Was hat Stuttgart nicht, was Berlin, Frankfurt, Gelsenkirchen und demnächst Wolfsburg haben? Eine Stadionkapelle. Eine gute Idee auch für den VfB und seine Fans, meint Ernst-Martin Barth. Als Pfarrer an der Kapelle in der Arena auf Schalke macht er jedenfalls viele eindrückliche Erfahrungen. Aber auch in Stuttgart selbst kann man sich eine Kirche im Stadion durchaus vorstellen, wie Andreas Koch zum Start der neuen Bundesligasaison herausgefunden hat.
Wie sieht die Kapelle in der Arena auf Schalke denn aus?
Die Kapelle liegt im Herzen der Arena, ist mit dem Anstoßkreis auf dem Spielfeld in einer Sichtlinie verbunden und verknüpft so Fußball und Glauben. Auf die Schalker Vereinsfarben wurde verzichtet. Als "der andere Raum" im Stadion will die Kapelle auch ein Gegenüber sein. Nichts lenkt ab. So sind Stille und Gebet möglich. Das geöffnete Kreuz, durch das man eintritt, zeigt Gottes liebende Einladung an seine Menschen. Die Altarwand erinnert an die Entscheidungen des Lebens und deutet das Geheimnis Christi in Tod und Auferstehung. Die Kapelle ist somit ein Ort des Lebens und des Glaubens.
Was spielt sich in der Kapelle ab?
Barth: In der Kapelle halten mein katholischer Kollege Georg Rücker und ich Andachten und verrichten Amtshandlungen wie Taufen und Trauungen. Außerdem begleite ich Gruppen aus der ganzen Welt durch die Arena und entdecke mit ihnen unsere Kirche im Stadion. Ganz wichtig ist die seelsorgerliche Arbeit. Dabei muss man ein großes Herz haben für die Menschen. Sie spüren genau, ob sie willkommen sind oder nicht. Ich möchte sie in ihrer Lebendigkeit bestärken und zum Glauben einladen – Kirche also direkt vor Ort. Vielleicht kann man auch sagen: Schalke leben, Gott lieben.
Welche Funktion hat die Kapelle für die Fans von Schalke 04?
Sie ist keine "Vereinskapelle", wo man zum Fußballgott betet, Fahnen auslegt und Kerzen entzündet für den Sieg. Schalke 04 und die Kirchen wollen keinen Hokuspokus-Raum. Geöffnet ist die Kapelle bei Heimspielen für die Mannschaften sowie für Gruppen und Einzelpersonen. Unter der Woche öffnen wir auf Anfrage.
Was war Ihr bislang schönstes beziehungsweise eindrücklichstes Erlebnis?
Es gibt viele schöne Erlebnisse – beispielsweise die Goldene Hochzeit, zu der die Braut mit verbundenen Augen vorgefahren wurde. Als sie vor der Kapelle stand und realisierte, wo sie war, ist sie in Freudentränen ausgebrochen, und das als Anhängerin von Borussia Dortmund. Sie denkt nun sogar über eine Mitgliedschaft bei Schalke 04 nach. Nachhaltig und eindrücklich in Erinnerung bleibt aber auch die Begleitung von traumatisierten Schalke-Fans, die durch das Flugzeugunglück in Frankreich vor ein paar Monaten ihre Kinder verloren haben.
Wie ist es zu der Stadionkapelle gekommen und wer bezahlt sie?
Der Vorstand von Schalke 04 ist bei der Planung der Arena auf die Kirchen zugekommen und hat um eine geistliche Arbeit gebeten. Der Verein tut viel für seine Fans, gerade auch in sozialen Belangen. Viele hatten schon jahrelang nachgefragt, ob es denn möglich sei, sich im Stadion trauen oder Kinder taufen zu lassen. Zum Geld: Schalke unterhält die Kapelle, die Kirchen tragen die Kosten für die inhaltliche Arbeit.
Kirche im Stadion, funktioniert das?
"Et fluppt", wie man bei uns im Pott sagt. 2014 haben mein katholischer Kollege und ich 92 Kinder getauft und 20 Paare getraut. Die Arbeit lebt also, und wir treffen auch die, die keine Beziehung zu ihren Kirchengemeinden mehr haben, sondern beim Kumpel- und Malocherclub Schalke 04 zuhause sind. "Mit Gott auf Schalke" können wir als Kirche dort sein, wo diese Menschen sind.
Sollte Ihrer Meinung nach eigentlich jedes Stadion eine Kapelle haben?
Kapellen in Stadien sind Orte, wo Kirche ergänzend da sein kann – als zweites Programm sozusagen. Jedenfalls entwickelt sich die Einrichtung sakraler Räume in Stadien weiter. Neben Berlin, Frankfurt und Schalke bekommt demnächst Wolfsburg eine solche Kapelle. Basel war schon hier und hat sich informiert. Das Ganze wäre doch auch für den VfB Stuttgart und seine Fans eine gute Idee. Allerdings müssen die Menschen in der Region ein solches Angebot auch annehmen. Diese Einschätzung ist wichtig.
Ernst-Martin Barth, vielen Dank für das Gespräch!
Ernst-Martin Barth, 1959 in Marl-Hüls geboren, ist seit Abschluss seines evangelischen Theologiestudiums an verschiedenen Orten im Ruhrgebiet als Gemeindepfarrer tätig. Seit Februar 2014 hat er darüber hinaus eine 50-prozentige Synodalbeauftragung für die Kapelle in der Arena auf Schalke. In dieser Funktion ist er u. a. Ansprechpartner für den Vorstand des Fußballbundesligisten Schalke 04, leistet seelsorgerliche Begleitung und führt zusammen mit seinem katholischen Kollegen kirchliche Amtshandlungen durch.
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