12.09.2014

„Hier erfahren die beiden endlich einmal Annahme“

Ein Tafelladen beschäftigt zwei Asylbewerber

Seit einem halben Jahr arbeiten zwei iranische Asylbewerber im Tafelladen in Filderstadt-Bernhausen. Die Beschäftigungsgutscheine der Evangelischen Landeskirche ermöglichen dieses Integrationsangebot. Anna Görder hat die beiden Männer bei ihrer Arbeit getroffen.

Alireza B. bei der Arbeit im Tafelladen.

Filderstadt-Bernhausen. Bevor Milad D. die Packung mit dem Kerzenständer und den roten Kerzen schließt, dreht er die sechs Kerzen vorsichtig mit dem Docht nach oben. Dann kommt der durchsichtige Deckel darauf. Behutsam klebt er die Packung mit Tesafilm zu und drückt das Preisschild drauf. Ein Lächeln fliegt über sein Gesicht. Fertig zum Verkauf. Alireza B. hat sich währenddessen Schürze und Gummihandschuhe angezogen und eine der vielen Gemüsekisten ausgeräumt. Vom Blumenkohl schneidet er die welken Blätter ab. Die Pfirsiche dreht er vorsichtig in den Händen und legt sie dann wieder in die Kiste hinein: alles in Ordnung, keine faulen Stellen. Sie können nach vorne in den Laden.

"Wir wollen nicht den ganzen Tag im Asylbewerberheim herumsitzen."

Milad D. ist im Oktober 2013 aus dem Iran nach Deutschland geflohen und hat hier Asyl beantragt. Gemeinsam mit seinem Freund Alireza B., der schon seit zwei Jahren auf der Flucht ist, arbeitet er seit einem guten halben Jahr im Tafelladen in Bernhausen. Die beiden Iranis packen kräftig mit an. Und bekommen dafür 1,05 Euro in der Stunde. Aber die Bezahlung ist für sie nicht so wichtig. „Wir wollen nicht den ganzen Tag im Asylbewerberheim herumsitzen. Wir sind gebildet, haben studiert. Wir hatten im Iran unsere Arbeit, wir wollen auch hier ein ganz normales Leben führen.“, erklärt Milad D. seine Motivation. Einer der Mitarbeiter im Tafelladen erzählt: „Als die beiden hier neu ankamen, da waren sie richtig bleich. Man hat ihnen angesehen, dass sie Traumatisches erlebt haben. Nach ein paar Wochen, da war es, als würden sie sich von einer langen Krankheit erholen. Plötzlich bekamen sie wieder Farbe.“

Eine Perspektive für Langzeitarbeitslose und Asylbewerber

 

Bei ihrer Sommertagung 2014 hat die Landessynode eine Fortsetzung des Förderprogramms „Beschäftigungsgutscheine für Langzeitarbeitslose“ beschlossen. Für 2014 und 2015 werden jeweils weitere 500.000 Euro zur Verfügung gestellt. Mit den Beschäftigungsgutscheinen können Minijobs oder auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Nicht nur Langzeitarbeitslose, auch andere von Armut betroffene Bevölkerungsgruppen wie z. B. Asylbewerber können von den Gutscheinen profitieren.

Weitere Informationen zu dem Projekt erhalten Sie bei Klaus Kittler:

Klaus Kittler

Referent Armut/Arbeitslosenhilfe

Diakonisches Werk Württemberg Heilbronner Str. 180

70191 Stuttgart

0711 / 1656-233

kittler.k@diakonie-wuerttemberg.de

Milad D. und Alireza B. wollen nicht den ganzen Tag im Asylbewerberheim herumsitzen.

Beschäftigungsgutscheine der Landeskirche schaffen Jobs auch für Asylbewerber

Dass die beiden im Tafelladen mithelfen können, haben die von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg seit Herbst 2013 bereitgestellten Beschäftigungsgutscheine ermöglicht. In den ersten Arbeitsmonaten hat die Kirchengemeinde in Sielmingen auf Initiative von Pfarrer Tobias Geiger die Anschubfinanzierung geleistet. Dann kam die Zusage des Diakonischen Werkes, dass die Beschäftigungsgutscheine bewilligt werden und D. und B. zwölf Monate lang bleiben können. Tanja Herbrik, die die Fildertafel leitet, freut sich darüber: „Hier erfahren die beiden endlich einmal Annahme, nicht nur Abweisung und Enttäuschungen.“ Ziel sei es vor allem, den Asylbewerbern neben einer sinnvollen Beschäftigung die Möglichkeit zur Integration zu geben. Das hat geklappt: Als Milad D. krank wird, fragen die anderen Mitarbeiter besorgt nach, was denn los sei.

Neue Offenheit für die Probleme anderer

Aber es gibt auch Probleme: Milad D. spricht zwar gut Englisch, für Alireza B. muss er aber alles dolmetschen. Denn es ist wichtig, dass die Mitarbeiter sich miteinander verständigen können. „Es gibt Hygienerichtlinien, die eingehalten werden müssen. Und ganz ohne Sprache klappt das Miteinander im Team einfach nicht“, erklärt Herbrik. Schwierig war es auch, als Milad D. krank wurde. Denn weil er sich den Gang zum Arzt erst erkämpfen musste und auch dann nicht recht wusste, wo er hin er sich wenden kann, fiel er gleich mal mehrere Wochen aus. „Natürlich war es ein Aufwand, die beiden einzuarbeiten. Natürlich kostet es Zeit, sie zu betreuen. Aber dafür haben wir hier eine ganz neue Offenheit bekommen. Das Asylthema bringt ganz neue Perspektiven für unsere anderen Mitarbeiter mit sich, die ja als Harz IV-Leute sowieso ihr Päckle zu tragen haben. Die denken ganz neu nach, sind manchmal auch sehr betroffen. Das tut allen gut“, so Herbrik. 

Zwei harte Schicksale und eine offene Zukunft

Die Betroffenheit ist gut nachvollziehbar. Alireza B. ist Kurde, seine Frau lebt weiterhin im Iran. Er hat mit ihr seit zwei Jahren nur über die schlechte Internetverbindung in den Iran Kontakt. Milad D. ist Christ. Seine Sorge gilt seinen Eltern, die von der schlechten staatlichen Grundversorgung leben müssen und die er von Deutschland aus finanziell nicht unterstützen kann. Zudem kommt die Angst dazu, dass sie als Christen Repressalien und Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Natürlich wünschen sich beide, ihre Familien nach Deutschland holen zu können. Aber dies illegal zu tun, ist ihnen viel zu gefährlich. Und so bleibt nur das Warten auf die Entscheidung über den Asylantrag. Jetzt hoffen sie aber erst einmal, bald einen Deutschkurs machen zu dürfen. Das würde ihnen das Leben hier deutlich erleichtern. Verschmitzt grinst Milad D. beim Abschied und wünscht diesmal auf Deutsch: „Einen schönen Tag noch!“ Dann verschwindet er hinter dem neu gelieferten Regal im Möbellager. Die Arbeit ruft.

Anna Görder

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