| Gesellschaft

Für eine inklusive Gesellschaft

Woche für das Leben - Pränataltests und ihre konfliktreichen Folgen

Pränataldiagnostik ist in diesem Jahr das Thema der ökumenischen "Woche für das Leben". Die bundesweite Aktion steht unter dem Motto „Kinderwunsch. Wunschkind. Unser Kind!“ Es geht nicht nur werdende Eltern und Mediziner an, sondern die Gesellschaft als Ganzes, sagt Expertin Claudia Heinkel.

Ein neuer genetischer Bluttest hat das technische Potenzial, die Pränataldiagnostik zu revolutionieren. Er kann früh in der Schwangerschaft anhand einer Blutprobe der Mutter relativ zuverlässig berechnen, ob das ungeborene Kind eine Chromosomenbesonderheit wie Trisomie 21 hat. Das Problem: Es gibt keine Therapie für die erkannten Besonderheiten. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen diskutiert, ob der Test zur Kassenleistung in der Schwangerschaft werden soll. Expertinnen wie die Stuttgarter Leiterin der diakonischen Beratungsstelle PUA (Fachstelle Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin), Claudia Heinkel, warnen vor den gesellschaftlichen Folgen.

Claudia Heinkel Leiterin der diakonischen Beratungsstelle PUAprivat

Gerade weil der neue Test so früh in der Schwangerschaft und ohne invasiven Eingriff - anders etwa als eine Fruchtwasseruntersuchung - möglich ist, sei zu befürchten, dass sich werdende Eltern verpflichtet fühlen, ihn auch zu nutzen, warnt Heinkel. Sie beobachte jetzt schon einen "subtilen sozialen Erwartungsdruck auf Eltern", alle vorhandenen Untersuchungen auch durchführen zu lassen.

"Paare, die einen Befund über eine Behinderung ihres Kindes bekommen, sind im Schock. Sie erleben es als eine Zumutung, dass sie über Leben oder Tod ihres - manchmal lange ersehnten - Wunschkindes entscheiden sollen", berichtet Heinkel. Und niemand könne ihnen sagen, wie die Ausprägung der Behinderung bei ihrem Kind sein wird. In dieser Situation seien Beratungsstellen ein Ort, an dem sie sich ihre Verzweiflung, ihre Wut und Trauer von der Seele reden können.

Die Paare - "meist kommen glücklicherweise auch die Väter mit" - überlegen mit Unterstützung der Beraterinnen, welchen Weg sie gehen können und welche Entscheidung sie auch in Zukunft vor sich verantworten können. Die Beratungsfachkräfte bieten in jedem Fall auch ihre weitere Unterstützung an.

"Noch gibt es in unserer Gesellschaft einen Konsens: Jeder Mensch hat eine unverlierbare Würde, ganz gleich, wie seine genetische Ausstattung oder seine Leistungsfähigkeit ist." Wenn sich angesichts eines Kindes mit Behinderung die Einstellung breitmache "das muss doch heute nicht mehr sein", dann "zerbröselt der Inklusionsgedanke", sagt Heinkel.

Das führe auch zu "Kollateralschäden". Die Sprüche stigmatisieren beispielsweise Kinder mit Down-Syndrom. "Es steht ungesagt im Raum, dass sie doch eigentlich nicht mehr auf die Welt kommen sollten."

Jeder Mensch hat eine unverlierbare Würde, ganz gleich, wie seine genetische Ausstattung oder seine Leistungsfähigkeit ist.

CLAUDIA HEINKEL

Die allermeisten Kinder kommen gesund zur Welt. "Die meisten Behinderungen entstehen unter der Geburt und im späteren Leben", sagt Heinkel. Auch deshalb sollte die Gesellschaft einer flächendeckenden vorgeburtlichen Suche nach Behinderungen, die nicht behandelt werden können, deutlich widersprechen, fordert sie.

"Wir brauchen unbedingt eine gesellschaftliche Debatte darüber, ob wir das alles so wollen, wie sich das zu unserer Vorstellung von Menschenwürde verhält - und zwar unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung", sagt die Beraterin. Stattdessen brauche es bestmögliche Rahmenbedingungen, dass Eltern ein Kind - mit welcher Behinderung auch immer - möglichst sorgenfrei aufziehen können.

Dazu gehört eine gute und ganzheitliche Beratung und Hilfe von Anfang an. Eine Gruppe pflegender Mütter in Esslingen beispielsweise hat zwei Wünsche ganz oben auf der Liste: "Auslaufsichere Windeln ohne Zuzahlung - und keine Kämpfe mit den Kassen um Hilfsmittel, die die Kinder brauchen und die ihnen auch rechtlich zustehen." Eltern brauchten Ermutigung und die Gewissheit, dass das Kind willkommen ist und sie mit der Verantwortung nicht allein gelassen werden. 

Dr. Christiane Kohler-WeißEMH

Die württembergische Kirchenrätin Christiane Kohler-Weiß schreibt in den Materialien zur diesjährigen ökumenischen "Woche für das Leben": "Für die genetische Ausstattung ihrer Kinder sind Eltern nicht verantwortlich. Sie müssen sie vor der Geburt auch nicht kennen." Sie plädiert auf ein "Recht auf Nichtwissen, wo das Wissen die Beziehung zum entstehenden Kind gefährden kann". Schwangere Frauen brauchten Klarheit, um selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. Entscheidungen, "die aus der Angst heraus getroffen werden, nachher mit einem behinderten Kind allein dazustehen" könnten wohl kaum als "selbstbestimmt" bezeichnet werden.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)


Kirchensteuer wirkt!

Mehr News

  • Datum: 31.08.2024

    Jüdische Kultur: Wichtig für uns Christen

    Am 1. September 2024 findet in 30 Ländern der Europäische Tag der Jüdischen Kultur statt. Veranstaltungen laden zur Begegnung ein. Hier im Interview: Pfarrer i.R. Dr. Joachim Hahn, der seit Jahren Wissen über das Judentum vermittelt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.08.2024

    Gebet vor der Wahl in Thüringen und Sachsen

    Viele Menschen sind angesichts der politischen Situation in Deutschland beunruhigt und blicken mit Sorge in die Zukunft, aktuell angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Ein Gebet für diese Zeit von Pfarrerin Pamela Barke.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.08.2024

    Reisesegen: Mit Gottes Segen unterwegs

    Wer sich auf den Weg macht, möchte sich geborgen und behütet wissen. Hier eine kleine Auswahl an Reisesegen – zum Teilen, Zusprechen oder für die erste Seite Ihres Reisetagebuchs. Sie verreisen in nächster Zeit nicht? Jeder noch so kleine Weg lässt sich segnen…

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.08.2024

    Zum Tod des Theologen Prof. Dr. Paolo Ricca

    Am 14. August 2024 verstarb in Rom der bedeutende waldensische Theologe Prof. Dr. Paolo Ricca, der auch der württembergischen Landeskirche wichtige Impulse gegeben hat. Die Ulmer Prälatin Gabriele Wulz nennt ihn in ihrem Nachruf einen „charismatischen Lehrer der Kirche“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.08.2024

    Gebet zum Schulanfang von Landesbischof Gohl

    Zum Beginn des neuen Schuljahres gibt Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl allen Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern ein Gebet mit auf den Weg. Es greift die Freude, aber auch die Sorgen auf, die das neue Schuljahr mit sich bringt. Keiner muss sich den Herausforderungen allein stellen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.08.2024

    „In den Krisen in Europa ein Signal der Hoffnung“

    Die 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) findet in Hermannstadt/Sibiu (Rumänien) vom 27. August bis 2. September statt. Sie steht unter dem Motto „Im Licht Christi – zur Hoffnung berufen”. Die GEKE vertritt ca. 50 Mio. Protestanten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.08.2024

    Einsatz von KI in der Gemeinde

    Bei diesem digitalen Teams-Talk geht es darum, wie Künstliche Intelligenz sinnvoll in Kirchengemeinden eingesetzt werden kann. Welche Erfahrungen wurden schon gemacht? Wo liegen die Herausforderungen? Kommen Sie mit anderen ins Gespräch und diskutieren Sie mit.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.08.2024

    Halbzeit beim neuen Gesangbuch

    In vier Jahren soll ein neues Gesangbuch für die EKD vorliegen. Aus Württemberg arbeitet unter anderem Pfarrer Frieder Dehlinger vom Amt für Kirchenmusik am neuen Gesangbuch mit. Hier berichtet er vom Stand der Dinge.

    Mehr erfahren
  • Datum: 24.08.2024

    TV-Tipp: Seelsorge an der Autobahn

    Sommerzeit ist Reisezeit. Energie tanken können Reisende und LKW-Fahrerinnen und -Fahrer an Rastplätzen – und in Autobahnkirchen. Was versprechen sich Menschen von einem Besuch, was erwartet sie dort? Darüber spricht Heidrun Lieb mit Gästen im TV-Talk „Alpha & Omega“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 23.08.2024

    #gemeindebegeistert: Forum am 18. Oktober

    Das #gemeindebegeistert-Forum knüpft an den Innovationstag der Landeskirche im Mai 2024 an, um Projekte, Thesen und Inspirationen weiterzuentwickeln. Eingeladen sind alle, die beim Innovationstag waren, und alle, die Lust haben, Kirche innovativ zu gestalten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.08.2024

    Notfallseelsorge beim Hochwasser

    Heftiger Regen verursachte im Frühjahr 2024 schwere Überflutungen im Rems-Murr-Kreis. Pfarrer Markus Schwab, Leiter der landeskirchlichen Koordinationsstelle Notfallseelsorge, war danach in Rudersberg im Einsatz. Hier berichtet er von seinen Erlebnissen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.08.2024

    Welttag der humanitären Hilfe

    Durch Katastrophen und Kriege sind Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Daran erinnern die Vereinten Nationen mit einem jährlichen Gedenktag am 19. August. Hier stellen wir beispielhaft Institutionen vor, mit denen die Landeskirche sich weltweit engagiert.

    Mehr erfahren
Mehr laden