Louise Neumann hat er erzählt warum es auch Vorteile haben kann in seiner Position zu sein.
Herr Ebinger, wie sind Sie zum Beruf des Familienpflegers gekommen?
Das war eher Zufall. Eigentlich wollte ich Koch werden. Ich hatte sogar die Ausbildung dazu schon abgeschlossen, aber ich habe schnell gemerkt, dass mir das nicht reicht. Ich wollte nicht jeden Tag nur Gemüse schneiden und Steak anbraten. Ich habe dann Praktika als Erzieher gemacht um zu schauen, ob ein sozialer Beruf etwas für mich ist. Eine Freundin meiner Mutter hat mir dann von den Familienpflegerinnen des Evangelischen Frauenhilfswerks (EFW) erzählt, ich fand das klang spannend und hab mich zunächst bei der Fachhochschule für Haus- und Familienpflege in Korntal beworben. Anschließend habe ich mein Anerkennungsjahr beim EFW absolvieren dürfen.
Die Kursbeschreibung für Haus-und Familienpflege auf der Webseite der Fachhochschule ist ausschließlich an Frauen gerichtet, hat Sie das nicht abgeschreckt?
Ich war mir tatsächlich nicht sicher, ob ich mich bewerben kann. Auf der Internetseite steht ja auch überall was von Pflegerinnen, oder `wir bilden Frauen aus, die …`. Aber während meines Praktikums als Erzieher war ich auch der einzige Mann, ich bin da also schon abgehärtet. Ich weiß auch nicht, warum das in sozialen Berufen so ist, aber da ich es, wie gesagt, schon gewohnt war, dachte ich, ich probiere es einfach mal und bewerbe mich.
Wie reagieren Familien wenn Sie anstelle einer Frau vorgestellt werden?
Manche Ehemänner sind sehr konservativ und möchten nicht, dass ihre Frau den ganzen Tag mit einem Mann allein zu Hause ist. Meistens wird meine Hilfe aber abgelehnt, weil die Mutter noch stillt und das kann ich schon nachvollziehen. Die meisten Frauen, meistens sind es ja Frauen, bei denen ich zu Hause bin, sehen das aber entspannt. Für die bin ich eher eine Art großer Sohn, der die Kinder unterhält und super kochen kann.
Und was würden Sie als größten Vorteil gegenüber ihren Kolleginnen sehen?
Ich bin deutlich jünger als die Meisten. Nein, mal im Ernst, das Ganze hat eigentlich nichts mit typisch männlich - weiblich zu tun. Die Kinder wollen am liebsten den ganzen Tag spielen und rennen. Ich komm einfach nicht so schnell aus der Puste.