Das Gustav-Adolf-Werk (GAW), ein Hilfswerk für evangelische Minderheitenkirchen im Ausland, war mal der zweitgrößte Verein Deutschlands. Sein württembergischer Verein feiert am kommenden Wochenende 175-jähriges Bestehen. Die evangelische Ulmer Regionalbischöfin und GAW-Vorsitzende Gabriele Wulz erläutert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum es den Einsatz für Protestanten im Ausland heute noch braucht. Und sie kündigt an, dass sich das GAW von seinem sperrigen Namen nicht trennen wird.
Frau Prälatin, was würde der württembergischen Landeskirche ohne das GAW fehlen?
Das GAW hält den Blick für die Diaspora, für Protestanten in Minderheitensituationen, wach. Dabei geht es auch um die innerprotestantische Ökumene, also die Gemeinschaft mit Evangelischen weltweit. Von den Geschwistern in anderen Ländern lernen wir: Kirche sein heißt nicht immer, in der Mehrheit zu sein. Evangelisch kann man auch in der Minderheit sein, als bedrängte oder diskriminierte oder verfolgte Kirche. Diesen Kirchen, die in ihren Ländern oft übersehen werden, tut es unendlich gut, dass sie von uns Besuche und Unterstützung bekommen.
Bekommen auch die Württemberger etwas von den Diasporakirchen?
Durch unsere Partner erhalten wir sehr viel tiefere Einblicke in das, was im Moment auf der Welt passiert, etwa in der Flüchtlingsfrage. Evangelische Christen schildern uns die Situation in Syrien, an der Balkanroute, in Italien, Spanien. Das gibt uns einen anderen Blick. Oder zum Beispiel Ungarn, das in der EU als schwieriges Land gilt. Die Lutherische Kirche in Ungarn bezieht da eine andere Position als die Regierung.
Was können wir von den Diasporakirchen lernen?
Wir sehen noch einmal klarer, was Evangelischsein bedeutet. Das ist beispielsweise der Impuls zur Diakonie. Es gibt keine evangelische Kirche, und sei sie noch so klein, die nicht eine diakonische Arbeit hat. Beispiel Kuba: Ein Projekt, das wir "Essen auf Rädern" nennen würden, sieht so aus, dass eine Frau auf ihrem Herd 60 Essen kocht und zwei Männer mit ihren Fahrrädern die Portionen zu den alten Menschen bringen.
Gibt es weitere Beispiele?
Christen der kleinen griechisch-evangelischen Kirche holen Flüchtlinge aus den teilweise katastrophalen Camps und lassen sie in ihren Häusern, ihren Familien mitwohnen. Sie richten Wohnungen her für Frauen, organisieren eine Sozialarbeiterin. Hier wird die Zuwendung zum Nächsten sehr elementar.
Wo sehen Sie in solchen Ländern zudem evangelische Eigenheiten?
Die Kirchen dort versuchen stärker als andere, den Gemeindegliedern zu einem mündigen Christsein zu helfen. Sie bekommen Zulauf, weil Menschen schätzen, dass in diesen Gemeinden auch kritische Fragen gestellt werden dürfen, die man in anderen Kirchen nicht stellen darf. Meinungsfreiheit und offener Diskurs - dafür stehen wir als Protestanten.
Das GAW wurde 1832 in Leipzig gegründet und unterstützt im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland protestantische Kirchen in der Diaspora. In Württemberg kam es 1843, also vor 175 Jahren, zur Gründung eines regionalen Gustav-Adolf-Werks, das sich zu einem der stärksten und aktivsten in Deutschland entwickelte. Am Anfang stand vor allem die Unterstützung von Protestanten in Österreich, aber auch im katholisch geprägten württembergischen Oberschwaben. In den 1860er Jahren entstanden innerhalb des GAW Frauenvereine, die das Werk entscheidend prägten. Seit 2002 entsendet das GAW Württemberg jährlich 20 Freiwillige zu Auslandseinsätzen. Die Württemberger unterstützen zurzeit 49 Partnerkirchen in 35 Ländern. Traditionell herrschen enge Beziehungen zu Osteuropa und Südamerika, jüngste Partnerin ist die presbyterianisch-reformierte Kirche auf Kuba. Das Jahresbudget liegt bei 600.000 Euro, davon stammen 500.000 aus Spenden. Vorsitzende ist seit 2002 die Ulmer Regionalbischöfin Gabriele Wulz, die seit 2016 auch das GAW Deutschland leitet.
Warum hat sich das GAW in Württemberg im Vergleich zu anderen Landeskirchen so stark entwickelt?
Württemberg ist generell eine starke, vielseitig engagierte Landeskirche. Historisch war es so, dass der württembergische König das erste GAW-Mitglied im Land wurde. Der 1. Advent wurde zum Kollektentag für das GAW und ist es bis heute. Gleichzeitig war es im Südwesten auch eine Graswurzelbewegung. So haben sich die Dienstmädchen in hellen Scharen der GAW-Frauenarbeit angeschlossen. Das GAW war übrigens mal der zweitgrößte Verein in ganz Deutschland. Da hat sich also eine Tradition entwickelt, von der wir auch heute noch profitieren.
Der Name "Gustav-Adolf-Werk" ist sperrig. Zeit für eine Namensänderung?
Wir werden den Namen nicht ändern. Er war von Anfang an umstritten. Die Gründungsidee zum 200. Todestag des Schwedenkönigs Gustav Adolf war ja: Wir bauen kein Denkmal aus Stein, sondern ein lebendiges Denkmal. Wir dürfen nicht vergessen: Es ist Gustav Adolf und seinem Eingreifen im Dreißigjährigen Krieg zu verdanken, dass die evangelische Sache nicht komplett verlorengegangen ist.
Das Wirken des Schwedenkönigs in Ehren - aber für Sie ist der Name doch heute ein Kommunikationshindernis?
Das stimmt nur begrenzt. In Deutschland muss man tatsächlich einiges erklären, aber in den Diasporakirchen ist Gustav Adolf geradezu eine Marke. In unseren Partnerländern wird das hervorragend verstanden. Da hätten wir mehr Probleme, wenn wir den Namen ändern.
Mangelt es dem GAW trotz seiner langen Geschichte an Bekanntheit? In den Gemeinden können bei weitem nicht alle mit dem Kürzel etwas anfangen.
Natürlich wünschten wir uns noch mehr Bekanntheit. Aber die Situation ist auch nicht schlecht. Wir haben die festgelegte Kollekte am 1. Advent in allen landeskirchlichen Gemeinden, wir haben in jedem Kirchenbezirk einen GAW-Beauftragten. Das funktioniert alles relativ gut. Dazu kommen weit über 200 Einzelmitgliedschaften. Und das Jubiläumsjahr ist eine große Chance, unsere Arbeit in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Unterstützung fürs GAW, etwa bei den Spenden, ist übrigens in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen.
Da, wo das GAW bekannt ist, stößt man auch schnell auf Vorurteile. Da werden manchmal die "Socken strickenden Frauen" belächelt, die für den guten Zweck Textilien herstellen - oder man wirft dem GAW "Anti-Ökumene" vor?
Wenn wir die evangelische Stimme stärken, ist das ein Beitrag zur Ökumene! Vielstimmigkeit steht der Gemeinschaft der Kirchen gut an. Und was die "Socken strickenden Frauen" anbetrifft - dieses Etikett ärgert mich sehr. Ich schätze, achte und ehre diese Frauen, weil gerade sie, die manchmal in bescheidenen Verhältnissen leben, über den Tellerrand hinausschauen, sich über Projekte informieren und mit ihren Mitteln etwas für Andere tun. Das ist großartig und hat keinen Spott verdient.
Was sind die Herausforderungen der nächsten Jahre für das GAW?
Wir müssen immer wieder neu Menschen, gerade auch jüngere, für diese Arbeit gewinnen. Die Chancen dafür stehen gut, weil beispielsweise jedes Jahr junge Freiwillige einen Einsatz in den Partnerkirchen machen. Viele kommen begeistert zurück und bleiben dem GAW engagiert verbunden. Wir werden künftig Ehrenamtlichen bessere, auf sie zugeschnittene Angebote machen, damit ihnen eine motivierte Mitarbeit leichter fällt. Wir wollen die Kontaktflächen des GAW erweitern, natürlich auch durch das Internet und die sozialen Netzwerke. Menschen sollen erleben, dass die Begegnung mit den anderen evangelischen Kirchen enorm bereichernd ist.
Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)