Stuttgart-Wangen. Fremdenfeindlichkeit? Ressentiments angesichts der Ankunft von zehntausenden neuen Flüchtlingen deutschlandweit? Die Mehrheit in Deutschland scheint in diesen Tagen ganz anders zu ticken. "Die Hilfsbereitschaft kommt an der Basis, in den Stadtteilen an", berichtet Pfarrerin Friederike Weltzien. Die Obertürkheimer Theologin und Therapeutin, die fließend Arabisch spricht, engagiert sich in den Flüchtlingsunterkünften in Hedelfingen und Wangen.
"Ich freue mich über die spontane Hilfsbereitschaft", sagt Pfarrerin Weltzien. "Täglich rufen Leute an. Sie wollen sich einbringen oder etwas spenden." Nun sei es wichtig, dieses Engagement über die nächsten Wochen und Monate zu erhalten. "Die Menschen wollen helfen. Sie suchen Organisationsformen und Strukturen, wo sie sich einbringen können, ohne sich zu überfordern." Da hätten die Kirchengemeinden und ihre Netzwerke "einiges zu bieten".
Ein Beispiel: Kirchengemeinden und Bürgerinnen und Bürger aus Obertürkheim, Uhlbach und Wangen haben im vergangenen November gemeinsam eine Initiative zur Willkommenskultur gegründet. Inzwischen stehen 100 engagierte Bürgerinnen und Bürger auf der E-Mail-Liste. In Wangen bestand bereits ein Freundeskreis. Mit ihm und seinem Knowhow hat sich die Initiative zusammengeschlossen. Aktuell engagiert sie sich für die Unterkünfte Autohof und Viehwasen in Stuttgart-Wangen, in diesen Tagen kommt die neue Unterkunft in Hedelfingen dazu.
Das Engagement der Ehrenamtlichen ist vielfältig, "jeder sucht etwas, was er gut kann und wo er oder sie sich einbringen kann", beobachtet Friederike Weltzien. Manche machen regelmäßige Angebote, etwa wöchentlichen Deutschunterricht für Flüchtlinge. Donnerstagnachmittags macht der Freundeskreis ein Angebot für Kinder. Ein Rentner bietet gemeinsames Malen mit Wasserfarben an - ein Angebot, das viele Flüchtlinge dankbar annehmen. Weltzien: "Es tut vielen gut, so ein Angebot ist ja auch eine Form von zwischenmenschlicher Zuwendung." Viele Ehrenamtliche pflegen auch Einzelkontakte zu Flüchtlingen, begleiten sie bei Arztbesuchen, Behördengängen, bei der Wohnungssuche, oder sie besuchen mit Flüchtlingen kulturelle Veranstaltungen. Und Kirchengemeinden laden Flüchtlinge zu Gemeindefesten und Gottesdiensten ein.
Friederike Weltzien ist selbst regelmäßig in den Unterkünften. Sie spricht fließend Arabisch, hat deshalb rasch das Vertrauen vieler syrischer Flüchtlinge gefunden. "Ich freue mich, wenn ich Gelegenheit habe, Arabisch zu sprechen", sagt sie lachend. Weltzien war neun Jahre lang Pfarrerin in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Bei ihren Besuchen in den Unterkünften geht es aber nicht allein um den Kontakt mit den Flüchtlingen und um alltägliche Hilfestellungen. Wichtig ist auch, einen guten Kontakt zu den Sozialarbeitern in den Unterkünften zu halten.
Friederike Weltzien kümmert sich um viele organisatorische Dinge der Initiative. Am Herzen liegen ihr auch die monatlichen Fortbildungsangebote für die Ehrenamtlichen. "Der Kontakt mit den Flüchtlingen bedeutet ja eine persönliche Herausforderung. Man begegnet Menschen, die Elend, Krieg und Flucht erlebt haben und traumatisiert sind", sagt Weltzien. In den monatlichen Fortbildungsangeboten geht es etwa darum, wie sich der muslimische Glaube auf das Alltagsleben auswirkt, oder um den Umgang mit traumatisierten Menschen.
Weltzien wird demnächst auch ihre Fähigkeit als Tanztherapeutin für die Flüchtlinge zur Geltung bringen. Gemeinsam mit einer Kollegin bietet sie ab Oktober eine tanztherapeutische Gruppe zur Bearbeitung von Traumata an. All diese Aktivitäten sind, gemeinsam mit ihrer 75-Prozent-Stelle als Gemeindepfarrerin, nicht in einer 40-Stunden-Woche unterzubringen. "Ich muss sehen, wie ich das alles austariere", sagt sie. Doch ihr Engagement für Flüchtlinge liegt ihr am Herzen. Und sie sieht darin eine große Aufgabe und Chance für die Kirchengemeinden. Es gehe nicht darum, dass die Gemeinden alleine aktiv werden, sondern dass sie sich in Bürgerinitiativen verbünden und ihre Strukturen, Kontakte und Möglichkeiten einbringen.