Die Menschen werden immer lauter und fieser und Gott scheint gleichzeitig immer unsichtbarer und stiller. Ich stelle mir vor, das war für Jesus das Schlimmste an seinem Karfreitag. Genauso wie für alle Menschen nach ihm, die Ähnliches erleiden mussten. Es hört ja nicht auf mit den Karfreitagen, seit damals. Immer wieder werden Menschen zu Opfern von Menschen.
Die Menschen werden immer lauter und fieser und Gott scheint stummer. So erzählt es auch der Evangelist Matthäus. Und ich habe das Gefühl: Er begreift es auch nicht. Man kann es nur erzählen und erschrecken dabei. Begreifen kann man es nicht. Oder verstehen Sie, dass Menschen so sein können? Damals vor 2000 Jahren in Jerusalem und seither Millionen Male. Was geht in Menschen vor, dass sie einen, dem es so erbärmlich geht, auch noch verhöhnen und verspotten. Wie Matthäus erzählt: Die Leute, die vorbeikamen, lästerten über ihn. Sie schüttelten ihre Köpfe und sagten: „Du wolltest doch den Tempel abreißen und in nur drei Tagen wieder aufbauen. Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann rette dich und steig vom Kreuz herunter!“
Sind Menschen wirklich fähig, ihr Mitgefühl völlig auszuschalten? Oder abzutöten? Anscheinend ja. Dabei ist es eine unserer besten Eigenschaften: Mitgefühl. Spüren in sich selbst, wie es einem anderen geht. Und trotzdem lehren die Geschichte Jesu und alle die Karfreitage seither: Vorsicht, es braucht nicht viel, dass man sich das Mitgefühl ausschalten lässt! Man muss nur meinen, der andere hat es verdient, was ihm angetan wird. „Er ist ein Islamist, ein Unmensch, eine Bedrohung, ein Schmarotzer.“ Oder wie sie bei Jesus sagen: „Vorher hat er so groß getan. Jetzt geschieht es ihm recht.“
Verstehen kann ich nicht, dass wir Menschen so sein können. Aber ich fürchte, jeder von uns kann in Situationen kommen, wo er sein Mitgefühl für andere ausschaltet. Deshalb ist es gut, wenn man das bedenkt. Vielleicht passiert es uns dann nicht so leicht.
Je lauter die Menschen höhnen, desto weniger ist von zu Gott hören. Das ist das Zweite, was ich kaum begreife. Warum zeigt er sich nicht? Jesus nicht und vielen anderen Opfern auch nicht. „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ ruft Jesus noch. Und hofft und vertraut, dass Gott ihn hört. Und ihn nicht allein sterben lässt. Sondern ihn auffängt.
Wie gesagt, verstehen kann man das kaum. Trotzdem glaube ich: Dass Gott bei Jesus war und bei allen anderen Opfern nach ihm. Daran erinnert der Karfreitag auch.
Ursprünglich ein „3vor8“ für SWR1