Sie kamen aus Bremen, Köln, München, Osnabrück und anderswo nach Stuttgart. Doch nicht, um zu bleiben. Nach nur einer Nacht brachen die Pilger am Samstag schon wieder auf, um die Kirchentagsstadt von 2015 mit der Kirchentagsstadt von 2017, Berlin, zu verbinden: mit einer Pilgerreise mit dem Fahrrad.
Sonst macht die radelnde Pilgergruppe ihr Frühstück jeden Morgen selbst. Das gilt zumindest für die Matratzenschläfer, denn einige übernachten im Hotel. Doch in der Rosenbergkirche im Stuttgarter Westen hatten Pfarrerin Astrid Riehle, Angelika Wollmann und Gisela Schuppert auf dem Wochenmarkt frisch eingekauft und alles bestens hingerichtet. Auch an die Extraportion für den Proviant war gedacht, das wussten die Radpilger sehr zu schätzen. 17 Pilger fuhren in Stuttgart los, unterwegs kommen weitere hinzu, in Berlin sollen 23 Pilger auf 22 Rädern eintreffen. Denn ein Tandem ist auch mit dabei. Rund ein Drittel der Räder sind E-Bikes, ihr Anteil steigt.
Ökumenisch mit dem Rad zu den Deutschen Evangelischen Kirchentagen und Deutschen Katholikentagen gepilgert wird schon lange. Hinter dem Projekt stehen heute die Tourenleiter Ansgar Hagemann und Artur Rumpel und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Osnabrück und Köln. An der ersten Radpilgertour nahmen 1998 nur drei Leute teil, darunter ein Pfarrer und der ehemalige Ministrant Ansgar Hagemann. Das Ziel: der Katholikentag in Mainz. Zwei Jahre später ging es schon mit elf Leuten von Osnabrück zum Katholikentag nach Hamburg und wieder zurück. 2003 fuhr man von Osnabrück zum 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin. 2005 war der Kirchentag in Hannover an der Reihe, 2006 der Katholikentag in Saarbrücken. An dessen letztem Tag wurde der Katholikentag 2008 verkündet und zum Problemfall: Er kam nach Osnabrück. „Wir konnten doch nicht von Osnabrück nach Osnabrück radeln“, sagt Hagemann. Da wurde die Idee geboren, immer den vorigen Katholikentag oder evangelischen Kirchentag mit dem nächsten zu verbinden, das gilt seit 2007 und ist seither so geblieben.
Als der Kirchentag im Jahr 2007 die Radpilger erstmals unter dem Stichwort „ungewöhnliche Anreise“ ins Programmheft nahm, meldete sich Artur Rumpel, und der ADFC Köln kam mit ins Boot beziehungsweise auf den Sattel. So ging die erste gemeinsame Pilgerfahrt von Hannover nach Köln. Auch die Ökumenischen Kirchentage werden nun kontinuierlich mit dem Rad verlinkt, so gibt es jedes Jahr eine Pilgertour. „2021 geht es von München nach Frankfurt“, kündigt Hagemann an. Die anderen Pilger loben seine minutiöse Vorbereitung, ganz neu sind die Warnwesten mit Pilger-Aufdruck.
Die Pilgergruppe ist für jeden und jedes Alter offen, doch etwa die Hälfte sind Stammradler. Zu ihnen gehört Monika Niermann aus Georgsmarienhütte: Sie ist in diesem Jahr das fünfte Mal dabei. „Das ist das Schöne, dass man nicht nur auf dem Sattel sitzt“, sagt sie. „Manchmal kochen wir gemeinsam, jeder fügt sich ein.“ Ihr Mann Werner legt die Strecke parallel mit dem Wohnmobil zurück und fährt der Gruppe vom jeweiligen Tagesziel aus mit dem Rad entgegen. Normalerweise führt jeder sein Gepäck auf dem Rad mit, aber so ein Wohnmobil ist eine gute Reserve.
Die Tagesetappen liegen bei 60 bis 80 Kilometern, unterwegs sind Besichtigungen und Andachten eingeplant. Von Stuttgart ging es zuerst zur Alexanderkirche in Marbach am Neckar. Übernachtet wurde im Heilbronner Kilianshaus, bevor es am nächsten Tag bis Dörzbach an der Jagst ging. Die nächsten Übernachtungsstationen waren und sind Kitzingen, Münnerstadt, Suhl, Erfurt, Heldrungen, Merseburg, Bergwitz, Jüterbog und am 23. Mai dann Potsdam. Am 24. Mai ist es nicht mehr weit bis Berlin. Ein Teil der Pilgergruppe bleibt nur zum Eröffnungsgottesdienst, andere für den gesamten Kirchentag.
Wie es sich für Pilger gehört, verließen sie Stuttgart nicht einfach so, sondern mit einer Aussendung in der Rosenbergkirche. Für diese war Pfarrerin Eva Schury aus Böblingen angereist. „Ich bin auch eine alte Radpilgerin“, stellte sie sich vor. „Ihr seid herausgefordert, aufeinander zu schauen und aufeinander achtzugeben“, sagte sie den Pilgern. „Radelt offen füreinander und für die Welt!“ Die Lieder bei der Aussendung waren natürlich dem Kirchentagsliederbuch entnommen: „Vertraut den neuen Wegen…“.Die ersten neuen Wege in Richtung Stuttgarter Hauptbahnhof verlangten den Pilgern sogleich einiges Vertrauen ab. „Stuttgart ist keine Fahrradstadt“, befand die Gruppe sehr schnell. Wer mag ihr da widersprechen? Doch nach einer kleinen Schleife im Autogewühl hatte die Gruppe den Einstieg in den Schlosspark gefunden und die S 21-Großbaustelle schnell hinter sich gelassen. Die landeskirchliche Lotsenhilfe durch den Reporter war dann nicht mehr nötig.
Peter Dietrich