Die Ungeduld gilt als ein Symbol der Moderne: Zeit ist kostbar, Zeit ist Geld. Mit der vorösterlichen Fastenaktion „Augenblick mal! Sieben Wochen ohne Sofort“ ruft die evangelische Kirche seit Aschermittwoch zur Entschleunigung auf und regt zum Nachdenken an. Als Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in der Prälatur Reutlingen kennt sich Karl-Ulrich Gscheidle mit dem Thema der dritten Fastenwoche aus. „Nicht sofort drauf losschaffen“ (Lk 10,38-42) lautet es. Jens Schmitt hat mit Pfarrer Gscheidle gesprochen.
Das Wochenthema heißt: „Nicht sofort drauf losschaffen“. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Das Motto erinnert mich daran, wie wichtig es ist, sich zuerst auf das zu besinnen, was ich eigentlich erreichen möchte, bevor ich blind auf mein Ziel zurenne. Ich finde es wichtig, dass ich bei allem Elan und Engagement für meinen Beruf, für Menschen und Themen auch innerlich in der Lage bleibe, mit genügend Abstand mein Tun und Handeln zu betrachten. Das ist für mich auch Ausdruck einer professionellen Herangehensweise im Unterschied zum blinden Eifer. Außerdem stellt sich mir die Frage: Wie gelingt es, genügend Zeiten für Erholung und Abstand von der Arbeit zu gewinnen? Die Sonntagskultur gibt uns die Gelegenheit zur selbstbestimmten Zeiteinteilung, ohne dem Mammon und der verführerischen Warenwelt diesen Tag der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung zu opfern. Ich setze mich daher auch aktiv für den Sonntagsschutz ein. Die Fastenzeit hat also durchaus auch eine politische Dimension!
Haben Sie mit dem Wochenthema schon Erfahrungen gemacht?
Beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt gibt es immer wieder mal auch die Notwendigkeit oder Gelegenheit, sich öffentlich zu einem wirtschafts- oder sozialpolitischen Thema zu äußern. Meist sind die Lösungsansätze für die jeweiligen Sachverhalte politisch umstritten. Dafür ist es elementar wichtig, einen inneren Kompass zu haben, also hinreichend urteilsfähig zu sein. Man muss sich über die Sachverhalte und Lösungsansätze schlau machen, die Optionen abwägen und sich mit anderen beraten. Letztlich muss man aber auch mutig im Urteil sein und darf die Öffentlichkeit nicht scheuen.
Fasten Sie?
Ich finde die Aktion „Sieben Wochen Ohne“ eine sehr geistreiche und anregende Sache, die mir über die Jahre immer wieder viele kluge und lebenspraktische Perspektiven eröffnet hat. Diese Fastenaktion verbinde ich mit dem bewussten Hereinlassen des Geistes Gottes in meine Lebens- und Arbeitswelt. Ich freue mich jedes Jahr auf die oft ungewöhnlichen Perspektivwechsel, die sich mir in den sieben Wochen vor Ostern eröffnen.