„Du bist schön! 7 Wochen ohne Runtermachen.“ ist das Motto der bundesweiten Fastenaktion 2015 der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Dazu stellen wir Ihnen jeweils ganz besondere Menschen vor, in dieser diese Woche unter dem Thema „Du bist fair“. Florian Rimmele hat sich mit Paul*, einem jugendlichen Straftäter, getroffen und mit ihm über seine Tat, die Zeit im Gefängnis und Vergebung gesprochen.
Paul ist 17 Jahre alt, als er den Fehler seines Lebens begeht: In einer Schlägerei mit einigen Männern zückt er ein Messer. Plötzlich Blut, Polizei und Notarzt. Das Messer steckt in einem der jungen Männer, der keine Luft mehr bekommt und schließlich stirbt.
„An diesen Moment erinnere ich mich nur noch dunkel“, sagt Paul leise. Die Stimme des heute 20-Jährigen klingt brüchig. An dem Abend vor drei Jahren ist er stark angetrunken und wütend, als er in die Schlägerei gerät. Später auf der Polizeiwache erfährt er vom Tod des Jugendlichen. „Vor mir hat sich damals ein riesiges Loch aufgetan“, erinnert sich Paul. „Das Messer hatte ich damals zur Selbstverteidigung dabei. Ich wollte doch niemals jemanden damit töten.“ Er kommt in Untersuchungshaft bis zu seinem Prozess. Das Urteil lautet zwei Jahre und sechs Monate Haft. Der Kontakt zu seinem alten Umfeld bricht vollständig ab. Paul wird depressiv.
Um dem tristen Haftalltag zu entkommen, bewirbt sich Paul auf einen Platz im offenen Jugendvollzug - im „Seehaus“ e.V.. In diesem christlichen Projekt bei Leonberg leben straffällige Jugendliche in Familien von „Seehaus“-Mitarbeitern. Der Tagesablauf ist streng geregelt. Neben alltäglichen Aufgaben im Haushalt, wie Wäsche waschen, kochen oder putzen, gehört auch eine Zeit der Stille zum Programm. Jeden Tag eine Stunde Bibel lesen. Die größte Herausforderung für Paul aber ist die aktive Auseinandersetzung mit seiner Tat und den Folgen für sein Opfer und dessen Familie.
Um sich mit der Gefühlswelt der Familie seines Opfers vertraut zu machen, trifft sich Paul mit einem Vater, der seine Tochter ebenfalls durch eine Gewalttat verloren hat. „Während dieses Gesprächs konnte ich mich zum ersten Mal in die Familienangehörigen des Opfers hineinfühlen“, erklärt Paul. Ein wichtiger Schritt, um irgendwann nach Vergebung fragen zu können. „Seit dieser Zeit stehe ich anders zu meinem Glauben“, sagt Paul. „Ich habe mich intensiv mit der Zachäus-Geschichte auseinandergesetzt.“ Vergebung zu erfahren ist aber ein harter Weg. Derzeit läuft noch ein zivilrechtliches Verfahren gegen ihn. „Solange das noch nicht geklärt ist, habe ich Angst, dass meine aufrichtige Entschuldigung nur als Versuch gewertet wird, mich herauszureden.“
Paul hat seine Strafe inzwischen abgesessen und steckt derzeit mitten in seiner Schreinerlehre. Er wirkt gefestigt. „Am liebsten würde ich die Tat ungeschehen machen, aber die Erfahrungen aus meiner Haftzeit im ‘Seehaus‘ haben mich zu einem anderen, einem besseren Menschen gemacht“, ist er überzeugt.
Ob ihm die Angehörigen des Opfers einmal vergeben werden, weiß Paul nicht. Und auch mit sich selbst wieder in Frieden zu leben, muss er lernen. Ob das Motto „7 Wochen ohne runtermachen“ der EKD-Fastenzeit ihm dabei hilft – also sich selbst und andere so anzunehmen, wie sie sind, ist unklar. Paul jedenfalls ist froh, dass er inzwischen seinen Alltag meistert. „Aber ich bin noch weit davon entfernt, mir selbst diese eine Nacht zu vergeben."
Florian Rimmele
*Name von der Redaktion geändert.